02.10.2020
Lediglich effizient: Klimaschutz im Gebäude
Ein Kommentar von Matthias Hüttmann
Die gute Nachricht zuerst: Laut dem aktuellen DIW Wärmemonitor Deutschland sinkt - erstmals seit 2015 - wieder der Heizenergiebedarf in Wohngebäuden. Die CO2-Emissionen sind gar um 21 Prozent seit 2010 gefallen. Nicht so schön ist, dass die Ausgaben für Heizkosten trotzdem um 2,4 Prozent gestiegen sind. Aber das ist ja genau genommen gar nicht allzu viel. Weniger schön ist es, dass die klimaschädlichen Emissionen, hier wurde insbesondere Kohlenstoffdioxid bewertet, temperaturbereinigt gerade einmal um 2,6 Prozent gefallen sind. Doch das ist auch kein Wunder, schließlich waren, global gesehen, die letzten sechs Jahre die heißesten, jemals gemessenen Jahre. In der Reihenfolge 2016 - 2019 - 2015 - 2017 - 2018 - 2014: Der Spitzenreiter ist 2016, an Platz 6 steht 2014. In Deutschland sieht es nicht viel anders aus. Auch hier ist die Reihenfolge ähnlich: 2018 - 2014 - 2019 - 2007 - 2000 - 2015 - 1994 - 2016 - 2017 - 2002 - 2011 ... erst dann, auf Platz 12, folgt das historisch warme Jahr 1934.
Wenn man nun gleichzeitig in Betracht zieht, dass die energetische Sanierung in Wohngebäuden nahezu stagniert, könnte man auf blöde Gedanken kommen. Denn steigen die Temperaturen auch weiterhin, was bekanntlich nicht nur im Sommer, sondern auch im Winter passiert, dann ergeben sich große Potentiale für die Einsparung von Klimagasen. Wird es wärmer, muss man für das Heizen weniger Energie aufwenden. Da man in der Summe natürlich nach wie vor immens viele Treibhausgase durch den Kamin jagt, wird dieser Trend weiter rasch fortschreiten. Und da Klimagase sehr lange in der Atmosphäre verweilen, wird sich diese Entwicklung dann auch entsprechend fortsetzen, selbst wenn man von heute auf morgen die Nullemissionsschwelle erreicht haben sollte. Man müsste folglich gar nicht so viel tun, die heizungsbedingten Emissionen würden kontinuierlich abnehmen. Das ist jetzt natürlich böse und überspitzt formuliert. Denn würden wir diese Taktik tatsächlich verfolgen, würde die "Nebenwirkungen" der Klimakatastrophe ungebremst eskalieren. Schließlich sollten wir uns immer vor Augen führen: Auch nach dem Ende der Treibhausgasemissionen wird es mit der Erderwärmung noch weiter gehen. Sie lässt sich nicht mehr stoppen, sondern "lediglich" bremsen. Es ist daher schon fast ein wenig absurd: Wir werden auch ohne Maßnahmen immer weniger CO2 und Methan etc. zum Heizen emittieren, da wir die Klimaerwärmung bereits soweit angeschoben haben, dass es in Zukunft unweigerlich zu einem geringeren Energieverbrauch - für den Bereich des Heizens wohlgemerkt - kommen wird.
Das sollte uns bewusst sein, wenn wir Zahlen lesen, die uns weismachen wollen, dass wir immer weniger Energie für das Heizen benötigen und Gebäude immer effizienter werden. Das ist zwar tatsächlich der Fall, wenngleich es vor allem natürlich nur den kleinen Teil der Gebäude betrifft. Und es ist leider vor allem letztendlich ein theoretischer Wert. Denn effizient ist an sich noch kein Fortschritt, da es letztendlich um effektive Verbesserungen geht. Es geht um das reale Einsparen und Vermeiden von Emissionen. Es geht nicht um Klimaneutralität, die durch eine andere Reduktion woanders auf unserem Planeten rechnerisch passiert. Und, das ist zwar eine Binsenweisheit, es geht nicht um spezifische Einsparungen, also um Einsparungen pro m2 beheizter Wohnfläche, sondern mindestens um große Einsparungen pro Bewohner.
