02.11.2018
Hoffnung auf die Kohlekommission
Energie-Dezentralität statt Stromtrassen gefordert: Wer Josef Hasler, dem Vorstandsvorsitzenden der N-Ergie zuhört, kann leicht das Gefühl bekommen, es gibt in Zukunft zwei Energiesysteme in Deutschland. Das eine von Bundes-Energieminister Peter Altmaier, der es dann geschafft hat, viele Nord-Süd-Stromtrassen durch die Republik gebaut zu haben. Und das andere: Gallische Energieecken in Franken und wer weiß sonst noch wo, aus regionalen erneuerbaren Kraftwerken mit Strom und Wärme versorgt, wo nur noch Elektroautos fahren.
Denn dass sichere Stromversorgung auch dann funktioniert, wenn einstige Stromkunden, die heutigen „Prosumer“, Elektroenergie aus zigtausend dezentralen Kraftwerken liefern, beweist etwa die Main Donau Netz GmbH (MDN). Die Verteilnetztochter der N-Ergie schaffe es, so Hasler, „immer mehr dieser volatilen Energiemengen zu managen.“ Der Clou dabei: Die Erneuerbaren tragen auch wesentlich zu einer gestiegenen Versorgungssicherheit bei. Leider spielt das in den Medien jedoch kaum eine Rolle, beklagt Hasler, dort wird meist nur der vermeintlich notwendige Bau der Stromtrassen thematisiert, erklärte der „Stadtwerker“ am Dienstag dieser Woche in Nürnberg. Dort stellte er sich gemeinsam mit Hubert Weiger der Presse.
Weiger, 1. Vorsitzender des BUND Deutschland und Ehrenvorsitzender des Bund Umwelt- und Naturschutz in Bayern, ist Mitglied der Kohlekommission der Bundesregierung. Die soll bis Mitte 2019 die Vorlage für ein Bundes-Klimaschutzgesetz liefern, das Ende 2019 fertig sein soll. „Das ist unser gemeinsames Ziel. Ein Scheitern können wir uns nicht leisten“, sagt Weiger und betont: Das Positiv der Kohlekommission sei, „dass endlich mal alle zusammensitzen“, Umweltverbände, Politik, Gewerkschaften, Wirtschaft und auch Betroffene, …
Glaubt man dem BUND-Mann, dann wüssten alle Mitglieder, dass man auch schnellstens ein Transformationsgesetz brauche, um den Strukturwandel von CO2-haltiger auf nachhaltige Energieversorgung hinzubekommen. „Länger warten geht nicht“, da helfe auch kein Beharren auf Kohle- und Industriekultur. Denn „die in Paris beschlossene CO2-Budgetierung wird immer noch falsch verstanden.“ Auch liege der im Klimaabkommen vereinbarte Zeitplan zum CO2-Ausstieg weiterhin nicht vor.
Stattdessen kritisierten Hasler und Weiger unisono das heutige System an Abgaben und Steuern für die verschiedenen Energieträger: „Das bremst die Sektorenkopplung von Strom, Wärme, Verkehr und Landwirtschaft und bestraft die Akteure finanziell.“ Doch statt „diesen Kardinalfehler der unsachgemäßen Besteuerung der Energieträger zu beseitigen, werden Milliarden an Fördermitteln aufgewendet“.
BUND und N-Ergie setzen deshalb gerade auch auf die künftige Bayerische Staatsregierung, an deren Koalitionsvertrag mit dem Nürnberger Landrat Armin Kroder von den Freien Wählern ein aktiver Trassengegner mitstrickt. Der Freistaat müsse sich im Bund für eine grundlegende Überarbeitung der Energie-Besteuerung einsetzen. Hauptforderung sei, die Emission von CO2 und anderen Treibhausgasen mit höheren Kosten zu belegen. „Ohne CO2-Steuer geht es nicht“, so Hasler und Weiger.
Josef Hasler verfolgt den - zuerst vom VDE konzipierten - Ansatz der „zellularen Energienetze“ seit einigen Jahren konsequent. Und dafür findet die N-Ergie, immerhin der achtgrößte Energiekonzern Deutschlands, immer mehr Verbündete. Gemeinsam mit fünf anderen Bayerischen Versorgern und dem Umweltverband Bund Naturschutz in Bayern (BN) stellten die Nürnberger Ende 2017 ein „4-Punkte-Papier: Forderungen für den Klimaschutz an die neue Bundesregierung“ vor. Kurz zuvor hatte sich die N-ERGIE bereits mit dem BN, Kommunalvertretern sowie fränkischen Gegnern neuer Höchstspannungs-Stromtrassen quasi verbündet: In einer Abendveranstaltung mit dem Regierungsberater Prof. Lorenz Jarass wurde die „Kohle-Stromtrassen-Lüge“ gebrandmarkt. Danach verstopft der bevorzugt eingespeiste Kohlestrom im Osten die bestehenden Übertragungsleitungen. Und deshalb müssten gerade in Deutschlands Norden Windkraftwerke heruntergeregelt werden; das wiederum gelte der Bundesnetzagentur als Grund, mehr Leitungen zu genehmigen.
