14.07.2023
Ökosystem der Oder weiterhin geschädigt
Ein Bericht von Tatiana Abarzúa
Man hatte es schon fast vergessen: Vergangenes Jahr waren in kürzester Zeit so viele Fische und Schnecken und Muscheln am deutsch-polnischen Grenzfluss Oder gestorben. Es war damals von „1000 Tonnen“ und „massenhaftem Fischsterben“ die Rede. Doch jetzt spitzt sich nach Angaben des Bundesumweltministeriums (BMUV) die Situation in der Oder wieder zu: Erneut werden Algenblüten beobachtet und es sind viele Fische gestorben – in der Nähe von Breslau und weiter oberhalb im Gleiwitzer Kanal. „Die Forschungsergebnisse belegen klar: Das gesamte Ökosystem der Oder ist nach der Umweltkatastrophe vom Sommer 2022 nach wie vor stark geschädigt“, stellt Bundesumweltministerin Steffi Lemke fest. Es fehle mehr als die Hälfte aller Fische. Zwar habe es Anzeichen für eine erste Erholung des Fischbestandes gegeben, doch „jede weitere Belastung der Oder hätte dramatische Folgen, und das für einen sehr langen Zeitraum“. Sie fordert deshalb ein allgemeines Umdenken, „wie wir mit der Oder und Flüssen insgesamt umgehen".
Deutsche Behörden sehr spät informiert
In Polen war die Situation bereits am 26. Juli 2022 bekannt. Die dortigen Behörden erhielten zu dem Zeitpunkt erste Hinweise, wie die polnische Regierung mitteilte. Die Behörden in Deutschland wurden erst am 11. August 2022 „offiziell“ von den polnischen Behörden informiert. Zwei Tage zuvor hatte ein Kapitän dem Schifffahrtsamt Oder-Havel berichtet, dass er in Brandenburg eine große Zahl toter Fische in der Oder beobachtet hatte. Das Amt informierte andere Behörden und das Gemeinsame Melde- und Lagezentrum von Bund und Ländern, dieses wiederum informierte das Bundesumweltministerium (BMUV). Die Bundesbehörde ermittelte inzwischen, dass die Fischbestände in der Oder als Folge der Umweltkatastrophe um 53 bis 67 Prozent zurückgegangen sind.
Suche nach Ursachen
Als es darum ging, herauszufinden, wer dafür verantwortlich war, gab es verschiedene Vermutungen. Nach damaligen Angaben der polnischen Umweltministerin Anna Moskwa wurden Schwermetalle oder erhöhte Quersilberwerte als Gründe für das Fischsterben ausgeschlossen. Labortests aus Polen belegten stattdessen einen hohen Salzgehalt in der Oder. Der sprunghaft gestiegene Salzgehalt in der Oder hat vermutlich zur Blüte der Brackwasseralge Prymnesium parvum (anderer Name: Goldalge) geführt. Diese Algenart hat sich inzwischen im gesamten untersuchten Flusslauf etabliert und könnte sich unter entsprechenden Bedingungen wie erhöhten Temperaturen, niedrigem Wasserstand und hohem Salzgehalt erneut massenhaft vermehren. Die Goldalge produziert Stoffe, die für Fische und andere Wasserlebewesen tödlich sind. Für Menschen soll das Algentoxin jedoch ungefährlich sein.
Einem Untersuchungsbericht von Greenpeace Polen zufolge, wurden an Einleitungsstellen mehrerer Bergwerken zum Teil höhere Salzkonzentration gemessen als in Meerwasser. Die Wasser-Proben wurden im vergangenen Herbst und Winter in Polen analysiert. Wie der Bayerische Rundfunk berichtete, wies die Umweltorganisation bereits letztes Jahr darauf hin, „dass Salzeinleitungen der polnischen Bergbauindustrie das massenhafte Fischsterben verursacht hätten“. Diese Aussage basierte auf Analysen von 17 Wasser- und Bodenproben auf etwa 550 Kilometer Flusslänge – zwischen Schwedt und der deutsch-polnischen Grenze.
Aussichten
Nach Angaben des BMUV, sind die Salzeinleitungen in Polen „die einzige Stellschraube, die derzeit beeinflusst werden kann“. Bundesumweltministerin Lemke forderte ihre polnische Amtskollegin bereits mehrfach dringend auf, diese Salzeinleitungen deutlich zu reduzieren. Aufgrund der Gefahr einer Wiederholung der Umweltkatastrophe in der Oder sei es außerdem wichtig, Rückzugs-, Laich- und Aufwuchsgebiete der natürlichen Fischfauna zu erhalten.