Das ist zwar alles seit Langem schon bekannt. Ebenso wie die Tatsache, dass die seit Jahrzehnten stetig verschärften Bauvorschriften nur wenig gebracht haben. Und auch wenn nach zähem Ringen das Gebäudeenergiegesetz endlich auf den Weg gebracht wurde, das Problem liegt ganz woanders. Um es mal so zu sagen: Deutschland ist längst gebaut, der Gebäudebestand ist der "Casus knaxus". Es fehlen weniger die Anreize energiesparende Gebäude zu bauen, sondern dies nicht zu tun und anstelle dessen vielmehr die Bestandsgebäude zu sanieren. Statt Eltern-Baugeld für weitere Gebäude in Neubausiedlungen zur Verfügung zu stellen, müsste besser ein Programm aufgelegt werden, das den Erwerb von Bestandsgebäuden belohnt, insbesondere wenn diese Gebäude rohstoffarm saniert werden. Denn wer heute unbedingt noch sein Eigenheim im Grünen bauen möchte, sollte sich durchaus die Frage gefallen lassen müssen, ob das noch zeitgemäß ist, wenn gleichzeitig Häuser leer stehen oder abgerissen werden, obwohl sie nicht baufällig sind.
In dem Zusammenhang sollte keineswegs die Verschärfung der energetischen Verordnungen (Wärmeschutzverordnung (WärmeschutzV 1 bis 3), Energieeinsparverordnung (EnEV 2007, 2009, 2013) und Gebäudeenergiegesetz) schlecht geredet werden, schließlich tangieren auch sie, wenn auch viel zu wenig, die Sanierung. Jedoch spielen sie klimapolitisch gesehen nur eine kleine Rolle. Vielmehr sollte die Devise lauten: "Sanieren ist das neue Bauen!" Aber leider ist es wenig bekannt, dass die Energiebilanz von sanierten Bestandsgebäuden im Vergleich zum Neubau meist besser als vermutet ist. Dies zeigen beispielsweise die Berechnungen des Bremerhavener Architekten Hans-Joachim Ewert. Dort schnitt die Sanierung stets besser als der Abriss mit anschließendem Neubau ab, selbst im Vergleich zum Passivhaus. Mal ganz abgesehen von den Kosten. Ein Abriss mit Ersatzneubau vergleichbarer Größe liegt oft unter dem Preis eines neu errichteten Passivhauses. Und überhaupt: Es gibt noch die Aspekte der Flächenzersiedlung und Naturzerstörung, optischen Beeinträchtigungen, Bodenverdichtung, die Zerstörung gewachsener Stadt- bzw. Dorfstrukturen, Leerstand und gleichzeitige Wohnungsnot, teure Neubaumieten. Das unreflektierte Bauen ist ökologisch, sozial und ökonomisch oft nicht sinnvoll. Zudem geht es auch um eine Wertschätzung von Gebäuden, deren Lebenszyklus nach 50 Jahren noch nicht abgeschlossen sein muss. Oft wird Baukultur nur bei außergewöhnlichen Schätzen wahrgenommen.
Deshalb müssen wir unseren Blick neu ausrichten. Wir müssen wegkommen von einem auf den Energieverbrauch ausgerichteten Fokus und uns der Gesamtenergie- und Rohstoffbilanzen zuwenden. Auch hier ein wenig provokant: Wir brauchen nicht nur bessere, sondern vor allem weniger Neubauten. Das trifft natürlich auf vieles zu: Wir brauchen nicht nur effizientere, sondern vor allem weniger Mobilität. Wir brauchen nicht nur besseren Datenschutz, sondern vor allem weniger Daten.... to be continued.
Weitergehende Infos
- DIW: Deutsche Haushalte heizen etwas weniger - CO2-Emissionen sinken kaum
- Spiegel: Heizkosten steigen trotz sinkendem Energieverbrauch
- BDEW: Rund die Hälfte der Wohnungen in Deutschland werden mit Gas beheizt
- Agentur für Erneuerbare Energien: Der aktualisierte Wärmekompass
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