Ohnehin sollten Gas- oder Strom-Übertragungstrassen, die Grundpfeiler der Energieinfrastruktur, wieder in öffentlichen Händen liegen: Auch da sind sich BN und N-Ergie einig. Dann wäre es auch leichter, Windstromüberschüsse per „Power to Gas“ (P2G) zu speichern und über große Entfernungen zu transportieren: Die Gasdruckleitungen längs und quer durch die Republik sind ja vorhanden. Anders als die umstrittenen, neu geplanten Hochspannungstrassen, egal ob mit Gleich- oder Wechselspannung.
An dieser Stelle warf N-ERGIE-Prokurist Rainer Kleedörfer ein: Auch die im Bau befindlichen Erdgas-Pipelines von Russland nach Westeuropa und der Ausbau von LNG-Terminals seien parallel zum Ausbau Erneuerbaren Energien kontraproduktiv, notwendige Investitionen in Power to Gas, werden dadurch ausgebremst. Und grundsätzlich sei eine „Bevorzugung karbonhaltiger Energie überholt“, es sei ein „energiepolitischer Fehler nicht konsequent auf neue Schlüsseltechnologien umzuschwenken und zu lange auf Altem zu beharren.“
Genau das Gegenteil sind Smart Home oder Smart Grid. Laut dem Berliner StartUp-Unternehmen Fresh Energy böten neuartige Mess- und Regeltechniken die Chance, „from Kilowatt to Kilobyte to Kilocash“ zu kommen, also echt viel Geld zu erwirtschaften. Und nicht zu vergessen: Energie intelligent zu nutzen. Vielleicht deshalb hat der Konzern Innogy bei dem Berliner „Energieversorger wider Willen“ (so ein Mitarbeiter dieser Tage in Nürnberg) strategisch investiert.
So scheint es für Stadt- und Gemeindewerke geradezu Pflicht, sich mit SmartHome und Smart Grid zu beschäftigen: Solche Inseln unterschiedlicher Größe lassen sich zu dezentralen Energie-Zellen verknüpfen, gab sich Gerhard Kleineidam vom VDE Nordbayern sicher. Das könne bis hin zur Nutzung von SmartHomes als Erzeugungs- und Speichersysteme für die Energiewirtschaft gehen. Kleineidam leitet den VDE- Arbeitskreis „Energieversorgung 4.0“, der sich mit genau jener Energie- und Intelligenz-Vernetzung beschäftigt.
Bei N-ERGIE-Chef Josef Hasler rennt Kleineidam mit seinen Ideen wohl offene Türen ein. Denn „Energieversorgung 4.0“ setzt auf intelligente, dezentrale Energieeffizienz. Das Gegenteil erkennt Hasler bei „neuen Trassen: Die sparen keinen Strom ein.“
Und Hubert Weiger hofft, dass die Politik dabei hilft. Denn immerhin ist das von der Kohlekommission zu skizzierende Klimagesetz „Teil des Fahrplans der GroKo bis zur Halbzeit der Legislaturperiode“ – also Ende 2019.
Matthias Hüttmann/ Heinz Wraneschitz
Forderungen für den Klimaschutz an die neue Bundesregierung
- der Stadtwerke Neuburg an der Donau
- der Stadtwerke Neuburg an der Donau
- der N-Ergie Aktiengesellschaft, Nürnberg
- der Stadtwerke Rosenheim
- der SWW Wunsiedel GmbH
- der Stadtwerk Haßfurt GmbH
- der Überlandzentrale Lülsfeld eG
- des BUND Naturschutz in Bayern, e.V.
1) Forderung „Dezentrale Energiewende“
Die Bundesregierung wird den Grundsatz einer möglichst dezentralen und verbrauchsnahen Energieversorgung im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) festschreiben. Wir werden einen neuen Ordnungsrahmen für eine dezentrale Energieversorgung entwickeln und einführen. Dazu werden die Steuern, Abgaben und Umlagen entsprechend neu geordnet.
2) Forderung „Wirksame Kohlendioxid-Bepreisung“
Die Bundesregierung wird sich in der EU für eine klimapolitisch und marktwirtschaftlich wirksame Untergrenze eines Kohlendioxidpreises im aktuellen Regime des Emissionsrechtehandels für Treibhausgasen stark machen, mit dem Ziel, die aus der Klimakonferenz Paris 2015 COP21 abzuleitenden nationalen Ziele zu erreichen. Gelingt dies auf europäischer Ebene nicht in der erforderlichen Zeit, wird sie nationale Wege des Emissionsrechtehandels prüfen, gegebenenfalls mit ihren Nachbarländern.
3) Forderung „Reduktion Treibhausgas-Emissionen in den Sektoren Strom, Wärme, Verkehr und Landwirtschaft“
Die Bundesregierung wird für den Klimaschutz COP21-justierte Treibhausgas-Emissionsziele und -budgets der Sektoren sowie Maßnahmen zu deren Erreichen verbindlich festlegen.
4) Forderung „Volkswirtschaftliche Optimierung“.
Die Bundesregierung startet die Netzentwicklungsplanung neu unter gleichberechtigter Berücksichtigung insbesondere dezentraler Energiekonzepte, unterwirft die Netzentwicklungsplanung einer volkswirtschaftlichen Optimierung und prüft Wohlfahrtsgewinne“.
Download: 4-Punkte-Papier „Forderungen für den Klimaschutz an die neue Bundesregierung“ (inklusive Erläuterungen)