29.10.2021
Das (E-)Auto, die Rohstoffwende und die Lieferkette (2)
Eine Kritik von Götz Warnke
Schließlich kommt das Papier S. 19 ff. zu seinem eigentlichen Thema: den Rohstoffen und den Lieferketten. „Menschenrechtlich, sozial & ökologisch ein Problem: Der Bedarf an metallischen Rohstoffen für Automobilität und Elektroautos“ (S. 19 ff.) heißt die Überschrift in der Studie „Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit. Warum wir die Mobilitäts- und Rohstoffwende zusammendenken müssen“ (siehe auch Teil 1 von letzter Woche). Dabei konzentriert sich das Paper auf Eisenerze, Bauxit/Aluminium, Kupfererze, Lithium, Kobalt, Nickel und die Manganknollen der Tiefsee, wobei viele der dazugehörigen Texte Fragen aufwerfen:
Eisenerz kommt nach Deutschland zu 44,8 % aus Brasilien, wobei zu recht die Menschenverluste und Umweltverschmutzungen durch brechende Dämme der Flüssigabfall-Becken beklagt werden. Gleichzeitig schreibt man jedoch: „Nur zwei Jahre später ist Vale gemeinsam mit dem TÜV Süd wieder hauptverantwortlich für ein Verbrechen unfassbaren Ausmaßes – in Brumadinho, das 272 Menschenleben forderte.“ (S. 24) Ob es sich dabei um ein Verbrechen oder eine technische Panne handelt, ist Gegenstand der Ermittlungen der Münchner Staatsanwaltschaft gegen den TÜV Süd; insofern ist das Reden von einem Verbrechen etwas voreilig. Zudem ist nicht klar, warum das alles primär ein Problem der deutschen Autoindustrie sein soll. Diese verarbeitet nur rund ein Viertel des deutschen Stahlbedarfs, die Bauindustrie hingegen 35 %, und davon liefert Brasilien weniger als die Hälfte.
Bei Kupfererzen ist gleichfalls zu fragen, warum der Ankauf von geringen Mengen Kupfer durch die deutsche Kupferhütte Arubis in 2016 von einem mexikanischen Konzern, dessen einer Bergbau in 2014 einen verheerenden Unfall hatte, ein Problem der deutschen Autoindustrie sein soll? Arubis kauft und liefert in alle Welt, und Mexiko ist auch nach dem „Gerechtigkeitspapier“ kein Hauptherkunftsland deutscher Rohstoffimporte. Ebenfalls tut es nichts zur Auto-Sache, dass Siemens mal das Stromnetz für den Bergbau zur Verfügung gestellt hat (S. 27).
Lithium-Abbau, insbesondere in Chile, ist in diesem Zusammenhang unvermeidbar. Obgleich das Paper sich im Gegensatz zum vollmundigen Harald Lesch deutlich zurück hält, und auf fehlende wissenschaftliche Studien verweist, sind einige Punkte durchaus zu kritisieren. Zum einen gibt es kein Datenmonopol der Bergbauunternehmen bezüglich der ökologischen Daten; staatliche chilenische Stellen könnten die Informationen jederzeit einfordern. Zum anderen ist es praktisch ausgeschlossen, dass die oberflächennahen Salzwasserseen (10 bis 60 m) mit den tiefer liegenden Süßwasserquellen in Verbindung stehen, weil sonst das dichtere und damit schwerere Salzwasser ins Süßwasser einsickern, und dieses zu ungenießbarem Brackwasser machen würde. Sätze wie „Nach 25 Jahren Lithiumförderung im Salar de Atacama beobachten die Bewohner*innen des Salarbeckens eine Absenkung des Grundwasserspiegels in diesem einzigartigen Ökosystem“ deuten eher darauf hin, dass die SUVs und Pickups fahrenden indigenen Gemeinschafte (Timeline: 7:22) in den vergangenen Jahre u.U. zu viel Wasser für ihre Landwirtschaft etc. entnommen haben. Und, nicht zu vergessen: Auch indigene Gemeinschaften sind Lobbygruppen ihrer eigenen ökonomischen Interessen.
