02.11.2018
Klimaschutz gerichtlich erzwingen
Die letzten Monate haben in der Diskussion um die Dieselfahrzeuge gezeigt, dass Gerichte Maßnahmen durchsetzen (müssen), wenn die Politik entsprechende Entscheidungen nicht trifft. In der vergangenen Woche wurde bekannt, dass auch ein Gericht in den Niederlanden die dortige Regierung nun zum direkten Handeln für Klimaschutz zwingt*. Wird der Klimaschutz immer mehr ein Thema für Juristen? Muss der notendige Klimaschutz über den Rechtsweg durchgesetzt werden? Ein Überblick über die aktuellen Klima-Klagen.
Niederlande: Staat wird zu Klimaschutz gezwungen
In den Niederlanden wurde vor einigen Wochen die Regierung in zweiter Instanz verurteilt, sich stärker für den Klimaschutz einzusetzen. Der Staat müsse weitaus mehr gegen den Klimawandel tun als bisher, urteilte das Zivilgericht von Den Haag und bestätigte im Oktober im Berufungsverfahren das als historisch geltende Urteil der ersten Instanz von 2015. Etwa 900 Niederländer waren damals vor Gericht gezogen, um die Regierung zur Emissionsminderung zu verpflichten. Organisiert wurde der Protest von der Umweltschutzgruppe Urgenda, es war das erste erfolgreiche Verfahren von Klimaschützern gegen einen Staat, um die Reduzierung von Treibhausgasen durchzusetzen. Das Haager Berufungsgericht attestierte der Regierung nun „gesetzeswidrig und in Verletzung der Fürsorgepflicht“ zu handeln.
Verfassungsbeschwerde des SFV
Der Solarförderverein Deutschland (SFV) hat eine Verfassungsbeschwerde wegen unzureichender Abwehr des Klimawandels durch den deutschen Gesetzgeber in Auftrag gegeben und dafür um Spenden gebeten. „Die Bundesregierung vernachlässigt in ihrer Gesetzgebung in eklatanter Weise die Notwendigkeit, den Klimawandel wirksam zu bekämpfen. Nicht einmal das durch das Pariser Klimaabkommen völkerrechtlich verbindliche Ziel, den weltweiten Temperaturanstieg auf möglichst 1,5°C zu begrenzen, kann mit den aktuellen Rahmenbedingungen erreicht werden“, so der SFV zur Begründung. Der BUND hat sich der Klage als Mitkläger angeschlossen, die DGS unterstützt das Projekt durch Öffentlichkeitsarbeit. Derzeit laufen noch die Vorarbeiten, in Kürze soll dazu Neues bekannt gegeben werden, eine Veröffentlichung soll möglichst noch vor der UN-Klimakonferenz (COP24) im polnischen Katowice, die von 3. bis 14. Dezember stattfindet, erfolgen. Weitere Informationen: www.sfv.de
Klage gegen die EEG-Umlage-Befreiung der Großindustrie
Zur Finanzierung der Energiewende über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) wird von allen Stromkunden die EEG-Umlage erhoben. Von allen? Nein, die Großindustrie ist weitgehend von der Finanzierung der Energiewende befreit. Dies hält der Verein Sonneninitiative aus Marburg für eine verfassungswidrige Beihilfe. Rund ein Viertel des Strompreises für Privatleute und kleine Firmen macht die EEG-Umlage aus. Sie wird genutzt, um den Einstieg in eine klimafreundliche und erneuerbare Stromerzeugung – also die Energiewende – zu finanzieren. Die stromkostenintensive Industrie und Schienenbahnen sind von dieser EEG-Umlage ganz befreit. Dadurch zahlen alle anderen, vom Hartz IV-Empfänger über Kommunen bis zum Mittelständler, etwa 25 Prozent mehr EEG-Umlage. Das erhöht den Strompreis um rund 1,6 Cent pro Kilowattstunde. Indirekt unterstützt so eine Durchschnittsfamilie mit einem Verbrauch von 3.500 Kilowattstunden diese Industrie mit 65 Euro im Jahr. Die Sonneninitiative klagt daher gegen die Besondere Ausgleichsregelung (§§ 63 ff. EEG 2017), die den Kohlestromexport und die Belastung der kleinen Stromverbraucher mit Kosten der Industrie erst ermöglicht. Konkret wird gegen den Übertragungsnetzbetreiber Amprion geklagt, der die EEG-Umlage eintreibt. Im September wurde nun gegenüber dem zuständigen Landgericht beantragt, das Bundesverfassungsgericht anzurufen und die Regelung zu klären. Zahlreiche Solarverbände unterstützen diese Klage: Neben der DGS sind das unter anderem der Solarförderverein, das Bündnis Bürgerenergie (BBEn) und Eurosolar. Weitere Infos: www.eeg-klage.de
Klimaklage Greenpeace
In der vergangenen Woche hat auch Greenpeace Deutschland gemeinsam mit drei Familien eine Klage beim Berliner Verwaltungsgericht eingereicht. Nach Ansicht der Kläger verstößt die Bundesregierung gegen Grundrechte, wenn sie nicht weitere Maßnahmen ergreift, um das deutsche Klimaziel für das Jahr 2020 noch zu erreichen.
