02.04.2021
Wasserstoff - warum nicht aus Biogas-Reformern?
Eine Irritation von Heinz Wraneschitz
Wasserstoff (H2) ist in aller Munde. Politiker sprechen vor allem von grünem H2, der die Zukunft der Energieversorgung sein soll, die Großindustrie eher von anderen Farben: Grau - also aus Erdgas mit Wasserdampf reformiert - Violett oder wasauchimmersonst für eine Kolorierung gerade billigst herstellbar ist. Von Umweltaspekten ist dabei kaum die Rede.
In der politischen Diskussion steht die H2-Erzeugung aus regenerativen Quellen im Blick, und das ist gut so. Zumindest im Grundsatz. Denn einerseits stehen für die Technik, die aus Grünstrom H2 macht - die Elektrolyse und deren großtechnische Installation - Fördermilliarden bereit. Andererseits aber haben Europa-, Bundes- und Landesregierungen keine Ambitionen, die notwendigen Mengen dieses Grün-H2 dezentral in Europa oder deutschen Inland zu erzeugen: Russland, Asien, die Golfregion oder Nordafrika werden immer wieder als Elektrolyse-Standorte genannt. Für viele Kritiker (auch für den Autor dieses Beitrags) würde das nichts anderes als die Fortsetzung des seit über einem Jahrhundert gepflegten Energiekolonialismus bei den Altenergien bedeuten.
Und außerdem sind Groß-Elektrolysen so teuer, dass sie über kurz oder lang wieder in den Händen beziehungsweise im Portfolio von Energiekonzernen landen würden: Die können im Prinzip nur zentral und riesig; da kämen also solche Milliarden(?)-Investitionen gerade recht, um einen weiteren Fuß in die Tür zu den Zukunftsenergien zu bringen.
Dabei ginge H2-Erzeugung auch dezentral, auf dem Land, bei Landwirten oder Energiegenossenschaften. Grün allemal, aus Biogas, das mit Wasserdampf reformiert wird. Ja, Reformierung passiert bislang meist großtechnisch mit Erdgas - Stichwort: Grauer H2, siehe oben. Doch die klappt nun auch im Kleinen, an bäuerlichen Biogasanlagen der 400- bis 500-Kilowatt-Klasse. Statt diese wie im neuen Erneuerbare-Energien-Gesetz EEG 2021 angedacht durch mehr Gas-Speicherkapazität und/oder zusätzlichen Blockheizkraftwerken zu Spitzenstromerzeugern zu "überbauen", könnten sie in der Ü20-Zeit, also nach der EEG-Förderung zu H2-Erzeugern werden.
Ein Beispiel: Die in Hof/Saale, Oberfranken, angesiedelte BTX Energy GmbH ist momentan dabei, ihre ersten Biogas-Reformer in den praktischen Einsatz zu bringen. Doch die deutsche Umsetzung der neuen europäischen Renewable Energy Directive, kurz RED2, könnte dem erhofften Einsatz des Biogas-Reformers schnell den Garaus machen, meint Andy Gradel. Der frisch promovierte Leitende Ingenieur am Institut für Wasser- und Energiemanagement (IWE) der Hochschule Hof/Saale ist auch einer von drei Geschäftsführern von BTX Energy.
Auf der Veranstaltung "Wasserstofferzeugung aus Biomasse - eine Technologie vor dem Aus?" der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung stellte Gradel klar: "RED2 ist eigentlich eine gute Sache." Wenn da nicht "die selektive regulatorische Förderung einzelner EE-Energien-Technologien wäre. Die ist nicht sachgerecht, verzerrt den Wettbewerb und schadet dem Klimaschutz. Grundsätzlich sollte die Förderung alle denkbaren Technologien umfassen, insbesondere sollte daher nachhaltige Biomasse als Rohstoff zur grünen H2-Produktion rechtliche Anerkennung finden", wie der Bundesverband Bioenergie BBE am 24. Februar 2021 in seiner Stellungnahme zur bundesgesetzlichen "Weiterentwicklung der Treibhausgasminderungs-Quote" - die betrifft RED2 - unter Punkt 8 explizit ausführt.
