07.07.2023
Energiewende in Bayern ja – aber wie?
Über sehr gegensätzliche Sichtweisen berichtet Heinz Wraneschitz
Wolfram Axthelm redete Klartext: So könne das nicht weitergehen mit der allseits gewünschten Energiewende: 13.000 Megawatt neue Windkraftleistung wären dieses Jahr vom Gesetzgeber erlaubt, genehmigt wurden aber bis Jahresmitte lediglich 2.400. Nur vier Prozent der deutschlandweiten Genehmigungen für neue Windräder stammten aus dem Süden der Bundesrepublik. „Gerade Bayern muss wie die anderen Bundesländer mitziehen“, schimpfte der Geschäftsführer des Bundesverbands Windenergie BWE beim jüngsten „BWE Policy Briefing“ letzte Woche.
So sei der Weißblau-Freistaat unter jenen Ländern, die bislang ihren Pflichten aus dem Bundes-Windbeschleunigungsgesetz WindBG nicht nachgekommen sind: Mehrere Bundesländer hätten nicht endgültig geklärt, wo die im WindBG genannten Windausweisungsflächen sein werden. „Die Pflichten aus dem Gesetz sind aber maßgeblich. Ich fordere die Regierungen auf, die Frist 31. Mai 2024 nicht bis zur letzten Minute auszureizen“, so Axthelm.
Dessen Fett bekam aber auch die Bundesnetzagentur ab: Obwohl die jüngste Windausschreibung unterzeichnet war, habe „die BNetzA fast zwei Monate gebraucht, um die Zuschläge der Auktion zu veröffentlichen. Das ist kein haltbarer Zustand“, erklärte der BWE-Geschäftsführer in besagtem Policy Briefing.
Auf Bayern entfiel im Mai übrigens gar kein Windzuschlag – weil es keine Anträge von dort gab. Doch warum? Auf die Sprünge half dem Autor dieses Beitrags ein Online-Kongress des Verbands der Bayerischen Wirtschaft VBW mit dem Titel „Bayerische Energie- und Klimapolitik“ an diesem Montag. In der Veranstaltung vertraten zwei Abgeordnete die Regierungsparteien, drei die Landtagsopposition. Und VBW-Geschäftsführer Bertram Brossard moderierte.
„Die aktuelle Energiekrise trifft Bayern mit voller Wucht. Die Preise für Energie sind massiv gestiegen und belasten Wirtschaft und Gesellschaft“, heißt es vom VBW. Der Freistaat wiederum will – oder muss? – laut Landtagsbeschluss im Jahre 2040 klimaneutral sein. Und der VBW will nun mit Blick auf die bayerische Landtagswahl im Herbst in Regionalkongressen hinterfragen, wie besagtes Klimaziel „CO2-Neutralität 2040“ erreicht werden kann. In Nürnberg fand nun der erste statt, wo es ganz konkret um die Energiezukunft in Mittelfranken bestellt ist. Die Termine für Online-Veranstaltungen in den anderen sechs Bezirken stehen bereits fest. Daran können die angemeldeten Zuschauer:innen – anders die politischen Gäste, jeweils aus der Region - aber nur online teilnehmen.
Klimaneutralität 2040 als Staatsziel in Bayern
Die Ausgangslage beschrieb Andrej Guminski. Der Geschäftsführer der Münchner Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) hatte dafür den im April 2023 veröffentlichten Bericht „Bayernplan Energie 2040 - Wege zur Treibhausgasneutralität“ auf die Region um Nürnberg heruntergebrochen.
Vorgabe für die im Auftrag des Energie- und Wasserbands VBEW erstellte umfassende Arbeit war laut Guminski, „eine lebenswerte Welt erhalten und den Wohlstand mindestens auf heutigem Niveau“. Beides sei möglich. Doch dafür sei „Tempo, Tempo, Tempo in allen Sektoren notwendig“, also bei Gebäuden, im Verkehr, beim Gewerbe, der Industrie. „Ohne den massiven Ausbau von Solar- und Windkraft geht nichts.“ Trotz notwendiger Verfünffachung der Erneuerbaren Kraftwerke sei nur eine 50-prozentige Selbstversorgung über`s Jahr zu erreichen. Obwohl Mittelfranken heute bereits „eine hohe Erzeugungsdichte“ habe, gebe es hier gleichzeitig „besondere Herausforderungen durch energieintensive Industrie und viel Verkehr“. Aber mit einem Ausgleich zwischen Bayerns Regionen sei mehr möglich: „Es geht nur gemeinsam.“ Doch die vordergründige Aufgabe ist laut dem FfE-Chef: „Wir müssen schnell in die Spur kommen.“
Weil dieser „Weg zur Klimaneutralität eine epochale Herausforderung“ sei, will der VBW durch „eine breit angelegte Nachhaltigkeitskampagne“ viel zur Erreichung beitragen, so Brossard. „Denn ohne starke Wirtschaft geht es nicht: wir haben die Schlüsseltechnologien“, deren Entwicklung müsse aber noch beschleunigt werden.
Nur durch den Ausbau der „nachhaltigen, sauberen und preisgünstigen Erneuerbaren Energien ist die Deindustrialisierung zu verhindern. Wir brauchen deshalb natürlich auch mehr Windenergie im Süden“, konstatierte der VBW-Mann. Und dazu „eine massive Beschleunigung nicht nur beim Übertragungs-, sondern auch beim Verteilnetz-Ausbau. Nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern die größtmögliche Lösung“ forderte er hierfür von der Politik.
