10.01.2020
Netzbetreiber bei Politik ungehört?
Zahlreiche Unternehmen, die „für das Stromnetz arbeiten“ sind im >Forum Netztechnik/Netzbetrieb im VDE< organisiert. Das Selbstverständnis: „FNN gestaltet den grundlegenden Wandel der Stromnetze durch die Energiewende als technischer Regelsetzer maßgeblich mit". Alle zwei Jahre trifft sich Deutschlands Stromnetz-Elite zum „FNN-Kongress Netze“ in Nürnberg. Diesmal, am Jahresende 2019, kamen 600 Teilnehmer. Manche ihrer Aussagen waren so nicht zu erwarten.
Die vier deutschen Strom-Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) bauen gerade im Auftrag der Bundesnetzagentur zurzeit Deutschlands Höchstspannungsnetze massiv aus. Für den Betrieb von Drehstrom- und Gleichstrom-Übertragungen bekommen sie eine gesicherte Eigenkapital-Rendite von immerhin noch 6,91 Prozent. Müsste das die Konzerne nicht reizen, möglichst viele solcher Strom- Korridore zu bauen, vor allem zwischen Nord- und Süddeutschland?
Doch ausgerechnet Klaus Kleinekorte, Mitglied der Geschäftsführung des ÜNB Amprion GmbH, erklärt auf dem FNN-Kongress: „Der Nord-Süd-Korridor sorgt nur für den Transport der Volatilität von Nord nach Süd. Da wird nur ganz viel Geld in die Hand genommen, damit der Strom nicht mehr hinterm Deich liegt.“ Wer es nicht weiß, könnte meinen, dies ist das Statement eines Trassengegners.
In Nürnberg redet Kleinekorte auch einer „koordinierten sektorübergreifenden Systementwicklungsplanung“ das Wort. Die ist besser als „Sektorenkopplung“ bekannt. Bislang liefen Europäischer 10-Jahres-Netzplan und Deutschlands Strom- und Gas-Netzentwicklungspläne offenbar unkoordiniert nebeneinander her. „Das schafft weitere parallele Autobahnspuren. Wir müssen aber langfristig denken.“ Deshalb zeigt Kleinekorte auf „die bestehende Gasinfrastruktur. Der Wärmemarkt ist rückläufig, da werden künftig Rohre frei.“
Zum Beispiel, um diese für den Transport von Wasserstoff (H2) zu nutzen. „Strom als Strom verwenden ist natürlich optimal. Aber Alternative Energie abregeln, das ist verschenkte Energie“, kritisiert der Amprion-Chef die aktuelle Abschalt-Praxis, wenn die Netze voll sind. Er will lieber „den Überschussstrom in H2 speichern“. Das Zauberwort dafür ist Power to Gas (P2G), die Elektrolyse von Wasser durch Ökostrom zu H2.
Klaus Kleinekorte sieht das „in volkswirtschaftlichem Interesse. Alles mit H2 machen ist dagegen keine Lösung“ für ihn. Der ÜNB-Manager will so jedenfalls „die Erneuerbaren Energien (EE) grundlastfähig machen. Wir müssen uns wirklich deren Volatilität untertan machen.“ Fast pathetisch formuliert er, was es für ihn bedeutet, EE-Strom ins Netz zu integrieren.
Stefan Küppers, als Geschäftsführer beim Verteilnetzbetreiber (VNB) Westnetz unter anderem für Digitalisierung und Energiewirtschaft zuständig, lobt ebenfalls „die großen Chancen dieser Sektorenkopplung“: Sie könne schwankende EE-Einspeisung ausgleichen. Der Netzausbau auf allen Spannungs-Ebenen würde optimiert und damit billiger, die Überschuss-Speicherung durch P2G möglich. Dafür sei aber „Digitalisierung als wichtigstes Werkzeug“ notwendig, hebt Küppers hervor.
Während das Bundeswirtschaftsministerium BMWi das „NOVA-Prinzip“ propagiert - Netz-Optimierung vor Verstärkung vor Ausbau – fordert Küppers „NOXPA“. Das X steht dabei für „Power to X“, also die Umwandlung von Strom in speicherbares H2 oder in Wärme. „Wir verzahnen also Planung und Betrieb nicht isoliert für einen Sektor, sondern integriert mit Blick auf das Gesamt-Energiesystem“, erklärt Stefan Küppers. „Je mehr flexible Leistung netzdienlich eingesetzt werden kann, desto weniger Netzausbau“, ist seine Überzeugung.
