03.06.2022
Geothermie für alle! Energieverbände fordern mehr Politik-Engagement
Ein Bericht von Heinz Wraneschitz
Geothermie: Erdwärme hat das Potenzial, um ein Viertel des Raumwärmebedarfs hierzulande zu decken. Bereits 2030 sollen bis zu 10 TWh Wärme pro Jahr durch Tiefe Geothermie bereitgestellt werden, steht im Koalitionsvertrag der Ampelregierung. Aber nicht, wie.
Dabei „kann neben den klimapolitischen Vorzügen die weitere Erschließung von geothermalen Potenzialen in Deutschland zu mehr Versorgungssicherheit im Wärmemarkt beitragen, indem sie die Importabhängigkeit von Primärenergieträgern verringert“: Das ist in der Einleitung zu einem Acht-Punkte-Papier nachzulesen.
Darin haben vier Energieverbände ihre gemeinsamen Forderungen an die Politik zusammengetragen: Der Bundesverband Geothermie, der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU), der Energieeffizienzverband AGFV und der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE), dem auch die DGS angehört. Am Mittwoch informierten die Vier in einer Pressekonferenz aber auch darüber, warum Geothermie womöglich erst 2040 einen wirklich großen Anteil zur Wärmeversorgung beitragen könnte.
Gerade bürokratische Hürden wurden als Gründe genannt. „Es dauert im Moment viel zu lange, acht Jahre von der Erkundungsbohrung bis zur Inbetriebnahme.“ Die von Bundesverband Geothermie (BGT)-Präsident Helge-Uve Braun vorgetragene Kritik an der heutigen Genehmigungspraxis für große Geothermieanlagen ist nur ein Aspekt, warum die Erdwärme bis heute nicht wirklich in der Fläche vorankommt. Braun ist hauptberuflich Geschäftsführer der Stadtwerke München (SWM). Und in Bayerns Metropole soll beim Heizkraftwerk Süd „die größte innerstädtische Geothermieanlage Europas stehen“, so SWM. Per Fernwärme aus der Tiefe sollen „rund 80.000 Münchnerinnen und Münchner versorgt werden“. Und zwar über die Wärmenetze der Innenstadt, in Sendling und in Perlach. Nur wann genau, das ist immer noch offen. Dabei starteten die ersten vorbereitenden Arbeiten bereits im Sommer 2016.
Derzeit träumt der BVG-Präsident von einer Verkürzung der Planungs- und Bauzeit auf drei bis fünf Jahre für eine größere Geothermieanlage. Doch dafür müssten vor allem die „zig Behördengänge zu Baurecht, Umweltrecht, Bergrecht und mehr“ reduziert werden. Zumal offenbar von Bundesland zu Bundesland, von Behörde zu Behörde unterschiedliche Verfahren greifen.
Nils Weil, im stadtwerkenahen Verband VKU für den Wärmemarkt zuständig, sieht die Städte und Gemeinden in der Pflicht: Die müssten endlich kommunale Wärmeplanungen realisieren. „Dieses Planungsinstrument ist geeignet, um Wärmenetze voranzubringen.“ Netze wiederum sind Voraussetzung, um Erdwärme an Wohn- wie Gewerbegebäude zu bringen. Auch wenn gerade große Städte wie München oder Hamburg hier vorangingen: „Kommunale Wärmeplanung sollte auf Bundesebene verankert werden. Eine Verpflichtende Einführung würde alles beschleunigen“, also neben Netzen auch Geothermie, da ist sich Nils Weil ganz sicher.
Christian Heine, Vorstandsmitglied der AGFW und Geschäftsführer der städtischen Wärme Hamburg bedauert: „Geothermie, obwohl ganzjährig verfügbar, fristet im Norden immer noch ein Schattendasein. Dabei bietet das norddeutsche Becken ein großes Potential.“ Doch für die Investitionssicherheit brauche es noch weitere Bohrungen, um mehr Daten zu gewinnen. In Hamburg selber gebe es die inzwischen, ausgelöst durch das vom Bund geförderte Reallabor IW³ Wilhelmsburg. „Und wir sind fündig geworden“, so Heine. Dass Geothermie künftig bei der Fernwärme eine wichtige Rolle spielen müsse, ja werde, das steht für den Hamburger fest. Und, dass durch die Sektorenkopplung von Industrieabwärme, Abwasserwärme, Geothermie mit Großwärmepumpen „jede Kilowattstunde mehrfach genutzt werden muss“ ebenfalls.
Denn „die Dekarbonisierung im Wärmesektor steht ganz oben auf der Agenda. Hier liegt ein schlafender Riese noch darnieder“, formuliert es sehr blumig Simone Peter, die Präsidentin des BEE. Obwohl Wärme insgesamt 52 Prozent am Endenergieverbrauch ausmache, stehe sie erst seit der Ampel-Koalition im Blick.
„In sieben Jahren wollen wir den Erneuerbaren Anteil an der Wärme auf 50 Prozent steigern. Da müssen viele Prozente Geothermie dabei sein“, fordert Peter „ambitionierte Maßnahmenpakete für die Wärmewende. Geothermie fehlt bisher“, nennt sie als Ergänzungswunsch für das anstehende „Energie-Sommerpaket“ der Bundesregierung. Außerdem sei „der Ausbau der Wärmenetze ganz zentral. Der wird den Anforderungen nicht gerecht“, wiederholt Peter eine Hauptforderung ihrer männlichen Vorredner.
Und dann spricht sie noch zwei menschelnde Punkte an: „Der Fachkräftemangel ist auch in der Geothermie ein Thema, gerade in den Behörden. Dort ist der Flaschenhals. Und um die Akzeptanz zu stärken, müssen die Bürger:innen früh beteiligt werden“, sobald Geothermieprojekte angedacht werden. Potenzialstudien gebe es genug, ergänzt die BEE-Präsidentin und nennt „viele Möglichkeiten, von Grubenwässern in NRW und im Saarland bis zu Abwässern“.
Dass es nicht immer Tiefengeothermie-Lagerstätten in mehreren tausend Metern Tiefe mit Temperaturen von über 100 Grad Celsius sein müssen, bestätigt auch Helge-Uve Braun: „Es gibt unterschiedliche Technologien, bis 400 Meter Tiefe geht überall, auch mitteltiefe und oberflächennahe Geothermie muss genutzt werden. 187 Terawattstunden (TWh) jährliches Potenzial bis 2040“ sieht er insgesamt, etwa ein Viertel des Raumwärmebedarfs in der BRD. Derzeit ausgeschöpft seien bislang gerade mal 1,4 TWh.
Doch stünden immer wieder falsche Behauptungen im Raum wie die von „seismischen Ereignissen durch Geothermie. Wir erkunden den Untergrund in München seit 20 Jahren: Es gab kein einziges solches Beben“, versucht der BGT-Präsident Ängste zu nehmen.
Vielleicht hätten die Menschen aber auch wegen der Seismik-Laster Angst bekommen, die vielerorts mittels Schallwellen den Boden auf Potenziale erkunden, schiebt er nach. So wie beispielsweise 2018, als das GeoZentrum Nordbayern der Uni Erlangen den Untergrund von Franken beschallen ließ.
Offenbar mit Erfolg. Auf unsere aktuelle Nachfrage spricht Projektleiter Wolfgang Bauer jedenfalls von „wichtigen Erkenntnissen. Wir konzentrieren uns jetzt auf mögliche Tiefengeothermie in den Hassbergen, Raum Haßfurt und Ebern.“ Das wäre dann Geothermie auch am Land, also wirklich für alle!