15.12.2023
Wie ein Wohngebiet kalt beheizt wird
Ein Bericht von Heinz Wraneschitz
Die Verantwortlichen im Verbundprojekt „Multisource“ sind sich sicher: „Die ehemalige Lagarde-Kaserne n Bamberg wird zukunftsfähig!“ Zentraler Baustein des Projekts auf dem 20-Hektar-Gelände, das die Stadt vom Bund gekauft hat, ist dabei die „Kalte Nahwärme“: Die wird aus Erd(wärme)kollektoren im Boden und unter den Gebäuden, per Abwasserwärmetauscher und senkrechten Geothermie-Brunnen gewonnen. Der Strom für die notwendigen Wärmepumpen kommt vor allem aus Dachflächen-Photovoltaik.
Bundesbauministerin Klara Geywitz war auch schon da. Ihr Resümee: „Die Stadtwerke Bamberg haben auf dem Lagarde-Campus jetzt schon umgesetzt, was der gesetzliche Standard der Zukunft sein wird.“ Dieser Tage konnte die Presse dank einer Einladung des Bundesverband Geothermie vor Ort sehen, was Multisource erforscht. Vor allem aber, was die „Wärme 4.0“ genannte Versorgungslösung für die geplanten 1200 Wohnungen sowie Gewerbe- und Kulturflächen bedeutet.
Versorgungstechnik-Ingenieur Stefan Loskarn hat seit 2015 die Projektleitung auf dem „Lagarde“-Gelände inne. Ihm geht es nicht nur darum, den erwarteten Gesamtwärmebedarf von 10.000 MWh pro Jahr nachhaltig zu decken, er hat auch den Denkmalschutz bestehender sowie die Hocheffizienz neuer Gebäude im Blick. Nicht zu vergessen: „Barrierefreie Mobilität wird es hier geben und echte, digitale Infrastruktur.“ Loskarn stellt klar: „Die Flächen werden ausgeschrieben. Wer hier bauen will, muss sich an das Projekthandbuch halten.“ Darin ist auch die Kalte Nahwärmenutzung festgeschrieben. Wärmekosten zurzeit: 9,91 ct/kWh plus Grundpreis. Die Wärmepumpen stellen die Stadtwerke.
Vor der Planung und Installation von „Wärme 4.0“ stand erst einmal eine Machbarkeitsstudie: Die brauchte alleine zwei Jahre Zeit. Mit insgesamt sechs Jahren Bauzeit rechnet Loskarn. Öffentlich gefördert wird das Kalte-Nahwärme-Projekt der Stadtwerke bis Ende 2026. Kosten laut dem Projektleiter: 30 Mio. Euro; Förderquote etwa 38,4 Prozent.
Parallel dazu läuft die Multisource-Forschung. Hier arbeiten die Ohm-Hochschule Nürnberg, die TU Dresden und die FAU Erlangen-Nürnberg zusammen. Mit einem Budget von insgesamt 2,6 Mio. Euro solle „das Zusammenwirken der einzelnen Quellen erforscht und optimiert werden“, erklärt Ohm-Professor Volker Stockinger. Er gibt zudem zu: „Wir lernen hier viel Neues dazu über Geothermie im städtischen Raum“ – bisher augenscheinlich ein Stiefkind der Energieforschung.
Mit Hilfe der „Delphin“-Software von der TU Dresden „wird mit über 2.000 Datenpunkten das Zusammenwirken der einzelnen Quellen auf Herz und Nieren geprüft“, so Stockinger. Dabei betont er aber, das Ergebnis sei nicht 1:1 auf andere Projekte übertragbar: „Es gibt nicht die eine Lösung für die regenerative Wärmeversorgung im innerstädtischen Raum. Aber die Kombination, viele Quellen zu verbinden, ist ein guter Lösungsansatz.“
Wärme 4.0: Vier verschiedene Energiequellen
In Bamberg werden dafür 32.000 m2 Erdkollektoren – 60 Prozent unter Gebäuden, 40 Prozent in der Freifläche -, bis zu 100 Erdsonden, ein 225 Meter langer Abwasserwärmetauscher am Kanal der parallel verlaufenden Straße, ein Eisspeicher, Wärmepumpen in den einzelnen Gebäuden sowie PV-Anlagen auf Dächern miteinander vernetzt.
Weil noch 20 Prozent Wärme aus dem Müllkraftwerk stammt, das schon zu Zeiten der US-Militärs die Bestandsgebäude beheizte, „haben wir nur 80 Prozent Erneuerbare Energie, denn Müll zählt nicht als EE“, erwähnt Stefan Loskarn. Aber auch: „Allein der Abwasserwärmetauscher bringt 2,3 Mio. kWh Wärme pro Jahr ein“, ersetzt also etwa 230.000 Liter Heizöl jährlich. Überschusswärme des Sommers werde unter den Gebäuden gespeichert – offizielle Sprechweise „wird für die Regeneration der Bodentemperatur genutzt“ - und stehe im Winter wieder zur Verfügung. Auch jahreszeitlich überschüssiger PV-Strom wird thermisch gespeichert, statt Batterien dafür aufzustellen.
Kritik an verzögernder Bürokratie
Die Wärmetauscher im Boden arbeiten im Temperaturbereich von -4°C bis +20°C. Damit sie im Winter nicht einfrieren, sind 700.000 Liter 25-prozentiges Glykol-Wasser-Gemisch als Wärmeträgerflüssigkeit im Einsatz. Obwohl Glykol sich bei einem Leck im Boden sehr schnell abbaue, „dauert allein die wasserrechtliche Genehmigung inzwischen schon vier Jahre. Die Ämter wissen nicht, was sie durch Nichtverwendung des gesunden Menschenverstands alles verzögern“, spricht Loskarn Klartext.
Auch David Bertermann, der Leiter der Arbeitsgruppe Oberflächennahe Geothermie am FAU-Geozentrum Nordbayern, nennt Beispiele, die Zeit bei der Umsetzung von solchen Projekten kosten. „Eine Auflage bei Erdsonden ist der Thermal Response Test, kurz TRT, an der Probebohrung. Danach muss in Bayern ein Sachverständiger für Wasserwirtschaft die Tiefe der Brunnen festlegen: das gibt’s in anderen Bundesländern nicht.“ Dass die bodenkundlichen Daten nicht zwischen den Behörden ausgetauscht würden, findet Bertermann ebenfalls nicht gut. Er ist aber sicher: „97 Prozent der Fläche Bayerns ist für Sonden geeignet. Man muss die Potenziale nur erschließen.“
Professor John Grunewald, der die Delphin-Simulationssoftware schon 1988 für Erdwärmeprojekte entwickelt hat, ist „froh, dass wir von der TU Dresden hier dabei sind. Ohne Messtechnik und Simulation geht so ein Riesenprojekt nicht. Die Krönung ist, wenn Realität und Simulation übereinstimmen.“
Laut Ohm-Prof. Volker Stockinger ist man jedenfalls im fördernden Bundeswirtschafts- und Klimaschutzministerium BMWK „erfreut, dass endlich mal was umgesetzt wird“. Warum es anderswo oft hakt, erklärt sich FAU-Mann David Bertermann so: „Die Barrieren sind nicht im Boden, sondern in den Köpfen.“