01.05.2020
Ignoranz oder Zerstörungswille: Warum bleibt der 52 Gigawatt-Deckel bestehen?
Ein Rückblick und ein Appell zur aktuellen Situation beim 52-GW-Deckel für Photovoltaik, der trotz vielfältigen Ankündigungen noch immer Bestand hat. Es ist ein Unding, wie hier politisch mit der Branche und den vielen Betrieben und Mitarbeitern, deren Zukunft von der Abschaffung des Deckels abhängt, umgegangen wird. Mal ganz abgesehen davon, dass seine Streichung im Rahmen des Klimapakets längst beschlossen wurde und der Deckel aus Gründen des Klimaschutzes vollkommen kontraproduktiv ist.
Rückblick der Ankündigungen
Herbst 2019: Nach fast einjährigen Hinweisen aus der Branche und einer öffentlichkeitswirksamen Aktion „Der Deckel muss weg“ von Prof. Volker Quaschning kommt im Herbst 2019 die Aussage aus dem Wirtschaftsministerium: Der PV-Deckel soll abgeschafft werden.
Januar 2020: Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier erklärt beim Jahresempfang des BEE, dass das Gesetzgebungsverfahren für die Abschaffung des 52-GW-Deckels mit besonderer Eile vorangetrieben werden wird, nachdem in der folgenden Woche eine Einigung zur Windkraft bevorsteht.
April 2020: Der Deckel steht noch immer. In der Sitzung des Wirtschaftsausschusses, die zufällig am Tag der Umwelt stattfindet, wird die Streichung beantragt, der Tagesordnungspunkt jedoch von der Bundesregierung wieder gestrichen.
Ende April 2020: Eine kleine EEG-Änderung wird seitens des BMWi durchgepeitscht, Verbändebeteiligung ist Fehlanzeige. Geschaffen wird damit Planungssicherheit für Offshore-Wind und die großen, EEG-Umlage-befreiten Konzerne. Corona-bedingt werden Ausschreibungsfristen für PV und andere Techniken verschoben, das ist positiv zu sehen. Doch eine Deckel-Abschaffung kommt schon wieder nicht.
Lieber Wirtschaftsausschuss, liebe Bundesregierung,
bisher war es ein Schulterzucken, ein Kopfschütteln über „die Politik in Berlin“ und ein Beklagen, warum so einfache Änderungen wie die Abschaffung des Solardeckels, für den sich ja beide Regierungsparteien öffentlich schon seit langem ausgesprochen haben, so lange dauern. Doch dieses Kopfschütteln hat sich längst in Wut gewandelt.
Eine Wut vieler Installationsbetriebe, die vertrauend auf die Ankündigungen neben Corona vor einer neuen Frage „wie soll es weitergehen?“ stehen. Eine Wut von Investoren, die, ganz Regierungskurs, in eine umweltschonende Zukunftstechnologie investieren wollen, nun aber von ihrer Bank keine Finanzierung dafür erhalten, weil der Deckel ja noch im Gesetz steht. Die Argumente für die Streichung des 52-GW-Deckels liegen schon lange auf dem Tisch und brauchen an dieser Stelle nicht noch einmal wiederholt werden. Die Frage nach Glaubwürdigkeit politischer Aussagen und Prioritäten stellt sich dagegen umso deutlicher.
Die Auftragslage in der PV ist derzeit gut, viele Hausbesitzer, die aktuell Home-Office machen, überlegen und beauftragen eine saubere Energieerzeugung, auch für Ihre Telefonanlage und Ihren Laptop, mit dem sie jetzt zuhause arbeiten. Doch bei konstant weiterem Ausbau in den kommenden Monaten ist im Oktober Schluss damit (siehe Grafik).
