07.02.2020
Ramelows Sturz schadet der Energiewende
CDU und FDP hätten sich aktiv an einer Intrige der AFD beteiligt und für einen fatalen Tabubruch gesorgt, lautet eine der Kritiklinien an den Vorgängen um die Wahl des thüringischen Ministerpräsidenten. Das, was sich am Mittwoch in Erfurt abspielte, versetzt die Republik in Aufregung. Die Presse und allen voran die TV-Anstalten begleiteten die "überraschende" Wahl des thüringischen FDP-Landesvorsitzenden Thomas Kemmerich mit Brennpunktsendungen und Kommentaren. Sie verbreiteten dabei auch das entgegengesetzte Narrativ zur gescheiterten Wiederwahl von Bodo Ramelow. Danach hätten die CDU-Landespolitiker um Mike Mohring explizit gegen die Parteilinie der Union verstoßen und sich über die "Warnungen" der Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer hinweggesetzt. Alt-Ministerpräsident Bernhard Vogel stellte sich schützend vor die Thüringer Parteifreunde, sie hätten schließlich die Wiederwahl der zweiten extremistischen Partei - der Linken - verhindert. Das sei ein Wert an sich, den man nicht vergessen dürfe.
Wie die Vorgänge tatsächlich abgelaufen sind und ob es eine Intrige mit oder ohne Wissen der Kanzlerin und ihrer Parteivorsitzenden AKK gewesen war, werden die Historiker klären müssen. Auch dürfte das Theater mit dem Rücktritt des „Ministerpräsidenten von AFDs Gnaden“ noch nicht vorbei sein. Bemerkenswert ist aber bereits jetzt, dass alle vorgetragenen Narrative eines gemeinsam haben: sie gehen nicht auf die konkrete Situation der deutschen Politik ein, in der sich das alles abspielt. Sie verbleiben in einem sehr allgemeinpolitischen Raum. Die "SED-Nachfolgepartei", so Bernhard Vogel, von der Regierungsmacht vertrieben zu haben, ist 30 Jahre nach der Wende ein ziemlich albernes Argument. Schließlich ist die Erfurter Regierungskoalition nicht die erste ihrer Art, auch wenn Ramelow der erste Linken-Ministerpräsident gewesen war. Warum ist es dann aktuell so wichtig, eine Rot-Rot-Grüne Koalition in Erfurt zu verhindern? Einmal abgesehen davon, dass dies zugleich eine Kampfansage an andere Rot-Rot-Grüne Bündnisse darstellt, etwa in Berlin, scheint es aktuelle politische Gründe zu haben, welche die Intriganten zu ihrem Coup veranlasst haben.
Oder anders ausgedrückt, was kann schwerer wiegen, als das völkisch-rassistische, antisemitische Politikkonzept eines Björn Höcke, wenn Politiker der "bürgerlichen Mitte" sich zu einem solchen Schritt entschließen? Da fallen einem sicher mehrere Politikfelder ein, die von Bedeutung sind und bei denen die von Ramelow geführte Koalition die Politik der Großen Koalition konterkariert hatte. Das mag außerhalb Thüringens weitgehend unbemerkt geblieben sein, im Bundesland selbst war es durchaus honoriert worden. Eines dieser Politikfelder ist die Energie- und Klimapolitik.
An der Politik der Zurückdrängung der Erneuerbaren Energien hatte sich Ramelows Koalition nicht beteiligt. Im Gegenteil. Sie war eine der Stützen der Energiewende, da wo es um den Ausbau der Erneuerbaren ging. Auch im Bundesrat folgte Ramelow nicht dem Kurs von Merkel und Altmaier. Das mag nicht einfach gewesen sein, denn in Erfurt saßen ja auch Sozialdemokraten mit am Tisch, die auf ihre Parteifreunde in Berlin Rücksicht nehmen mussten und wollten. So gesehen ging und geht es nicht einfach um die Eliminierung der „SED-Nachfolgepartei“ aus der Regierungsverantwortung, sondern um deren Erfolg und Profil in konkreten Politikfeldern. Ramelow zeigte durchaus, wo und wie Alternativen zu Merkels destruktiver Energie- und Klimapolitik aussehen können.
Das zeigte sich am Thüringer Koalitionsvertrag, der von Ramelow mit Bündnis 90/Die Grünen und der Landes SPD ausgehandelt und am Tag vor der AFD-Räuberpistole unterzeichnet worden war. Danach sollte sich das Bundesland Thüringen bis spätestens 2040 zu 100 Prozent aus Erneuerbaren Energien versorgen. Die Landesverwaltung sollte bereits bis zum Jahr 2030 klimaneutral werden. Mit Hilfe eines Landesprogrammes sollten mehr Flächen für Photovoltaik und Solarthermie, vorrangig auf Dächern und Fassaden, aber auch für Solarparks in der Freifläche, erschlossen werden. Alleine bei dem gegenwärtig heiß umstrittenen Thema der Windkraft, was im waldreichen Bundesland vielfach auch als Windkraft im Wald diskutiert wurde, blieb der Koalitionsvertrag unkonkret. Bei der Biomassenutzung sollten Abfälle und Reststoffe im Vordergrund stehen.
Vergleicht man dies mit der Kohleausstiegspolitik der Groko und deren Fuel Switch zum Erdgas, werden die Gegensätze handfest. Während die Berliner Koalition bis 2038 an der Kohleverstromung festhalten will, wollten die rot-rot-grünen Koalitionäre aus Erfurt, die vorerst gescheitert zu sein scheinen, im gleichen Zeitraum auf Erneuerbare Energien umgestellt haben. Natürlich hätte das bundesweit Signalwirkung haben können. Die AFD, die sich vom konfusen Klimaleugner inzwischen zur entschlossenen Fossilpartei entwickelt hat, bezeichnet ihre neu ausgerichtete Politik für Kohle, Öl, Gas und Atom neuerdings als ihr drittes politisches Standbein. Betrachtet man die Erfurter Vorgänge aus der Perspektive der Energie- und Klimapolitik, so macht die Verhinderung eines Kabinettes Ramelow durchaus Sinn.
Klaus Oberzig