03.12.2021
Das Märchen vom Infraschall und den Bundesbehörden
Eine unendliche (?) Geschichte von Heinz Wraneschitz
Es war einmal: So fangen alle Märchen an. Auch dieses: Es war einmal eine Studie, die handelte vom Infraschall, der von Windrädern ausgeht.
In dieser Untersuchung wurden anfänglich so hohe Schalldruckwerte genannt, dass sie die Gesundheit von Menschen und Tieren gefährden würden. Und so haben Windkraftgegner diese Studie in ihren Kreisen und weit darüber hinaus verbreitet, wenn auch erst nach zehnjährigem Dornröschenschlaf. Selbst das ansonsten meist seriös arbeitende Redaktion des ZDF-Umweltmagazins Planet E hat die Aussagen von selbsternannten Infraschall-Spezialisten augenscheinlich ungeprüft nicht als Märchen, sondern als wahr angesehen.
Das ist kein Wunder. Denn die Messergebnisse zum Infraschall, den Windkraftwerke aussenden, hatte eine angesehene Bundesanstalt veröffentlicht. Wobei es schon etwas zu denken hätte geben müssen: Nicht die für solche Messungen eigentlich qualifizierte Physikalisch-Technische (PTB),sondern jene für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) hatte einst diese Untersuchungen für nicht hörbaren Schall durchgeführt.
Der Grund, warum die BGR das getan hat: Sie betreibt in Deutschland Messstationen für ein weltweites Netzwerk, das Atombombendetonationen erkennen soll. Und dafür braucht sie absolut ruhige, auch an Infraschall arme Standorte. Einer davon ist GERES nahe Haidmühle im Landkreis Freyung-Grafenau, mittendrin im Bayerischen Wald.
Und nach ihren eigenen 2004er Messergebnissen hat die BGR durchgesetzt: 15 km um GERES herum darf kein Windrad stehen. Sonst können die Sensoren nicht feststellen, wo genau auf der Welt wieder einmal ein Diktator oder eine Demokratie einen Atombombentest durchgeführt hat.
Anders als besagte Windkraftgegner oder die ZDF- Planet-E-Redakteur*innen ist Stefan Holzheu offensichtlich zu aufgeklärt, um noch an Märchen zu glauben. Der promovierte Wissenschaftliche Mitarbeiter von BayCEER, dem Centrum für Ökologie und Umweltforschung der Uni Bayreuth, ist – wie er zugibt – Windkraftfan. Deshalb fand er es gut, dass in seiner Heimatgemeinde Speichersdorf in Oberfranken ein zweiter Windpark gebaut werden sollte. Doch weil der nicht genehmigt worden war, nahm er sich die von Windkraftgegnern zur Argumentation genutzte, damals 15 Jahre alte BGR-Infraschall-Studie vor.
Recht schnell hatte Holzheu eine große Diskrepanz zwischen den von der Uni Bayreuth, aber auch in Baden-Württemberg gemessenen Infraschall-Druckpegeln und jenen der BGR festgestellt: Um die 36 dB wichen die Werte voneinander ab. Klingt nach nicht viel, ist aber – weil logarithmisch gemessen – ein Unterschied von etwa Faktor 4.000.
Was der Wissenschaftler – er beschäftigt sich mit Software und Hardware zur Sensordatenerfassung – erlebte, als er die Verantwortlichen der Bundesbehörde BGR auf ihren offensichtlichen Messfehler aufmerksam machte, war dann aber nicht mehr märchenhaft, sondern „kafkaesk: Zuerst gab es ausweichende Antworten. Dann hat man mir mit rechtlichen Schritten gedroht. Dann hat der BGR-Präsident erklärt, die PTB habe die Studie geprüft. Erst am 21. April 2021 hat die BGR den Fehler zugegeben.“ Doch statt dann einfach die Werte zu korrigieren, „wurden neue Untersuchungen begonnen“.
Die aber sind inzwischen abgeschlossen – und die märchenhaft hohen Infraschallwerte sind verschwunden. Gemessen wurden über 60 dB Abstand zur menschlichen Wahrnehmungsschwelle bei einer Frequenz von 2 Hertz (Hz), immer noch gut 30 dB bei 18 Hz. Darüber hat eine BGR-Forscher*innengruppe in einem Vortrag in Karlsruhe am 20. September 2021 berichtet.
Weiterhin 15 km Abstand nötig?
„Jetzt stimmen die Pegel. Sie sind weit unter der Wahrnehmungsschwelle“, bestätigt Stefan Holzheu die neuen Erkenntnisse der BGR. Die haben deren Forscher nach 17 Jahren „den Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis entsprechend korrigiert“, also in der Allgemeinheit nicht zugänglichen Wissenschaftsmagazinen publiziert, heißt aus der Hannoveraner Behörde. Dennoch bleibt die BGR dabei, was sie schon nach den 2004er Messungen durchgesetzt hat: Infraschall störe ihre sensiblen Microbarometer so stark, dass sich keine Windräder im Umkreis von 15 km um die Messstationen drehen dürfen.
„Doch zur Bestimmung von Mindestabstand zur Wohnbebauung taugt Infraschall überhaupt nicht“, stellt der Bayreuther Holzheu klar: „Das reale Schallthema ist dagegen wichtig. Darüber müssen wir bei Windrädern reden. Aber dafür gibt es das BImschG“, das Bundesimmissionsschutzgesetz. Das wiederum werde von modernen Windkraftwerken schon weit unter der Bayerischen 10H-Regel eingehalten, also etwa ab 300 Meter Abstand, ist der Sensortechnik-Forscher sicher. Und ebenso: „Es gibt keine Alternative zur Dekarbonisierung. Und dafür brauchen wir die Windenergie. Auch in Bayern.“
Des Märchens langer Bart
Doch bekanntlich enden Märchen meistens mit „Und wenn sie nicht gestorben sind…“. Und so haben auch die märchenhaften, auf den ersten Blick gesundheitsgefährdenden, aber faktisch bis zu 4.000fach zu hohen Infraschallwerte der BGR aus dem Jahre 2004 bis heute überlebt. Zum Beispiel auf der Web-Seite der ZDF-Umweltredaktion. Auch deshalb werden sie von Windkraftgegnern weiterhin in alle Welt hinausgeblasen.
Zumal in aktuellen BGR-Veröffentlichungen nur recht versteckt steht: „Die zur Abschätzung verwendete Methode ist nicht geeignet zur Bestimmung der Infraschall-Einwirkung auf den Menschen.“ Augenscheinlich zeigt die Behörde immer noch recht wenig Bereitschaft, offensiv dagegen vorzugehen, dass Dritte weiterhin mit den 4.000fach falschen BGR-Angaben Infraschall-Märchen erzählen. Deshalb, und wegen einiger, zumindest umstrittener Studien der letzten Jahre hofft Stefan Holzheu nun auf die künftige Bundesregierung: „Ein neuer oberster Dienstherr sollte deren Arbeit genau prüfen. In meinen Augen, hat die BGR das Maß an Skandalen bereits vollgemacht. Neue sollte es nicht mehr geben.“