Bei Windkraft von Gemeinsamkeit keine Spur
Doch ausgerechnet beim von VBW wie FfE so wichtig erachteten massiven Windkraftausbau traten die Differenzen zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien offen zutage. Zwar stellte Gabi Schmidt (Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler) „sieben neue Windräder in Mittelfranken“ als positiv heraus, die trotz der einst von der CSU eingeführten 10H-Abstandsregel gebaut wurden.
Für Grünen-Energiesprecher Martin Stümpfig jedoch hat diese bayerische Sonderregel „den Windausbau von 100 auf Null heruntergefahren. Und wir sehen auch heute keine Beschleunigungsmaßnahmen: gerade mal zwei neue Genehmigungen 2023“ habe es gegeben, trotz der von Regierungsseite herausgestellten Aufweichung von 10H.
„Am Grundsatz von 10H halte ich fest, ich finde es weiterhin richtig“, bekannte Andreas Schalk sogar, der Vertreter der CSU und Vorsitzende von deren Parlamentskreis Mittelstand. Sein Argument, „mit 10H haben wir dafür gesorgt, die Interessen von Bevölkerung und Industrie einzuschließen“ sorgte für Kopfschütteln bei allen anderen Diskutanten. Denn ob so die von der FfE in Mittelfranken als notwendig erachteten 12 Windkraftwerke pro Jahr mit 5,5 Megawatt Leistung gebaut werden können, sei fraglich, konterte Stümpfig: „Die Staatsregierung hat alles doch nur noch weiter kompliziert.“
Moderator Brossard stellte an dieser Stelle eindeutig heraus: „Das vor Ort zu regeln, ist Job der Abgeordneten – das sag ich ganz brutal!“ Nur „schnellere Planungsprozesse“, wie sie Matthias Fischbach wünschte, der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, oder „eine Stelle mit gebündelter Kompetenz, die Industrie und Privatleute berät“, wie sie Arif Taşdelen ins Spiel brachte, der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, reichen jedenfalls alleine nicht.
Langfristthema Wasserstoff
In den anderen angesprochenen Energie- und Klimapolitikfeldern erkannte Brossard dagegen ziemlich übereinstimmende Bewertungen der anwesenden Politiker:innen. Beispiel Wasserstoff (H2): Darin sah nicht nur CSU-Mann Schalk „einen Baustein, um Verbrauch und Erzeugung zusammenzubringen“. Genauso stimmten alle dem Grünen Stümpfig zu: „Wir haben aktuell H2 gar nicht in relevanter Menge.“ Weshalb der Moderator konstatierte: „Vor 2030 sieht niemand H2 massiv im Einsatz“, lediglich in Modellprojekten.
Dass Bayern, ja sogar Deutschland sich wegen der notwendigen H2-Importe danach wieder abhängig von unsicheren Importländern wie zuletzt bei Erdgas machen würden, sahen die Beteiligten nicht so kritisch: Man dürfe sich halt nicht nur an ein Land binden, solle mehr an Balkanländer oder Südeuropa als Lieferanten denken, waren geäußerte Meinungen.
Dabei hatte Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger just am gleichen Montag verkündet: „Das Thema Grüner Wasserstoff spielt eine wichtige Rolle im gemeinsamen Konzept aller Ministerien.“ Ja selbst mit Bundesenergieminister Habeck (Grüne) sieht er sich da einig. Alle wollten „gemeinsam unsere Kräfte bündeln und die deutsche Wasserstoffwirtschaft nach vorne bringen“, so der FW-Chef.
Viel schneller aber könnten Batterien als Stromspeicher aufgestellt werden, zum Beispiel an stillgelegten Atomstandorten; „denn da sind die Netzanschlüsse schon vorhanden“, schlug Arif Tasdelen vor. Womit er bei Brossards „Mutter aller Fragen: wie kommt man an die Verteilnetze ran mit dem Strom?“ angekommen war. „Das haben wir alle miteinander vernachlässigt“, gab sogar CSU-MdL Schalk zu. Konkrete Vorschläge, das zu ändern, hatte aber niemand zu bieten, außer allgemeine wie „bessere Förderkulissen“ oder „Genehmigungsverfahren beschleunigen“.
Billigstrom nicht nur für die Industrie
Beim Thema Industriestrompreis und bezahlbare Energie überhaupt machten alle klar: Nicht nur die „Großen“, auch Handel, Handwerk oder Dienstleister bräuchten aktuell Hilfe. Aber demnächst seien die Erneuerbaren Energien ohnehin die billigste Stromquelle: die würden nur die Investition kosten. Denn auf lange Sicht habe der Staat nicht genug Geld für billige Industriestrompreise. Jetzt jedoch seien Hilfen nötig, um die Wirtschaft am Leben zu erhalten, auch hier herrschte Übereinstimmung.
Doch was genau der VBW mit besagter „breit angelegten Nachhaltigkeitskampagne“ tatsächlich zum Erreichen von „Bayern klimaneutral 2040“ beitragen wird, zum Beispiel durch Windräder in Industriegebieten – dazu sagte Verbands-Geschäftsführer Bertram Brossard kein Wort.