01.03.2019
Die demokratische Mitwirkung ist in Gefahr
„Die Verfolgung politischer Zwecke ist im Steuerrecht nicht gemeinnützig.“ Damit sei der Attac-Trägerverein nicht gemeinnützig. Das zumindest steht ganz oben in der Presseerklärung Nr. 9 des Bundesfinanzhofs BFH vom Dienstag dieser Woche. So weit, so schön, werden sich viele denken, die mit der oft aggressiven Art der Attac-Globalisierungskritiker nichts anfangen können: „Was interessiert das jetzt die Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie (DGS)?“ Ganz viel! Weil wir – wie viele andere Vereine auch, ob kritisch oder nicht – als gemeinnützig anerkannt sind. Weil dadurch Spenden an die DGS steuerlich absetzbar sind. Und weil wir mit dem Geld unter anderem (umwelt-)politische Bildungsarbeit betreiben.
Deshalb muss uns genau wie jeden anderen Verein schon der erste „Leitsatz“ des BFH-Urteils VR60/17 Angst machen: „Wer politische Zwecke durch Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung verfolgt, erfüllt keinen gemeinnützigen Zweck i.S. von § 52 Abgabenordnung AO.“
Bumm. Das sitzt. Denn bleibt der so bestehen, dann dürfen künftig weder wir von der DGS noch Greenpeace, der Bund Naturschutz wie auch andere Umweltorganisationen Programme mit Gegenvorstellungen zur Regierungspolitik entwickeln. Oder eben mit der ständigen Angst im Nacken, den Status der Gemeinnützigkeit zu verlieren.
Dürfen wir die Einführung einer bestimmten Steuer oder das Austrocknen von Steueroasen fordern? Dazu Konferenzen, Tagungen, Seminare, Workshops, Vorträge veranstalten oder Bildungsmaterialien zur Verfügung stellen? Dürfen wir noch bei der Organisation von Demonstrationen mitmachen? Das nämlich alles tat Attac in den Jahren 2010 bis 2012. So wollte der Verein die verantwortliche Regierung aufrütteln, damit die ihre vermeintlich groben Fehler in der Finanzpolitik korrigiert.
„Wer politische Zwecke durch Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung verfolgt, erfüllt keinen gemeinnützigen Zweck i.S. von § 52 AO.“ Mit diesem Satz drohen derzeit konservative Politiker auch der Deutschen Umwelthilfe. Dabei versucht die DUH ebenfalls nur, was in ihrer Satzung steht: Mensch, Tier und Umwelt schützen, indem sie auf der Einhaltung von Luftreinhaltegesetzen pocht. Aber das macht sie eben auch mit Kampagnen, die „ausschließlich oder überwiegend einen politischen Zweck verfolgen. … Doch gehören weder die Einflussnahme auf die politische Willensbildung noch die Einflussnahme auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung zur Förderung der Allgemeinheit.“ Mit diesen (hier aus Absatz 18 zitierten) Worten begründet der BFH nämlich seine Entscheidung zur Attac-Gemeinnützigkeit.
Kampagnen mit „Einflussnahme auf die politische Willensbildung sowie Einflussnahme auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung“ fahren andere Organisationen aber genauso. Beispielsweise die Verbrennerfreaks vom ADAC. Oder der Klimaleugnerverband EIKE e.V. Zwar beide genau in umweltpolitischer Gegenrichtung, aber ebenfalls unter dem Siegel der Gemeinnützigkeit. Warum gehen die örtlichen Finanzämter nicht genauso wie jenes in Frankfurt/Main, das gegen den Attac e.V. klagte, gegen ADAC oder EIKE vor? Steckt dahinter politisches Kalkül, weil die eher auf Regierungskurs schwimmen? Haben nur Regierungskritiker schlechte Gemeinnützigkeitskarten beim Finanzamt?
Klar: Die Meinungsfreiheit des Grundgesetzes hängt offiziell nicht an der Frage, ob ein Verein gemeinnützig ist oder nicht. Aber gerade Vereine, die nicht im Sinne mächtiger Verbündeter wie der Auto- oder Kohlelobby arbeiten, sind auf Kleinspender angewiesen. Und diese Unterstützer wiederum sind auf die Spendenquittungen angewiesen, die Vereine dank ihrer Gemeinnützigkeits-Bestätigung ausstellen dürfen.
Rein rechtlich mag das Pochen auf §52 der Abgabenordnung möglicherweise sogar fundiert sein. Ich bekomme jedoch Angst, mir vorzustellen, die Attac-Entscheidung des BFH könnte mehr als „nur“ eine formaljuristische sein. Denn Disziplinierung oder gar Einschränkung politischer Vereins-Bildungsarbeit würde die Demokratie massiv gefährden.
PS: Noch ist die Entscheidung nicht endgültig gefallen. Denn der BFH hat das endgültige Urteil dem Finanzgericht Frankfurt/Main überlassen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.heinz.wraneschitz(at)t-online.de