02.12.2022
Neue E-Auto-Märchen
Ein Bericht von Götz Warnke
Eigentlich ist es klar, dass eine Elektrifizierung des Verkehrssektors unumgänglich ist, und dass wir hinsichtlich der in diesem Sektor „low hanging fruits“ wie dem Straßenverkehr – Binnenschiffs- und Flugverkehre sind da erheblich schwerer umzustellen – möglichst schnell voran kommen müssen. Und dennoch werden wissentlich oder unwissentlich immer wieder Geschichten verbreitet, die diese Elektrifizierung als schädlich, unmöglich oder sonstwie negativ darstellen. Um dieser Antipropaganda nicht zu viel Raum zu geben, muss sich ein Fachautor leider immer wieder damit beschäftigen, wie z.B. hier, hier oder hier.
Märchen: E-Autos sind Jobkiller
Fakt ist: Für die Herstellung eines E-Autos werden deutlich weniger Arbeitskräfte benötigt als bei einem Verbrenner. Sollte Deutschland daher nicht einfach auf E-Autos verzichten und so die Arbeitsplätze erhalten? Falsch! Denn die deutsche Autoindustrie ist hochgradig exportabhängig, und ihre wichtigsten Kunden wie China, die USA und andere EU-Staaten haben längst entschieden, auf E-Mobilität zu setzen: China wegen der Luftschadstoffe und der Erhitzung in seinen Megacities; die USA, weil in dem Land der Trapper-Tradition möglichst unabhängig gelebt werden will und niemand auf die Idee käme, für Solar- und Ladeinstallationen am eigenen Haus z.B. auf die gnädigliche Erlaubnis von Denkmalschützern zu warten; Dänemark z.B., weil es sich mit E-Mobilität und Windstrom die Abhängigkeit von teuren Erdöl-Importen erspart. Da gibt es natürlich kein zurück. Dazu kommt ein anderer Fakt: Deutsche Automanager haben zu lange den Trend zur E-Mobilität verschlafen. Das kostet jetzt Arbeitsplätze – und nicht die Emobility per se.
Märchen: E-Autos fahren mit schmutzigem Strom
Eine entsprechende Studie wurde letztens wieder von Professor Ulrich Schmidt vom Institut für Weltwirtschaft vorgelegt. Schmidt hatte schon vor Jahren ein Papier mit ähnlichem Tenor publiziert, und dabei deutlichen Widerspruch u.a. vom Fraunhofer ISE geerntet. Nun wäre es am einfachsten auf die damalige Replik des ISE zu verweisen. Doch zwei Fakten sind noch mal hervorzuheben: Viele E-Auto-Käufer besitzen bereits einen Vertrag mit einem Ökostromanbieter. Wenn bei letzterem durch die vielen E-Autos die Stromabnahme steigt, so muss er neue Ökostromanlagen errichten, was die Anbieter auch tun. Dazu kommt, dass bei Privatleuten die Anschaffung eines E-Autos meist mit der Anschaffung einer PV-Anlage einher geht – allein schon, um möglichst günstig Fahrstrom laden zu können. Insofern können die Schmutziger-Ladestrom-Geschichten stracks ins Märchenland verwiesen werden.
Märchen: Millionen E-Autos überlasten das Stromnetz
Wenn Millionen E-Autos zugleich laden, bricht das Stromnetz zusammen – heißt das verbreitetste Schreckensszenario. Das ist zwar richtig, gilt aber seit Jahrzehnten auch für das zeitgleiche Einschalten aller E-Herde oder das Einheizen aller E-Saunen in bestimmten Nobelvierteln, ohne dass das Szenario bisher eingetreten ist. Nun muss ein E-Auto, das im Nahbereich (Fahrt zur Arbeit, zum Einkaufen etc.) bewegt wird, zumeist nur einmal pro Woche laden, und das meist zu Hause mit Ladeleistungen von 2,4 bis 11 kW. Dass also alle E-Autos zur gleichen Zeit mit hohen Ladeleistungen von 11 kW und mehr geladen werden, ist also extrem unwahrscheinlich. Doch auch hierzu haben sich die Netzbetreiber angesichts steigender E-Auto-Zahlen bereits Gedanken gemacht. Klar ist: Ein Ausbau des Stromnetzes und insbesondere auch der Erneuerbaren Energien ist dringend notwendig. Aber zugleich werden Entwicklungen wie große Heimspeicher, Bidirektionales Laden, Wechselakkus und die fahrzeugintegrierte PV (VIPV) die Probleme beim Hochlauf der Elektromobilität deutlich entschärfen.
Märchen: E-Autos-Akkus lassen sich nicht recyceln
Diese Geschichte ist nur halb wahr, und wenn sie als Umweltsünde der Elektromobilität dargestellt wird, sogar irreführend. In der Tat gibt es bisher nur verschiedene Pilotprojekte, aber kein industrielles Recycling große Auto-Akkus. Das liegt vor allem darin, dass die Recyclingfirmen gar nicht genügend zu verwertende Schrott-Akkus bekommen. Dies hat wiederum zwei Gründe: zum einen können die Autohersteller mittels Diagnosetools einzelne, beschädigte Zellen austauschen, und müssen nicht gleich den ganzen Akku entsorgen. Zum anderen halten die Akkus viel länger als erwartet, ja, sie können nach ihrer Zeit im Auto sogar noch ein zweites Leben in großen Stromspeicher-Farmen absolvieren. Was also gern als Negativargument gegen die Elektromobilität hervorgebracht wird, ist also eigentlich eine Erfolgsgeschichte.
