01.03.2019
LNG – letztes Aufbäumen der alten Energie
Der Widerstand der Maschinenstürmer, die sich in der Frühzeit der Industrialisierung gegen das Neue auflehnten, scheiterte schnell. Beim Übergang von der in Form fossiler Brennstoffe „geronnenen“ hin zur direkten Nutzung der Sonnenenergie sind die retardierenden Kräfte mit erheblicher Restmacht ausgestattet: Ein komplettes Wirtschafts-, Gesellschafts- und Staatssystem ist auf die zentralistische fossil/atomare Energieerzeugung abgestimmt, bzw. beruht auf ihr. Den Menschen in den industriellen Zentren hat dieses System Bequemlichkeiten und Zerstreuungen gebracht, die zuvor unvorstellbar waren. Diese Vorteile (wenn man sie so nennen möchte) sind unmittelbar spürbar. Die Nachteile, mit denen all dies verbunden ist – an vorderster Stelle die Klimaerwärmung – sind zunächst nicht unmittelbar spürbar. Hierfür bedarf es einer gewissen Fähigkeit zur Gesamtschau, zum großen Überblick. Obwohl der Klimawandel zunehmend heftig in unsere Lebensrealität eingreift, gibt es sogar heute noch Menschen, die nur ausnahmshafte einzelne Wetterereignisse sehen wollen, wie sie schon immer hin und wieder vorkamen.
Bei den Sonnenenergien verhält es sich genau umgekehrt: Unmittelbar wahrnehmbar sind hier erst einmal Nachteile: neue, anfänglich teure und auch noch nicht ausgereifte Technik, da Vollversorgung in Deutschland bisher erst in wenigen Einzelprojekten realisiert wird. Zum Erkennen der Vorteile – Klimaschutz, Umweltfreundlichkeit – bedarf es besagter Fähigkeit zum Überblick. Dass diese nicht im wünschenswerten Maß verbreitet ist, erschwert bei den fossil/atomaren Energien das Erkennen der Nachteile und bei den Sonnenenergien das Erkennen der Vorteile. Ein weiterer Faktor erschwert den Sonnenenergien die Durchsetzung gegenüber den fossil/atomaren: Letztere ziehen durch ihre konzentrierte Entfaltung brutaler Kraft auch Charaktere an, denen die Arbeit mit solchen Kräften „liegt“, die eine Affinität hierzu haben. Die Sonnenenergien sind sanft und ziehen sanfte Charaktere an. Für den auf dem Markt üblichen skrupellosen Konkurrenzkampf sind diese gar nicht prädestiniert. Dass die Energiewende trotz alledem so weit gekommen ist, wie sie es ist, scheint eigentlich erstaunlich und stärkt die Zuversicht, dass sie als „sanfter Krieger“ weiter vorankommen wird.
Das derzeitige groß angelegte Manöver, Deutschland zu einem wahren Erdgas-Magneten auszubauen, der den Stoff aus sämtlichen Himmelsrichtungen ansaugt, um damit die Kohle zu ersetzen, wird vor dem skizzierten Hintergrund als letztes Aufbäumen des alten Regimes kenntlich. Zuerst versuchten sie, mit CCS die Kohle zu retten. Das misslang. Nun geben sie die Kohle auf und versuchen es mit Erdgas. Auch diesen Fehlleitungsversuch sollten wir zurückweisen. Mit bedeutungsvoller Geste flüstert man: die jetzt aufzubauende Erdgas-Infrastruktur könnt ihr später doch mit grünem Methan betreiben. -- Bloß: der forcierte Ausbau von Photovoltaik und Windkraft, der hierfür nötig wäre, soll nicht stattfinden! Die Deckel werden nicht mal gelockert. Von der Abschaffung der Abgabenbelastung, mit der die Weiterentwicklung von Power to Gas verhindert wird, ist keine Rede. - Man sieht den Betrug.
Wie eine Regierung etwas vorantreiben kann, wenn sie denn will, ist bei der Wegbereitung für das amerikanische LNG (Liquefied Natural Gas – Flüssigerdgas) staunend zu beobachten. Hat man solchen Eifer schon einmal bei der Förderung der Energiewende erlebt?? Nein, jeder Euro der für Erdgas-Infrastruktur ausgegeben wird, fehlt beim Ausbau der Erneuerbaren. Diese brauchen wir Bürger, nicht Erdgas. Wenn Erdgas-Infrastruktur mit grünem Gas genutzt werden soll, kann man damit umgehend beginnen und bestehende Gaskraftwerke mit regenerativem Methan betreiben. Dafür braucht man mehr Windkraft und mehr Photovoltaik, aber nicht Erdgas.
Derzeit wird etwa in Brunsbüttel über LNG-Terminals diskutiert. Die Feststellung von Prof. Howarth (Cornell University, New York), dass Methan in den ersten 10 Jahren seiner Exposition in die Atmosphäre die 100fache Klimawirkung von CO2 habe, so dass Erdgas aufgrund seiner Vorkettenemissionen mindestens so klimaschädlich sei wie Kohle, versucht niemand zu widerlegen, auch nicht, dass 10 bis 30% der im LNG enthaltenen Energie allein für Kompression, Abkühlung auf -160 Grad und Transport benötigt werden.
Durch all dies lässt sich eine Firma wie Shell aber nicht im Geringsten dabei stören, per Studie zu behaupten: „Einsatz von LNG kann Treibhausgas-Emissionen im Güterverkehr bis 2040 um 142 Millionen Tonnen senken“. Die Treibhausgasemissionen von Gasmotoren werden einfach mit denen bisher in Schiffen und LKWs eingesetzter Motortypen verglichen. Um das beabsichtigte Ergebnis zu erreichen,
- lässt Shell die Vorkettenemissionen der Erdgasproduktion und der LNG-Herstellung außer Acht,
- setzt für die insbesondere bei Viertaktern unverbrannt entweichenden 1 bis 2% des Methans lediglich die 30fache Klimawirkung des CO2 an (doch schon damit wird die CO2-Einsparung bei der Verbrennung aufgehoben, so der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages, in Maßnahmen zur Minderung von Emissionen in der Schifffahrt, Alternative Kraftstoffe und Antriebe, S.11).
- will man zur Aufbesserung des Klimaresultats dem LNG 30% Biogas beimischen, ohne aber die bei dessen Herstellung auftretenden Emissionen zu berücksichtigen.
Wem nichts anderes übrig bleibt, als Zuflucht im Post-Faktischen zu versuchen, hat auch seine eigene Faktizität bald hinter sich. Örtliche Kräfte glauben an 70 in Aussicht gestellte Arbeitsplätze. Wann schaffen wir einmal den Denkschritt vom „Arbeitsplatz als solchem“ zur Frage, was auf diesem Platz gearbeitet wird und ob das gut ist oder nicht? Auch die Beantwortung einer solchen Frage steht im Zuge der Energiewende an. Und ebenso die Beantwortung so vieler weiterer Fragen, wie wir es uns noch gar nicht vorstellen können. Aber auf dem Weg sind wir, das ist Fakt. Und es geht gar nicht anders als weiter zu gehen!
Christfried Lenz