02.11.2018
Mit Schallwellen in die Unterwelt
„Erhöhter Energiefluss im Untergrund Oberfrankens“ wird untersucht: Seit Kurzem wird Franken aufgerüttelt. „Aber nur ein wenig. So, wie wenn ein großer Lkw vor dem Haus vorbeifährt“ erklärt Wolfgang Bauer das „Geowissenschaftliche Forschungsprojekt 2D-Seismik in Oberfranken“. Beim offiziellen Rüttelstart südlich von Bayreuth konnten Gäste die Schallwellen an den eigenen Füßen spüren.
Doch warum das Ganze? „In Teilen von Nordbayern nimmt die Temperatur in die Tiefe stärker zu als anderswo. Mit dem Projekt hoffen wir, die Ursachen zu finden“, erläutert Bauer vom GeoZentrum der Friedrich-Alexander-Uni Erlangen (FAU). Was der Forscher damit meint: Möglicherweise gibt es im Dreieck zwischen Bamberg, Coburg und Schweinfurt genug unterirdisches Potenzial, um die Wärme aus der Erde für die Heizung von Gebäuden oder andere Energieanwendungen zu nutzen.
In Oberbayern rund um Ober- oder Unterhaching wird die geothermische Energie ja bereits seit etwa einem Jahrzehnt für Heizzwecke verwendet. Die Wärmequellen, heißes Wasser, fand man, als dort eigentlich nach Öl gebohrt wurde. Die ziemlich reichen Kommunen rund um München trauten sich damals, viel Geld in Geothermie-Versuche zu investieren. Und sie waren erfolgreich. Zum Beispiel in Unterhaching.
Zu dieser Zeit war Erwin Knapek 1. Bürgermeister der Gemeinde. Heute ist er Präsident des Bundesverbandes Geothermie, kurz GtV. Und Knapek freut sich, dass nun auch in der Tiefe unter Oberfranken die Nutzbarkeit der Erdwärme erforscht wird. Deshalb ist er sogar persönlich zum Rüttelstart gekommen.
Eigentlich wisse man sogar schon länger vom „erhöhten Energiefluss unter Oberfranken“, gibt Wolfgang Bauer zu. Das geothermische Potenzial sei hier viel höher als selbst im Süden Bayerns. So wurden bei Bohrungen nahe Mürsbach im Kreis Bamberg in 1.000 Metern Tiefe 48 Grad Celsius (°C) festgestellt; anderswo üblich seien laut Wolfgang Bauer gerade mal 33 °C. Dieses anomalische Wärmepotenzial sei zwar bereits seit den 1970er Jahren durch Bohrungen nach Gasvorkommen bekannt. Genutzt werde das heiße Tiefenwasser aber bislang nur in den drei Thermalbädern Rodach und Staffelstein in Oberfranken sowie Colberg in Thüringen. 50 bis 60 °C betrage dabei die H2O-Temperatur; es stamme aus 1.400 Metern Tiefe.
Nun kommt es also zu den ausgedehnten Untersuchungen des Tiefen-Geothermie-Potenzials. Das Geothermie-Zentrum der FAU ist dabei im Rahmen eines Forschungsprojekts der Geothermie-Allianz Bayern unterwegs, einer Kooperation der Unis aus Erlangen und Bayreuth und der TU München. Das Geld dafür – das Projekt kostet immerhin 2,1 Mio. Euro – steuern Bayerns Staatsministerien für Wissenschaft sowie Umwelt bei.
40 Menschen sind in den nächsten Wochen in Oberfranken unterwegs, um „bis zu sechs Kilometer in den Untergrund hinein zu horchen“, wie es in der Info für die Bevölkerung heißt. Seit April 2018 werden die Menschen der betroffenen Landkreise informiert; treten Forscher in kommunalen Gremien auf; finden Gespräche mit den etwa 50.000 Grundstückseignern statt, die die Rüttelei erlauben müssen. Selbstverständlich seien auf den vier geplanten Messstreifen die Belange des Umweltschutzes, gerade von geschützten Tieren, berücksichtigt worden. „Jetzt ist die Genehmigung vom Bergamt Nordbayern Bayreuth da“, bis Ende November werden die Messtrupps unterwegs sein, also z.B. außerhalb von Brutzeiten.
Deren Messtrupp-Chef heißt Daniel Günther. Der Geschäftsführer der Geophysik GGD aus Leipzig hat für die Kampagne fünf 25 Tonnen schwere Sonder-Lkw aus Italien sowie die dazugehörigen Auswertefahrzeuge angemietet. Auf vier „Profillinien“ mit insgesamt 200 Kilometer Länge werde gemessen. 100 Meter Abstand hätten die „Vibrationspunkte“, die einzelne Rüttelei dauere zwei Minuten, pro Stunde werden zwei Kilometer der „Messlinie“ befahren. Ein „Verkehrssicherungstrupp“ sorge dafür, dass keine Unfälle passieren, heißt es.
Die Frequenzen, die von den Rüttelplatten in den Boden geschickt werden, lägen im Band zwischen zehn und 100 Hertz. Der Schall der Wellen werde von so genannten Geophonen aufgenommen, die in der Erdoberfläche stecken. So entstehe ein zweidimensionales Bild des Untergrundes, beschreibt Geophysiker Günther die Messtechnik.
„Und im nächsten Jahr werden die Ergebnisse interpretiert“, ergänzt Forschungsleiter Bauer. Der ist vom geothermischen Potenzial Frankens offenbar schon jetzt überzeugt: „Der Energiegehalt von vier Kubikkilometer Gestein reicht aus, um zehn Prozent der Wärme für die BRD bereitzustellen, oder um eine Kleinstadt über Jahrhunderte zu versorgen.“ Konkret geht Wolfgang Bauer davon aus, dass „Landwirtschaft, Mälzereien, Baustofftrocknung und mehr“ möglich seien.
Die ganze Euphorie bremste nur der katholische Pater Samuel etwas. Bei der kirchlichen Segnung des Projekts mahnte er: „Bewahre uns davor, die Mächte der Natur zu missbrauchen.“