06.10.2023
Klimaschutz ist jetzt Programm
Eine bewertende Analyse von Jörg Sutter
Kommen wir mit dem Klimaschutz in Deutschland voran, trotz der verschiedensten Krisen, die wir zu bewältigen haben? Die Bundesregierung in Berlin ist jedenfalls davon überzeugt und hat an diesem Mittwoch das neue „Klimaschutzprogramm 2023“ verabschiedet.
Für ein Regierungsdokument ist es erstaunlich schlank: Auf 27 Seiten wird zuerst ein Statusbericht abgeliefert: Die Auswirkungen der Klimakrise sind auch in Deutschland spürbar, die Regierung will dieser Krise entgegentreten „auch um die Freiheit zukünftiger Generationen zu schützen“. Gleich der nächste Satz nennt aber schon wieder weitere Ziele wie „bestehende Arbeitsplätze zu sichern“, was in der Vergangenheit oft genug bedeutet hat, die alten Strukturen dann doch beizubehalten und den Klimaschutz zu bremsen.
Dass wir ein größeres Tempo beim Klimaschutz brauchen, ist ebenfalls allgemein bekannt. Die Aussage, ein „dringender Handlungsbedarf“ bestehe in „nahezu allen Sektoren“, wird aber unter anderem aus der Energiewirtschaft sicherlich Widerspruch ernten. Wir erinnern an das Aufgeben der Sektorenziele und die Versäumnisse insbesondere bei Bau und Verkehr, die im aktuellen Dokument erwähnt werden und in Maßnahmen-Vorschlägen enthalten sind. Jetzt sollen einfach alle Sektoren mitmachen, juhu.
Und das bleibt nicht die letzte Bemerkung, die beim Durchlesen des Programmes zu Kopfschütteln führt. Die Regierung führt aus, dass der Klimaschutz in Abstimmung mit Europa erfolgt und mit dem Klimasozialfonds (KSF) die Folgen der europäischen CO2-Bepreisung in den Sektoren Wärme und Verkehr für finanziell schwächere und benachteiligte Haushalte, Kleinstunternehmen und Verkehrsteilnehmende abgefedert werden. Hier fehlt eindeutig das „sollen“, oder? Im Mai 2022 hat Minister Heil das Klimageld vorgestellt, Konzepte des Energiegeldes wurden seither diskutiert, aber bis heute geht hier nichts voran. Kein Geld, obwohl im Gegenzug die CO2-Preise angehoben werden, doch der zweite Teils des Versprechens gegenüber den Bürgern wird weiter gebrochen. Und auch der Blick nach Europa spricht die gleiche Sprache: Dass der europäische Klimasozialfonds nur mit 59 statt geplanten 72 Mrd. Euro ausgestattet wird, ist wem zu verdanken? Ja, vor allem unserer Bundesregierung.
Doch weiter im Klimaschutzprogramm: „Einen erheblichen Teil der notwendigen Maßnahmen hat die Bundesregierung bereits beschlossen“, jubelt selbige schon auf Seite 2 der Einleitung und führt dann unter vielen Beispielen ausgerechnet das Deutschlandticket zur Stärkung des öffentlichen Verkehrs an, zu einer Zeit, da sich der Finanzminister querstellt und genau dieses Ticket eventuell in drei Monaten nicht mehr angeboten werden kann, weil keine Einigkeit über die 400 Millionen Euro Defizit erzielt werden kann.
Und: Es stehen selbstverständlich alle im Programm genannten Maßnahmen unter Finanzierungsvorbehalt. Wenn unbedingt E-Fuels in Südamerika und nutzlose Strohfeuer-Förderprogramme den Geldbeuten leeren, ist eben irgendwann vernünftiges nichts mehr machbar. Aber wie schreibt es die Regierung: „ökonomisch vernünftigen und sozial gerecht“ soll der Fokus der Transformation sein. Aha.*
Die Wirkung
Für die Wirkung des Klimaschutzprogrammes wird gerechnet und verglichen: Laut Bericht aus dem Jahr 2021 war damals von einer „Lücke“ zum 65%-Ziel bis 2030 von 1.100 Mio. Tonnen CO2-Äquivalenz ausgegangen. Für das jetzige Maßnahmenpaket rechnet die Regierung damit, diese Lücke auf 200 Mio. Tonnen reduzieren zu können. Natürlich nur bei „konsequenter Umsetzung dieser Maßnahmen“, so das Papier. Und auch dann bleibt für die Regierung quasi selbstverständlich noch ein Überschreibungsbetrag im Verkehrsbereich von mindestens 120 Mio. Tonnen CO2 übrig. Weitere Anstrengungen zu dieser Zahl? Fehlanzeige. Dass nach heutiger Rechtslage das Verkehrsministerium dafür in Verantwortung gezogen werden müsste, fällt unter den Tisch, stattdessen: „Nach der Logik der geplanten Novelle des Klimaschutzgesetzes liegt hierfür die Verantwortung bei der Bundesregierung insgesamt“.