Der Ministeriale Torsten Falk vom BMWi sieht sein Ministerium zwar „bei den Themen Betrieb und Optimierung der Stromnetze zu 95 Prozent in Übereinstimmung mit dem FNN“. Wer Falk zuhört, bekommt jedoch das Gefühl: Im Vordergrund der Politik steht „das Kohleausstiegsgesetz“. Danach kommen Einzelaspekte wie „EEG-Umlage absenken“ oder „Beschleunigung beim Netzausbau, das ist klar“. Aber zum Schlagwort „Netzaspekte integrieren“ liefert er keine Antworten. Und dass es Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die hiesige Netzplanung wegen möglicher Nichteinhaltung der völkerrechtlichen Aarhus-Verträge gibt, davon hat Torsten Falk (auf Nachfrage) noch nichts gehört.
Das Stromnetz mit seinen zigtausend verteilten Erzeugungs- und Verbrauchsanlagen entwickelt sich ziemlich dynamisch. Ob mit oder ohne politische Regelungen. Wenigstens gebe es „als Roten Faden für die notwendigen Entwicklungen das FNN-Szenario 2030“, erwähnt Stefan Küppers.
Dieses sei nicht statisch, sondern werde ständig angepasst. Gleichzeitig entwickle das FNN eine „Kommunikationsplattform für eine völlig neue, sichere, digitale Infrastruktur für die Energiewende“. Wann darüber „systemkritische Leistung gesteuert wird, ist noch offen. Aber wichtig ist: Wir müssen jetzt anfangen und den Prozess in Gang bringen“, so Küppers wörtlich.
Darin sind sich offensichtlich alle Netzbetreiber einig – ÜNB wie VNB. Genauso wie in der Forderung, die Politik müsse dringend rechtlich sichere Rahmen für die Sektorenkopplung Strom-Gas-Mobilität schaffen. Denn, wie es Matthias Sturm von der Thüringer Energie AG ausdrückt: „Wir Deutschen sind nicht mehr Vorreiter der Energiewende. Jetzt dreht sich die Sache um.“ Sprich: Im Ausland werden EE massiv ausgebaut, bei uns bremst die Politik. Aber: „Wir können unsere Erfahrungen der EU-Allgemeinheit zur Verfügung stellen“, so Sturm. Wir waren schließlich einmal vorndran.
Gerade in der E-Mobilität sehen Netzbetreiber Chancen, Sektoren zu koppeln, also EE-Strom möglichst dann zu speichern, wenn er im Überfluss vorhanden ist. Um die Verbraucher hierfür zu begeistern, hat FNN Shary Reeves engagiert. Die ist als Moderatorin der WDR-Serie „Wissen macht Ah!“ gerade der U30-Generation bekannt.
Nun erklärt sie auch Älteren, „wie der Stromkunde der Zukunft mit Energie umgeht“. Einige Dreieinhalb-Minuten-Erklärfilme mit Shary zu E-Autos, Stromnetzen und mehr stehen bereits online. Doch Werbung allein genügt nicht, damit Elektroautos den Straßenverkehr wirklich dominieren und die Netzbetreiber sie als steuerbare Stromspeicher nutzen können: „Wir brauchen echte Anreizmechanismen.“ Wer das Autoladen per Fernsteuerung zulasse, spare momentan etwa 140 Euro jährlich. „Das reicht nicht“, ist Ingo Diefenbach vom VNB Westnetz überzeugt.
Das Potenzial wiederum wirkt gigantisch: wenn denn einmal zehn Mio. E-Autos unterwegs sind mit jeweils 40 kWh Batterie, können die eine Strommenge von 400 GWh speichern. „Das ist zehnmal so viel wie alle Pumpspeicher hierzulande zusammen“, rechnet Diefenbach vor.
„Offenbar sind wir zu lieb. Wie schaffen wir es, auch gehört zu werden? Stattdessen steht der Kohleausstieg im Blick der Politik“, resümiert sichtlich enttäuscht Stefan Küppers. Er ist im Ehrenamt Vorsitzender im Vorstand der FNN und hauptberuflich Geschäftsführer bei Westnetz.