04.08.2023
Frisch erfundene 3D-Regel bremst PV-Ausbau
Ein Bericht zum Kopfschütteln von Heinz Wraneschitz
Die vom damaligen bayerischen Ministerpräsidenten (MP) Horst Seehofer erfundene und vom heutigen MP – damals Finanz- und Heimatminister – Markus Söder unterstützte 10H-Wind-Verhinderungsregel aus dem Jahre 2014 hat sich allen Ökoenergieunterstützern ins Gedächtnis gebrannt, nicht nur im weißblauen Freistaat. Die Vorgabe, Windkraftanlagen (WKA) müssen mindestens den zehnfachen Abstand ihrer Höhe zur Wohnbebauung einhalten, musste die Staatsregierung auf Druck von Bundesenergieminister Robert Habeck zumindest teilweise entschärfen.
Doch nun haben Ministerialbürokraten aus München etwas völlig Neues erfunden: Die 3D-Regel – auch wenn sie offiziell anders heißt – verhindert ganz augenscheinlich den Ausbau von Solarkraftwerken, ob gewollt oder nicht.
Nur im Umfang des dreifachen Rotordurchmessers rund um ein Windkraftwerk wollen hiesige Behörden die Aufstellung von Photovoltaik-Modulen erlauben, soll die 3D-Regel besagen. Das jedenfalls hat Johannes Maibom erfahren, als er vor einiger Zeit mittelfränkischen Beamt:innen die Idee einer Dreifach-Flächennutzung in seinem Heimatdorf vortrug. Für PV-Anlagen müssen die Gemeinden bekanntlich jeweils Bebauungspläne aufstellen, die wiederum von Oberbehörden geprüft und genehmigt – oder abgelehnt – werden.
Das Dorf heißt Mausdorf, ist ein Ortsteil von Emskirchen im Landkreis Neustadt/Aisch-Bad Windsheim und grenzt direkt an die Gemarkung der Industriestadt Herzogenaurach. Maibom ist einer der Eltern von „Mausdorf hat Energie“ mit der Idee, den Ort selbst mit Wärme und Strom aus Sonne, Wind, Bioenergie zu versorgen. Schon 2013 gab es für die erfolgreiche Umsetzung den Bayerischen Staatspreis für das dortige Bürgerhaus, in dem bis heute neue Ideen geboren werden.
Die letzte: In dem zwischen Windrädern der Gesellschaft „Reuthwind“ etablierten Biotopverbund sollten PV-Anlagen errichtet werden. Denn die Flächen sind ja schon durch die Windkraftnutzung vorbelastet, so die Idee. Das Projekt für die Planung dieser Doppel- bzw. Dreifachnutzung war sogar von der Zentralstelle für ländliche Entwicklung freistaatlich gefördert worden. Das Ergebnis: Der Platz würde ausreichen, um 12,5 MW aufgeständerte PV-Anlagen zu errichten.
Für den damit erzeugbaren Solarstrom haben die Mausdorfer sogar bereits einen Abnehmer: Ein Industrieunternehmen in der Nachbarstadt will sich damit über eine Direktleitung zum Werkstrafo zu großen Teilen selbst versorgen. Power Purchase Agreement, kurz: PPA, nennt sich ein solche langfristiger Stromliefervertrag.
Doch die Tücke liegt im Detail, gerade im Freistaat. Klar: Wo Windräder auf Vorbehalts- oder Vorrangflächen stehen oder errichtet werden sollen, da darf es keine konkurrierende Nutzung geben. Doch PV-Anlagen unter und um Windräder herum behindern ja die Windkraft nicht, dachten zumindest die Mausdorfer Solarprojektentwickler. Aber da hatten sie nicht mit blauweißen Bürokraten gerechnet: Die beharrten zunächst grundsätzlich auf „Wind und sonst nix“. Bis ein ebenfalls mittelfränkischer Projektentwickler in Lonnerstadt (Kreis Erlangen-Höchstadt) eine Vereinbarung traf, im Umgriff des dreifachen Durchmessers der Rotoren PV-Anlagen aufstellen zu dürfen. Und auf diese „3D-Regel“ berufen sich offensichtlich Bayerns Behörden nun auch andernorts – so in Mausdorf.