Man könnte den Bogen auch größer spannen und auf andere PV-relevante Themen beziehen: Verbesserung der Mieterstromregelung (angekündigt, nicht umgesetzt), Ausbaukorridor-Festlegung (für Klimaschutzgesetz, nicht erledigt), Umsetzung der europäischen Erneuerbare-Energien-Richtlinie (bislang ebenfalls nicht umgesetzt). Aber bleiben wir beim Deckel:
Große Einigkeit besteht:
Bis auf den Wirtschaftsausschuss und das Ministerium herrscht zu diesem Thema große Einigkeit im Land: Es gibt eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung und der Bundesrat sowie viele Verbände von DGS, SFV, BSW, BEE bis hin zu VKU und BDEW und viele weitere sind sich einig, dass der Deckel weg muss. Im März haben BDEW und BSW innerhalb 48 Stunden zusammen 2.000 Unterschriften von Unternehmen gesammelt und ans Kanzleramt geschickt. „Die Mitarbeiter in Industrie und Handwerk dürften gerade jetzt kein Spielball energiepolitischer Auseinandersetzungen sein“, so die BDEW-Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae damals. Doch statt mitten in der jetzigen Wirtschaftskrise Investitionen zu ermöglichen, wird weiter blockiert.
Ein Fadenriss bei der Neuinstallation von PV-Anlagen würde neben der Photovoltaik noch eine weitere innovative Branche gefährden: Jede zweite PV-Anlage in Deutschland wird heutzutage gemeinsam mit einem Stromspeicher errichtet, 65.000 Stück wurden im vergangenen Jahr neu installiert. Keine PV-Anlage - kein Speicher, so einfach ist der Zusammenhang. Sind dem Wirtschaftsausschuss die Firmen wie Solarwatt, Varta, Sonnen und viele weitere auch egal? Das sind klassische Mittelständler und innovative Newcomer, die in den letzten Jahren technisch überzeugende Systeme entwickelt haben, auch gefördert wurden und aufstrebend derzeit den Weltmarkt erobern wollen. Warum wird auch die Zukunft dieser Firmen gefährdet?
Ist es Ignoranz oder Zerstörungswille, dass Tausende von Firmen und Mitarbeitern nur ihre berufliche Perspektive erhalten haben wollen und vom Mittelstandsbeauftragten der Bundesregierung Mitte März dann nur eine Twitter-Nachricht mit den Worten erhalten: „Nur weil hier immer noch manche glauben, dass der Solardeckel und die Windabstandsregelung die dringendsten Probleme sind: Wir haben gerade noch ein paar andere drängendere Themen zu bewältigen“. Gegenfrage: Macht es Sinn, unbürokratische Corona-Hilfen an Firmen auszugeben, deren Zukunftschancen man gleichzeitig durch aktives Nichtstun zerstört?
Und auch Rahmenbedingungen für Altanlagen fehlen:
Aus aktuellem Anlass noch ein Wort zu den PV-Anlagen, die ab Ende dieses Jahres aus der EEG-Förderung fallen: Auch für diese Anlagen braucht es dringend politische Rahmenbedingungen, die einen Weiterbetrieb ermöglichen (siehe hierzu Meldung in den DGS-News vom 24.04.20). Wohlgemerkt: Es geht hier nicht um viel Geld und große weitere Förderung. Es geht um faire und einfache Rahmenbedingungen für Menschen, die mit dem Kauf ihrer Anlagen vor 20 Jahren den Grundstein für die heute so effiziente und günstige Technik gelegt haben. Menschen, die durch den Weiterbetrieb ihrer Anlage auch heute weiter bei der Energiewende tatkräftig mithelfen möchten. Und es sei auch an dieser Stelle betont: Es geht um die Menschen, die zu einer Zeit investiert haben, als das Thema Photovoltaik für die großen Energiekonzerne wirtschaftlich nicht lukrativ war und entweder bekämpft, ignoriert oder unterschätzt wurde. Berechnung des aktuellen SFV/DGS-Gutachtens zeigen, dass eine 2 kWp-PV-Anlage, die Ende dieses Jahres aus der EEG-Vergütung fällt, mit den aktuellen Rahmenbedingungen keine wirtschaftliche Fortführungsmöglichkeit hat. Diese Anlagen sind größtenteils technisch noch gut in Schuss und die Betreiber hochmotiviert, weiter Strom zu erzeugen. Sollen diese Anlagen abgerissen werden?
Nein, es ist nicht mehr das Kopfschütteln über eine zu langsame Arbeitsweise im Hause Altmaier und anderen Entscheidungsträgern und Gremien. Es ist die Wut über Ignoranz, offensichtlich falschen Prioritäten und das Übergehen von vielen Menschen, die von dieser Strategie des „Ankündigen und Nichthandeln“ betroffen sind. Der Deckel muss jetzt weg, und zwar ganz schnell.
Jörg Sutter