Märchen: E-Autos machen das Autofahren unbezahlbar
Elektroautos gibt es vor allem in den Versionen groß und teuer; sie sorgen damit für das Verschwinden der günstigen Kleinst- und Kleinwagen und sind so letztlich unsozial – so ein Narrativ, der sich schon vor Jahren bei Harald Lesch findet und seitdem immer wieder in der einen oder anderen Schattierung wiederholt wird. Nun produziert gerade die deutsche Autoindustrie derzeit vor allem große und teure Fahrzeuge. Das hängt zum einen am Chipmangel auf Grund der ostasiatischen Lockdowns – die wenigen Chips verkaufen sich halt in einem großen Auto teurer – , zum anderen daran, dass die verschlafenen deutschen Autokonzerne dringend Geld für ihre Aufholstrategie bei der E-Mobilität benötigen. Dennoch gibt es auch kleine E-Autos: da sind zum einen die Leichtfahrzeuge wie der französische Citroen Ami, der niederländische Carver oder der Schweizer Microlino. Zum anderen gibt es auch „richtige“ Autos wie u.a. den e.GO Life 60, den Renault Twingo E-Tech oder den Dacia Spring. Mit den neuen, sehr viel billigeren Natrium-Ionen-Akkus ab 2023 wird sich das Kleinfahrzeug-Segment nochmals deutlich ausweiten.
Märchen: E-Autos sind nicht anhängertauglich
E-Autos sind angeblich nicht geeignet, Anhänger, Wohnwagen oder größere Bootsanhänger zu ziehen. Fakt ist, dass das für viele Kleinwagen zutrifft, und selbst die Anhängerkupplung des VW ID3 ist allenfalls als Stütze für einen Fahrradträger zu gebrauchen. Andererseits gibt es inzwischen eine Vielzahl von E-Autos, die als „Zugmaschine geeignet sind, wie im Internet unschwer beim ADAC oder bei ENBW nachgelesen werden kann. Also wieder mal eine Behauptung, die ganz schnell ins Märchenland entschwindet.
Märchen: E-Autos sind zu schwer für die Leitplanken
Nach einem Bericht von Focus würden neben großen SUVs vermehrt schwere Akku-Autos die Leitplanken auf Autobahnen durchbrechen. Nun sind E-Autos wegen des Akkus in der Tat schwerer als ihre fossilen Pendants. Allerdings gibt es Jahrzehnten schwere Geländewagen wie z.B. die Mercedes G-Klasse mit einem Leergewicht von 2.500 kg – ohne Sonderausstattung! – oder den Toyota Landcruiser mit bis zu 2.400 kg Leergewicht. Eine Renault ZOE kommt auf 1.580 kg, und selbst die Oberklasselimousine Tesla S ist mit einem Leergewicht von 2.100 kg gegen die o.a. Geländewagen fast schon ein Leichtgewicht. Dazu werden unsere Autobahnen auch von Lieferwagen bevölkert und sogar von LKWs, deren zulässiges Gesamtgewicht (zGG) 10 bis 15 mal so hoch ist. Die Wahrheit hinter dem Märchen: die Anforderungen an die Leitplankenstärke sind schon für die bisherigen Fahrzeuge zu schwach – mit der Verbreitung der E-Autos hat das nichts zu tun.
Märchen: E-Autos sind extreme Feinstaubschleudern
Die EU-Kommission hat im November ein Konzept für die neue Auto-Abgasnorm Euro 7 vorgelegt, die ab 2025 gelten soll und die auch Feinstaubemissionen von Reifen und Bremsen limitiert; die Auto-Abgasnorm gilt alle Autos und damit auch für E-Autos. Doch in den Medien wird daraus gleich wieder ein spezielles E-Auto-Problem gemacht. So schreibt das Hamburger Abendblatt am 11.11.2022, S. 24: „Die neuen Auflagen sind nach Kommissionsangaben die ersten weltweit, sie sollen auch für Elektroautos gelten – weil die Stromer durch ihre Batterien relativ schwer sind, sind die Emissionen durch die Brems- und Reifenabnutzung vergleichsweise hoch.“ Und damit wird die Geschichte zum Märchen: denn während der Reifenabrieb vom Gewicht abhängt – und da sind nicht nur E-Autos schwer (s.o.) – und besonders an Ampeln oder in Kurven auftritt, haben E-Autos beim Verzögern einen großen Vorteil: sie müssen nicht nur bremsen, sie können auch rekuperieren. Damit entfällt der Bremsabrieb und die Bremsen bleiben kühl. Wer es nicht glaubt, sehe sich den Rekuperationstest von „Auto Motor Sport“ an: Während nach einer Berg-zu-Tal-Fahrt bei Fossil-Fahrzeugen die Bremsen oft rotglühend sind, können sie bei E-Autos noch mit bloßen Fingern angefasst werden.
Fazit
Auch an vielen E-Autos gibt es hinsichtlich zu groß, zu schnell, zu schwer, zu SUVig, zu teuer berechtigte Kritik. Doch die obigen Märchen wollen nicht auf Missstände oder Probleme der E-Mobilität hinweisen, sondern im Sinne einer Einsatzverlängerung von Fossil-Fahrzeugen das E-Auto diskreditieren. Solche Manipulationen können wir uns aber angesichts der sich verschärfenden Klimakrise nicht mehr leisten.