Messbare Sektorenziele werden aufgegeben, die Verantwortung vernebelt und in fünf Jahren wundert man sich dann, warum die Ziele nicht erreicht wurden. Nein, man wird sich nicht wundern, denn schon heute steht im Klimaschutzprogramm geschrieben: „weitere Anstrengungen sind aus heutiger Sicht mit hoher Wahrscheinlichkeit notwendig“.
Ganz ehrlich: Ich bin ziemlich enttäuscht über dieses Papier, dabei bin ich mit dem Lesen bei der Beschreibung der Einzelmaßnahmen noch nicht einmal angekommen.
Die Einzelmaßnahmen
Und der Stil des Papiers wird bei der Beschreibung der Einzelmaßnahmen fortgeführt. Wer schüttelt nicht den Kopf, wenn es heißt, das neue GEG „gibt auch Planungssicherheit für Eigentümer, Wohnungswirtschaft, Unternehmen und Handwerk“? Da kann man nur fragen: Ist das wirklich ernst gemeint?
Und schauen wir uns hier einmal beispielhaft die Rubrik Verkehr an: „Die Bundesregierung trägt im Rahmen ihrer Beratungen über Klimaschutzmaßnahmen im Verkehrssektor auch künftig dafür Sorge, die Mobilität der Gesellschaft sicherzustellen, eine bezahlbare, bedarfsgerechte nachhaltige, effiziente, barrierefreie, intelligente, innovative und sozial gerechte Mobilität zu ermöglichen, die Sicherheit der Logistikketten zu gewährleisten und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands bei Schlüsseltechnologien der Mobilität zu stärken“.
Ähhh, sind wir nicht im Klimaschutzprogramm? Die vielen anderen Ziele mögen ja redlich sein, aber wo ist dabei der Klimaschutz im Verkehr, um den es gehen soll? Das zieht sich so weiter fort, auch wenn wir zur Novelle der Flottengrenzwerte für schwere Nutzfahrzeuge (Lkw) als Maßnahme kommen: „Die Bundesregierung wird sich im Rahmen der Überarbeitung der CO2-Flottenzielwerte für schwere Nutzfahrzeuge für ambitionierte Reduktionsziele 2030 und 2035 einsetzen, orientiert an den Klimazielen sowie der technischen und wirtschaftlichen Machbarkeit“. Wiederum: Der Klimaschutz soll hier eine von mehreren Parametern sein – und wenn es nicht wirtschaftlich ist, dann gibt es ihn eben nicht.
Und das Monitoring?
„Die Bundesregierung wird weiterhin das jährliche Monitoring der Emissionsentwicklung vorlegen“,
so lautet der Hauptsatz zu Monitoring und Gegensteuern in nur neun dürren Zeilen am Ende des Klimaschutzprogrammes. Und damit bleibt wohl fast alles beim Alten: Im nächsten Jahr wird wieder von Verfehlung der Ziele berichtet, weil das Ganze eben nicht so „konsequent“ umgesetzt werden konnte, wie hier niedergeschrieben. Gegenmaßnahmen oder Automatismus? Fehlanzeige.
Hätte der Klimaschutz die höchste Priorität, sähe es sicherlich anders aus. Bei allen positiven Schritten, die die neue Bundesregierung in ihren nur zwei Jahren gegangen ist: Ich wünsche es nicht, aber ich fürchte, es braucht leider noch weitere Ahrtäler, um das Ganze wenn und aber sowie die Zaghaftigkeit und Unverbindlichkeit zu beseitigen und endlich ganz konsequente Schritte hin zum Klimaschutz zu gehen.
Wer sich das Papier trotzdem mal im Detail anschauen möchte:
Das Klimaschutzprogramm 2023 gibt es hier zum Download