Diese BBE-Position ist eine, der Gradel voll folgen kann. Bei besagter Online-Veranstaltung stellte er seine Sicht der Dinge klar: Wenn die Bauern mehr Gülle in Biogasanlagen vergären, würde das viel CO2 und andere Treibhausgase sparen. Doch "es wird versucht, H2 aus biogenen Quellen zu unterbinden", zum Beispiel, weil reformiertes Biogas-H2 nicht per Treibhausgasquote gehandelt werden soll. Damit sieht er die gerade aufkeimende Branche inklusive BTX Energy "aktuell stark gefährdet".
Lukas Köhler, FDP-MdB und deren Sprecher im Umweltausschuss, sieht Chancen, während der parlamentarischen Beratung die Gesetzesvorlage noch verändern zu können. Er nennt es "absurd, dass in der RED2-Umsetzung darüber entschieden wird, welche Technologie klimaneutral ist und welche nicht". Genau wie Gradel sieht auch Köhler die Biogas-H2-Erzeugung als "Riesenchance" für aus dem EEG fallende Biogasanlagen.
Nicht Lebensmittel, sondern Gülle oder Grünabfall vergären
"Zurecht haben wir die Teller-Tank-Diskussion", also die Frage, ob Mais oder Getreide überhaupt vergoren werden sollen. "Aber Gülle kann man nicht essen, davon haben wir genug." Auf Holz zur Vergasung, auf Grünabfall oder eben Gülle als Futterstoff für die Biogas-Bakterien setzt der FDP-Mann. "Wir müssen all das importierte Zeug CO2-neutral ersetzen" - er meint Öl, Gas oder Kohle - und denkt dabei an die durch die EU nochmals verschärften Klimaziele. "Nicht alle Quellen zu nützen ist das Dümmste, was es gibt", zeigt er klare Kante zur Schwarz-Roten Regierungsvorlage zu RED2.
"Absurd": Gefühlt drei Dutzend Male brandmarkt Lukas Köhler mit seinem offensichtlichen Lieblingswort bei besagter Naumann-Veranstaltung den Gesetzesentwurf. Ein Beispiel seiner Kritik: die augenscheinliche Bevorzugung von elektrolytischem Grünen H2 gegenüber der Biogas-Reformierung. Dabei sei der Wirkungsgrad der Ökoenergie-Umwandlung bei beiden Technologien mindestens identisch, wenn nicht gar bei Biogas höher, sekundiert Andy Gradel.
Carsten Träger, für die SPD im Bundestag und ebenfalls im Umweltausschuss, sieht die von der Regierung vorgeschlagenen Regelungen nicht so kritisch für die Bioenergie. Auf unsere Nachfrage schreibt er: "Der Ausschluss von biogenem H2 bezieht sich nur auf die Förderung im Rahmen der Treibhausgas-Quote des Bundes-Immissionsschutzgesetzes BImSchG. Es erfolgt keine Beschränkung des Einsatzes." Zudem sieht Träger "für Biogas beispielsweise im Wärmebereich bereits einen großen Absatzmarkt mit entsprechend hohem Potenzial zur Ausweitung des Einsatzes." Und: "Biogener H2 ist heute deutlich kostengünstiger als strombasierter H2."
Ob aber "eine Förderung von biogenem H2 die Ziele der Nationalen Wasserstoffstrategie konterkarieren und den Ausbau von Elektrolysekapazitäten um Jahre verzögern" würde, wie Carsten Träger vermutet? Das sehen die Protagonisten der Naumann-Veranstaltung völlig anders.
Gradel: Viele Elektrolyseure werden nicht gebaut, weil sie zu groß geplant waren. Und: mit unserer Technologie würden wir die Dezentralität vorantreiben, also dem Landwirt ermöglichen, vor Ort am H2-Handel teilzunehmen." Außerdem könne das bestehende BHKW am Hof immer noch flexibel Strom produzieren bei Bedarf.
Köhler: "Das Bundeswirtschaftsministerium geht davon aus, dass wir bald nur noch 509 TWh Strom brauchen. Allein die Chemische Industrie bräuchte für die Klimaneutralität 630 TWh. Warum nicht das vom Gas- und Wasserfachverband geschätzte Biogas-H2-Potenzial von 300 TWh nutzen?" Die Stromkosten für die Bürger würde biogener H2 nach seiner Einschätzung jedenfalls nicht nach oben treiben.