07.07.2023
Bidirektionales Laden – wie und wann?
Ein Meinungsbeitrag von Götz Warnke
Auch wenn in der Öffentlichkeit noch wenig davon zu sehen ist, bidirektionales Laden (BiDi-Laden bzw. Zweirichtungs-Laden) ist ein zentrales Thema des künftigen, flexiblen Energiesystems. Das zeigt sich schon in der Begriffsvielfalt für die unterschiedlichen Sparten des Ladens: Vehicle-to-Home (V2H) – das E-Auto versorgt ein Haus, Vehicle-to-Grid (V2G) – das E-Fahrzeug dient als Netzstabilisator, Vehicle-to-Utility (V2U, auch Vehicle-to-Device/V2D ) – das Fahrzeug ist Energielieferant für andere elektrische Geräte und Vehicle-to-Vehicle (V2V) – ein Fahrzeug lädt ein anderes Fahrzeug, wobei es sich nicht unbedingt um E-Autos handeln muss: z.B. könnte ein E-Flugzeug oder eine E-Fähre auch andere Fahrzeuge (E-Autos, -Flugzeuge, -Fähren) laden.
Während V2U und V2V technisch noch relativ einfach zu bewerkstelligen sind, viele ostasiatische Fahrzeughersteller haben bereits entsprechende Modelle im Angebot, begeben sich auch immer mehr europäische Hersteller auf diesen Weg: Renault hat beispielsweise seinen elektrischen R5 für 2024 als bidi-ladefähig angekündigt. Dagegen sind V2H und V2G aus technischen, rechtlichen und Normungs-Gründen durchaus komplexer.
Doch das E-Auto bietet erhebliche Potentiale und Vorteile: Die z.B. im Vergleich zu Home-Speichern extrem günstigen und großen Akkus – ein 8 kWh großer Zuhause-Batteriespeicher kostet mit rund 8.000 Euro etwa genauso viel wie der fünfmal größere Akku einer Renault ZOE. Kein Wunder also, dass von interessierten Auto- und Wallbox-Herstellern einerseits sowie großen Energieversorgern andererseits immer wieder entsprechende Tests unternommen werden – nicht nur in den Niederlanden, wo man der deutschen Entwicklung ca. zwei Jahre voraus ist. So haben z.B. Sonnen und der Netzbetreiber Tennet E-Autos ins Stromnetz eingebunden, beim Reallabor Nutzerzentriertes Bidirektionales Laden (ReNuBiL) erprobt die Uni Lübeck gemeinsam mit Partnern das bidirektionale Laden von Nissan-Fahrzeugen, und auch die Bayernwerk Netz GmbH erforscht zusammen mit der BMW Group sowie weiteren Partnern die Einbindung von E-Autos.
Immerhin verbinden sich mit dem Zweirichtungsladen auch energiepolitische Visionen: beim V2H die Notstromversorgung und die Eigenverbrauchserhöhung beim Strom von der heimischen PV-Anlage; beim V2G größere Netzstabilität/Pufferspeicherung und Gewinne durch zeitoptimiertes Laden.
Ging man kürzlich auf der Münchner Messe „The Smarter E Europe“ – eine Fortentwicklung der Intersolar zu vier thematisch und örtlich miteinander verbundenen Messen – durch die Hallen, so fielen einem die verschiedensten Produkte zum bidirektionalen Laden auf, wie z.B.: der niederländische Hersteller Alfen B.V., welcher eine bidirektionalen Ladesäule präsentierte. Oder auch die Münchner EcoG GmbH. Sie zeigte ihren kürzlich in Zusammenarbeit mit Infineon entwickelten BIDi-Lader-Prototypen. Auch demonstrierte Wallbox Chargers S.L. aus Barcelona das bidirektionalen Laden eines VW ID3 mittels ihrer neuen DC-Wallbox Quantum 2 – mit 12,8 kW V2H ideal für die Versorgung eines Eigenheims, in dem Wärmepumpe, Herd und Waschmaschine gleichzeitig laufen. Die Wallbox, deren Preis noch nicht feststeht, soll übrigens zuerst in den USA auf den Markt kommen.
Bei den großen deutschen Herstellern deutet jedoch nichts auf einen großen Rollout für das BiDi-Laden hin. Auf kritische Nachfrage sind dort wortreiche Erklärungen zu hören, warum noch keine Entscheidung getroffen wurde, sich auf diesen Markt begeben zu wollen. Mögen diese Erklärungen jeweils in Teilen sachlich richtig sein, so wirken sie doch ob ihrer Vielzahl als Ausreden:
- „Es ist noch nicht klar, ob der Trend beim bidirektionalen Laden Richtung AC oder DC geht!“ – Ja, das ist ein gewisses unternehmerisches Risiko, welches in anderen Ländern klaglos getragen wird.
- „Der Arbeitgeber könnte als geldwerten Vorteil solares Laden anbieten, und diese kWh würden dann einfach V2H bzw. V2G eingespeist – Steuerbetrug!“ – Ja, Missbrauch ist immer möglich, aber es ist auch legal den Solarstrom vom eigenen Dach ins eigene E-Auto, und von da ins eigene Boot zu laden. Im Übrigen: Steak- und Tranchiermesser sind in Deutschland immer noch nicht verboten, obgleich missbräuchlich einige Menschen damit umgebracht wurden. Insofern ist der Steuerbetrugseinwand eine Ausrede!
- „Noch sind nicht alle Normungen verabschiedet!“ Ja, das ist richtig, aber vor dem Problem stehen auch andere Hersteller – nur: die handeln! An der wichtigsten Norm ISO 15118-20 zur Kommunikationsschnittstelle zwischen Straßenfahrzeug und Ladestation dürfte sich nichts wesentliches mehr ändern. Zudem gibt es eine Vielzahl weiterer Normen, die direkt und indirekt die Elektromobilität betreffen; hier kann sich immer wieder mal das eine oder andere ändern, weshalb das Argument kein ernsthafter Grund ist, mit der bidirektionalen Ladetechnik zu warten.
Warten müssen auch die Bürger:innen, die sich vom BiDi-Laden mehr Autarkie und eventuell einen Gewinn durch flexible Tarife etc. versprechen. Die großen Wallbox-Hersteller hingegen scheinen sich die deutsche Autoindustrie zum Vorbild zu nehmen, die – „Nieten in Nadelstreifen“ – die Elektromobilität verschlafen hat, und gegenwärtig den Wechselakku und die fahrzeugintegrierte PV (VIPV) verschläft. Und so wird Deutschland wohl künftig einen weitere, wichtige Technologie aus dem Ausland importieren müssen – bestenfalls aus den Niederlanden oder Spanien, aber eventuell auch einmal mehr aus China.