16.06.2023
Solarstrom ohne Grenzen?
Ein Messebesuch von Heinz Wraneschitz
2.458 Aussteller auf 180.000 Ausstellungsfläche: Das Messe-Quartett „The smarter E“ in München hat sich im Jahre 2023 gegenüber der Vor-Corona-Ausgabe 2019 fast verdoppelt. Das nimmt der Pforzheimer Mit-Veranstalter Solar Promotion als klares Zeichen: „Eine erneuerbare Energieversorgung rund um die Uhr ist schon heute technisch als auch wirtschaftlich möglich“, sagt Geschäftsführer Matthias Elsässer voraus.
Dabei liegt der Anteil fossiler Energieträgernutzung weltweit immer noch bei 80 Prozent. Doch das soll sich rasant ändern. Und zwar nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auf allen fünf Kontinenten. Auch hierfür ist die Entwicklung auf der Smarter E heuer sichtbar: 69 Prozent der Aussteller sind internationale Unternehmen.
Dass fast genauso viele chinesische wie deutsche Firmen die 17 Messehallen füllen, zeigt vor allem eines: Gerade die Solarindustrie hat dort ihr weltweites Zentrum. Und so sind auch in den Hallen der Hauptmesse „Intersolar“ oft chinesische Gespräche zu hören.
Doch die Produktion ist nicht das Einzige, was in der Solarbranche zählt; jedenfalls, wenn man Carsten Körnig folgt. „Der weltweite Solarbooster zur Bewältigung der Klimakrise wird auch weltweit zum Job- und Wirtschaftsmotor“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Solarwirtschaft (BSW).
Herbert Diess, Ex-VW-Chef und inzwischen Aufsichtsratsvorsitzender des Elektronikkonzerns Infineon hatte ihm dazu die Vorlage geliefert. „Die Erneuerbare Energie wird immer billiger. Die Welt um uns herum macht‘s uns vor“, wie das so gehe mit der Umstellung von fossil auf CO2-frei.
CO2-Freiheit bis 2050 – beschlossen, aber wie?
Doch die Herausforderungen, um das international gesetzte Pariser Klimaziel zu erreichen, sind gewaltig: Bis 2030 eine Vervierfachung, bis 2050 gar eine Verzwölffachung der global installierten Photovoltaik-(PV-)Leistung auf dann über 14.000 Gigawatt (GW) seien dafür notwendig, stellt Körnig heraus. Und auch wenn „die aktuelle Lage bei der Ampel in Berlin nicht ganz eindeutig ist: das zweistellige Wachstum bei PV in Deutschland wird anhalten.“
Bekanntlich haben sich erst am Dienstag die Koalitionsparteien auf ein abgespecktes Gebäudeenergiegesetz geeinigt; der Streit um Wärmepumpen ist noch allen in Ohr und Auge. Doch für Körnig ist die Kombination aus PV, Stromspeicher, Wallbox fürs E-Auto und Wärmepumpe „das solare Dreamteam“. Deshalb werde auch bald die Zahl der in der Solarbranche Beschäftigten auf 165.000 wachsen, sagt er voraus.
Doch sein BSW-Geschäftsführerkollege David Wedepohl gießt etwas Essig in den Wein. Zwar wolle jedes dritte Unternehmen hier seine Mitarbeiterzahl verdoppeln. Doch woher sollen die Neuen kommen? Die DGS-SolarSchulen beispielsweise gibt es schon seit über 20 Jahren, zurzeit sind es neun. Die wurden damals übernommen vom Bund der Energieverbraucher, „und wir wollen sie ausweiten“, sagt DGS-Geschäftsführer Jörg Sutter auf Nachfrage. Denn die Auslastung sei hoch – „aber das ist schon immer so“.
Wedepohl setzt eher auf das dafür gedachte Fachkräfte-Einwanderungsgesetz, das bald wirksam werden soll. In Indien, so erklärt er, gebe es 10.000e solar ausgebildete Arbeitslose, auf die er hofft. Und er setzt auf Differenzierung: nicht für alle Arbeiten brauche man Qualifizierte, zum Beispiel für die Gestell-Montage von Freiflächenanlagen. Dagegen spricht aber, dass Carsten Körnig den größten Zubau bei den Privat-PV-Anlagen sieht – „und das ist der personalintensivste Bereich“.
Andererseits herrscht gerade auf dem Freiflächensektor Goldgräberstimmung: 4.000 Euro Jahrespacht pro Hektar gelten laut Werbung in den Sozialmedien (auf Werbelinks verzichten wir bewusst) aktuell als normal. Körnig sieht das jedoch nicht als wirkliches Problem – „wir brauchen ja nur 0,2 Prozent der Landesfläche, um die Ausbauziele zu erreichen“. Und er hofft, dass die Politik „das enge Korsett der benachteiligten Gebiete lockert“ – nur dort und an Randstreifen von Verkehrswegen dürfen momentan Megawatt-Anlagen errichtet werden.
Doch werden wirklich, wie vom Solarverband BSW erwartet, auch heuer wieder 30 Prozent mehr PV-Anlagen installiert als im Vorjahr? Die Nachfragen bei einem großen PV-Systemanbieter und einem Projektentwickler lassen anderes erwarten. „Letztes Jahr war Ausnahmezustand, der nicht wiederholbar ist“, sagen die beiden bayerischen Firmenchefs übereinstimmend.
Die euphorische Stimmung auf der Messe lässt jedoch anderes vermuten.