02.09.2016
Unsere Antwort auf Gabriel: „Erneuerbare Energien First“
Der SPD-Vorsitzende und Vizekanzler Sigmar Gabriel hatte Anfang August seine neue politische Linie bei der Energiewende ausgegeben. „Efficiency First“ lautet seine Devise, die sich in der Urlaubszeit wohl noch gar nicht überall herumgesprochen hat. Für eine Organisation wie die Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie, die sich seit 40 Jahren die Verbreitung der Sonnenenergie auf ihre Fahnen geschrieben hat, eine Provokation. Die Antwort kann nur lauten: Es bleibt dabei, „Erneuerbare First“! Nun mag das für die DGS-Mitglieder eine Selbstverständlichkeit sein, sonst würden sie sich nicht in dieser Organisation engagieren. Darüber hinaus wirft es aber ein Schlaglicht auf die Situation der Energiewendebewegung und der Bürgerenergie. Sie wird heftig von der regierenden Großen Koalition angegriffen. Die Träume vom gemeinsamen Ziel Energiewende, wie sie 2011 mit den Beschlüssen der damaligen Bundesregierung aufgekeimt waren, sind zerplatzt. Dem Konsens folgt die Konfrontation. Der Verlust einer mehr als sechsstelligen Zahl von Arbeitsplätzen in der Solarindustrie ist ein schmerzhafter Beleg dafür.
Die Hoffnungen des Jahres 2011 auf einen gemeinsamen Weg von etablierten Energiekonzernen, Multis und Bürgerenergiebewegung, die schon damals Kontroversen auslösten, beruhten vielfach auf der verständlichen Hoffnung, ohne Konflikte und Kämpfe ein neues Energiezeitalter einleiten zu können. Damit könne auch das Klima vor einem unsere Zivilisation bedrohenden Wandel bewahrt werden, so die große Vision. Dafür hatten sich Millionen begeistert und tun dies noch heute. Neben diesen Emotionen gab es aber auch die These vom Automatismus, mit dem sich der technologische Fortschritt durchsetzen werde. Das schien viele zu beruhigen. Es war aber auch nicht unumstritten, schließlich haben die Menschen in Deutschland und Europa nach zwei Weltkriegen schmerzlich erfahren, dass ein historischer Determinismus, ein unsicheres Ding ist und Geschichte, auch Technikgeschichte, von Menschen und Mächten gemacht wird.
Inzwischen hat sich herauskristallisiert, dass der scheinbare Konsens von Energiekonzernen, Multis und Bürgerenergiebewegung keiner war. Zumindest war er von sehr kurzer Dauer und verfügte über keine wirkliche Grundlage. Die wirtschaftlichen Interessen derer, die ihre Geschäftsmodelle auf Förderung und Umwandlung fossiler Primärenergien gebaut haben, vertragen den schnellen Fortschritt der Erneuerbaren nicht. Über den systemischen Unterschied von erneuerbarer Primärenergie aus Sonne, Wind sowie Biomasse und der nicht-erneuerbaren Primärenergie aus fossilen Stoffen hatten wir hier und in unserer Zeitschrift SONNENENERGIE immer wieder geschrieben und versucht, Klarheit zu gewinnen. Besonders in letzter Zeit hatten wir in der kritischen Auseinandersetzung mit Gabriels „Grünbuch Energieeffizienz“ die Grenzen zwischen beiden Formen der Primärenergie herausgearbeitet. Wer gehofft hatte, diese Grenzen würden keine Rolle spielen oder sich verwischen lassen, so wie es im ordnungsrechtlichen Rahmen von Europäischer Gebäuderichtlinie (EPBD) und Energieeinsparverordnung (EnEV) vorgemacht wird, der sieht sich nun mit der offenen Kampfansage der traditionellen Platzhirsche der fossil basierten Energiewirtschaft konfrontiert.
Auch wenn argumentiert wird, der Transmissionsprozess des Energiesystems dürfe nicht zu abrupt von statten gehen, bleibt die Frage, wieso die Industrien der Erneuerbaren derart zurückgestutzt werden. Ein moderates Wachstum der Erneuerbaren, das den Fossilen und den dort Beschäftigten einen „geordneten“ (was auch immer das bedeutet) Übergang ermöglichen würde, ist nicht vereinbar mit der Zerschlagung einer solaren Zukunftsindustrie. Auch darüber hatten wir geschrieben. Wer jetzt diskutiert, ob die Gabriels, Baakes und Graichen entweder nichts verstanden hätten (auf gut deutsch unfähig wären) oder abgebrühte Handlanger der fossil basierten Energiewirtschaft (oder beides) seien, der sollte nicht vergessen, dass etwas Anderes viel wichtiger ist. Es geht um den Anspruch der Erneuerbaren Energien, den Transmissionsprozess des Energiesystems anzuführen und auch dessen Geschwindigkeit zu bestimmen. „Erneuerbare First“ drückt dies aus und insofern hat Gabriel, vielleicht unbewusst, für Klarheit gesorgt. Es stehen sich zwei Linien der Energiewende gegenüber, die sich auch in diesen gegensätzlichen Parolen spiegeln. Wenn es in der Umwandlung des Energiesystems zu Arbeitsplatzabbau und –verlusten führt, dann bei den Fossilen. Wenn Verluste bei Kapital und Anlegern auftreten, dann sollten diese auf Seiten der fossilen und atomaren Gesellschaften und Geschäftemachern zu finden sein. Dekarbonisierung ist kein Nullsummenspiel.
Das mag abstrakt klingen und denjenigen, die aktuell den Kopf hängen lassen oder jammern, wenig hilfreich erscheinen. Aber zum einen ist die politische Forderung „Erneuerbare First“ ein Maßstab, mit dem wir die politische Führung in diesem Land messen müssen – wir stehen vor einigen Wahlen und die Frage, ob sich Grüne und mögliche Koalitionspartner um eine klare Positionierung herumdrücken können, ist nicht banal. Unser Ziel, 100 % Erneuerbare bis 2050 durchzusetzen, wird durch Gabriels Latrinenparole schließlich weder falsch noch unrealistisch. Zum anderen geht es darum, Geschäftsmodelle mit Erneuerbaren zu entwickeln, die sich auch ökonomisch gegen die Fossilen durchsetzen, sie niederkonkurrieren. Technologisch sind die Erneuerbaren weit genug, in einer nächsten Stufe die Technologien der Erneuerbaren zu regenerativen Verbundsystemen und –Verbundlösungen zusammen zu führen. Es gilt, den Mut und die Kreativität aufzubringen, sich dieser Aufgabe zu stellen.
Verweise
Grünbuch Energieeffizienz: Gabriels Abkehr von 100% EE bis 2050
Gabriels Grünbuch sorgt sich um 100 Milliarden Euro für fossile Brennstoffe jährlich
Erst im Jahr 2150 komplett regenerative Energie
Mit neuer Kombikraftwerksvergütung Netzintegration von Anlagen effektiv fördern