Denn die Windräder, die sich hier drehen, stehen auf drei für Windkraftnutzung (WK) reservierten Flächen: die WK6 gehört zum Planungsverband RPV 8 „Westmittelfranken“, die WK1 und 2 gehören zum RPV 7 „Region Nürnberg“. „Weitere Windräder könnten hier nicht aufgestellt werden, da ist nicht genug Platz“, stellt Maibom klar: Von möglicher Windkonkurrenz durch PV könne also keine Rede sein. Ob PV-Module allein im Bereich dreier Rotor-Durchmesser um die Windräder oder darüber hinaus aufgestellt werden, mache doch keinen Unterschied. Die Behörden würden jedoch nur 3D gestatten. Dann aber fiele von den geplanten 12,5 MW Solarleistung etwa ein Drittel weg – und der PPA-Vertrag mit dem Abnehmer würde womöglich platzen.
Doch wie kommen die Behörden überhaupt darauf, sich auf die „3D-Regel“ bei einer möglichen Aufstellung von PV-Anlagen in Windgebieten zu berufen? Offiziell zu finden ist diese Vorgabe anscheinend nur in einem Rundschreiben vom 27. Juli 2023, Titel: „Vollzug des Bau- und Energierechts; Gesetzesänderungen u.a. durch das Gesetz zur Erhöhung und Beschleunigung des Ausbaus von Windenergieanlagen an Land (Wind-an-Land-Gesetz).“
Das hat das Bayerische Bauministerium per Mail an die unteren Bauaufsichtsbehörden der Bezirksregierungen, verschickt, und „nachrichtlich an Kommunale Spitzenverbände“. Darin steht: In einem entsprechenden „Sondergebiet mit der Zweckbestimmung Wind- und Sonnenenergienutzung“ müsse der „Umgriff der PV-Freiflächenanlagen auf das nähere Umfeld einer bestehenden Windenergieanlage beschränkt (max. innerhalb eines Radius entsprechend dem dreifachen Rotordurchmesser der gegenständlichen Windenergieanlage)“ werden.
Welches Ministerium ist eigentlich verantwortlich?
Das für Energiefragen eigentlich zuständige Bayerischen Wirtschaftsministerium (StMWi) schreibt auf unsere Nachfrage dazu: „Der sogenannte Umgriff (räumliche Geltungsbereich eines Bauleitplanes) der PV-Nutzung muss sich auf den dreifachen Rotordurchmesser bestehender Windenergieanlagen (WEA) - das ist wohl die 3D-Regel - beschränken, da innerhalb dieses Abstands gesichert keine weiteren WEA errichtet werden können.“ Die Sprecherin des StMWi bestätigt aber auch: „Es wurden keine Festlegungen im Rahmen der Bundesgesetzgebung getroffen.“ Jedoch wurde „als Vorreiter in der Bundesrepublik“, „ein Weg gefunden, Windenergie- Vorranggebiete in Einzelfällen mit einer Freiflächen-Photovoltaik-Nutzung zu vereinbaren. Andere Bundesländer sind inzwischen nachgezogen.“
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) schreibt auf unsere Nachfrage zur „3D-Regel“ folgendes: Zwar hätten „die zuständigen Gremien der Länder jüngst einen Vollzugsleitfaden zum „Wind-an-Land-Gesetz" beschlossen“. Daran seien auch Bayerische Staatsregierung und Bundesministerien beteiligt gewesen. Doch „die „3D-Regel" war nicht Gegenstand der Gespräche“, so Susanne Ungrad aus dem BMWK.
Und zu einer möglicherweise zwischen Bund und Freistaat vereinbarten Regelung, die PVA in Windgebieten auf einen Umgriff des dreifachen Rotordurchmessers um bestehende oder geplante WKA beschränkt („3D-Regel"), schreibt Ungrad: „Die Regelung ist dem BMWK nicht bekannt und sie geht auch nicht auf Bundesregelungen zurück. Gespräche zu dieser Regelung zwischen BMWK und Bayern sind uns ebenfalls nicht bekannt.“
Dagegen schreibt die Sprecherin des StMWi, das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) habe dieses Vorgehen sogar „ausdrücklich unterstützt“.
Wem sollen wir also glauben?