Die drei Familien führen auf Pellworm sowie in Hamburg und Brandenburg ökologische Landwirtschaftsbetriebe und gehören schon heute durch Ernteausfälle durch Extremwetter wie Trockenheit und Starkregen oder Schädlingsbefall zu den Geschädigten des Klimawandels. Obwohl die Bundesregierung seit 2007 wiederholt verbindlich beschlossen hatte, den deutschen Treibhausgasausstoß bis 2020 um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren, ist der deutsche CO2-Ausstoß seit 2009 nicht gesunken. Indem die Bundesregierung keine weiteren Maßnahmen mehr ergreift, um die Klimaschutzziele 2020 einzuhalten, verstößt sie gegen geltendes deutsches und europäisches Umweltrecht. Denn verknüpft mit dem deutschen Ziel ist ein rechtlich verbindliches Ziel auf EU-Ebene: Endsprechend der BurdenSharing-Entscheidung (406/2009/EG) des Europäischen Parlaments und des Rates von 2009 ist die Bundesrepublik dazu verpflichtet, ihre Emissionen in den sogenannten Non-ETS Sektoren (und dort spielen vor allem die Bereiche Industrie, Verkehr, Landwirtschaft und Gebäude eine entscheidende Rolle) bis 2020 um 14 Prozent im Vergleich zum Jahr 2005 zu senken. Im Jahr 2017 lag die tatsächliche Reduzierung in diesen Sektoren jedoch gerade einmal bei 3 Prozent. Die Langsamkeit der Klimapolitik steht im drastischen Widerspruch zum schnellen Voranschreiten der Klimakrise. Damit verstößt sie nicht nur gegen europäisches Umweltrecht, sie verletzt auch die Grundrechte zum Schutz von Eigentum, Beruf sowie Leben und Gesundheit der von der Erderhitzung betroffenen Menschen.
Einer der Kläger ist die Familie Backsen auf der Nordseeinsel Pellworm. Die Familie beobachtet schon seit Jahren, wie Wetterextreme, darunter Starkregen und Sturmfluten, zunehmen. Die Deiche auf der Insel können bislang Schlimmeres abfangen. Steigt der Meeresspiegel jedoch weiter an und nimmt die Häufigkeit und Intensität von Sturmfluten zu, könnten die Deiche nicht mehr ausreichen, um die Insel zu schützen. Das Land der Familie liegt wie ein Großteil der Insel bis zu einem Meter unter dem Meeresspiegel und ist daher vergleichbar mit einer Badewanne. „Die Kläger begehren die Einhaltung und den Vollzug des nationalen Klimaschutzziels 2020, also die Treibhausgasemissionen in Deutschland bis zum Jahr 2020 gegenüber dem Basisjahr 1990 um 40 % zu reduzieren.“, so die Klageschrift. Die Juristin der Kläger ist die gleiche Anwältin, die bereits den peruanischen Bauern Luciano Lliuya im Verfahren gegen RWE vertritt. Weitere Informationen: www.greenpeace.de
Klima in Bayrische Verfassung
25.000 Unterschriften – das ist das Ziel von „Klimaschutz – Bayerns Zukunft“ für die Zulassung eines Volksbegehrens. Ziel dieser Initiativ ist es, den Klimaschutz in der bayerischen Verfassung zu verankern. Konkret ist eine Erweiterung des Artikels 141 Absatz 1 der Bayerischen Verfassung vorgesehen. Dieser definierte es bislang als Aufgabe des Staates, für den Schutz von Wasser, Boden und Luft als natürliche Lebensgrundlagen zu sorgen. Dies soll ergänzt werden um den Schutz des Klimas. Ein Verfassungsartikel zur Pflicht des Staates, für elektrischen Strom zu sorgen, soll um einen Halbsatz ergänzt werden mit dem Ziel, die Stromversorgung vollständig auf erneuerbare Energien umzustellen. Anfang September wurde die Unterschriftenaktion gestartet, die bis 4. Oktober lief. Der derzeitige Stand leider nicht im Web veröffentlicht. Weitere Informationen: www.klimaschutz-in-die-verfassung.de
Zahlreiche weitere Klimaklagen laufen in vielen anderen Staaten, eine von Greenpeace erstellte Übersicht kann gerne per Mail beim Autor angefordert werden.
Jörg Sutter
* siehe auch Klima: Zwischen Problem und Antwort klafft eine große Lücke, DGS-News vom 12.10.18