Kobalt-Abbau im Kongo ist hier natürlich auch ein Thema. Abgesehen davon, dass Kobalt in vielen Industriebereichen verwendet wird – beileibe nicht nur für Akkus –, und dass es inzwischen eine Zunahme von koblatfreien Batterien gibt, so dass künftig ganz auf Kobalt in Akkus verzichtet werden kann, so ist es höchst widersprüchlich, wenn man einerseits die negativen ökologischen und sozialen Folgen der Bergbaukonzerne beklagt, andererseits aber einen Bergbaukonzern für die Schließung von Minen anklagt (S. 29 f.).
Nickel ist wichtig für die Autoindustrie; die Hauptlieferanten für den deutschen Bedarf sind nach Aussage des Papiers die USA (35,7%), Malaysia (19,2%) und Japan (11,3%). Um so verwunderlicher ist es, dass das Papier eine ganze Reihe von schweren Missständen aufgezählt, die diese Länder gar nicht betreffen, sondern Indonesien, Philippinen, Russland und Papua-Neuguinea. Das ist eher ein Fall für den Bundesaußenminister oder -Entwicklungshilfeminister, aber nicht für die deutsche Autoindustrie.
Der Tiefseebergbau ist nur mit Genehmigung durch die Internationale Meeresbehörde (IMB) möglich und ruht derzeit wegen der Covid-19-Pandemie. Einige Wissenschaftler fordern ein Moratorium, bis potentielle Auswirkungen auf die Meeresökologie besser erforscht sind. Dennoch weiß das PowerShift-Papier schon jetzt, dass der Tiefseebergbau eine Hochrisikotechnologie ist. Dabei bleibt doch die Frage, ob diese Tiefseewelt in einem beidseitigen Austausch mit den höheren Meeresschichten steht, oder ein End-of-the-Pipe-System darstellt, bei dem Eingriffe keine Auswirkungen auf das übrige Meeressystem haben. Der Abbau von Manganknollen findet in Tiefen von 4.000 bis 6.000 Metern statt, und damit weit unter der Tiefseefischerei (max. 2.000 m) und der maximalen Tauchtiefe von Walen (3.000 m). Dass davon „marginalisierte Gruppen wie Fischer*innen“ betroffen sein könnten, ist höchst unwahrscheinlich. Und hat im Übrigen nichts mit der deutschen Autoindustrie zu tun. Das Papier schließt ab mit fünf Seiten zu Lieferketten hinsichtlich staatlicher Vorgaben und eigenen Aktivitäten von Autokonzernen sowie zweieinhalb Seiten zur Verkehrswende, in denen man das meiste so oder ähnlich schon andernorts gelesen hat.
Fazit
Das vorliegende Papier hat sehr viel mit Lieferketten, wenig mit der Verkehrswende, und fast nichts mit der Rohstoffwende zu tun. Denn Rohstoffwende meint ja nicht die soziale Besserstellung von Bergarbeitern in der „Dritten Welt“ – die ist zwar auch wichtig, gehört aber in ein anderes „Kästchen“ – , sondern die eklatante Reduktion oder gar Substitution von in ihrer Bereitstellung energieaufwändigen und klimaschädigenden Rohstoffen. Z.B. Akkus, schon heute ohne Kobalt und schon morgen ohne Lithium, sind eine Rohstoffwende; viele Klagen, aber auch Arbeitsplätze von indigenen Gemeinschaften werden sich dadurch von selbst erledigen.
Die Verkehrs- bzw. Mobilitätswende ist weit mehr als eine Strukturänderung des heutigen Landverkehrs; sie muss Luft- und Wasserverkehre mit einschließen. Selbst die Kritik am Auto greift bisweilen zu kurz: Z.B. dass Millionen Fossilfahrzeuge mit ihren Motoren die Megastädte aufheizen ist das eine, dass nicht nur die Versiegelung der Landschaft, sondern insbesondere auch die der Städte wegen der damit verbundenen Aufheizung ein Problem darstellt, ist das andere – beides wird nicht erwähnt. Dem gegenüber stehen die pauschalen und z.T. ungerechtfertigten Anwürfe gegen die Autoindustrie. Die deutschen Autohersteller sind wahrlich keine „Chorknaben“(Abgasskandal, illegale Preisabsprachen, Verbrauchsschummeleien) und müssen daher für reale Verfehlungen unnachgiebig zur Verantwortung gezogen werden; sie sind aber auch nicht für das ganze Elend des weltweiten Bergbaus verantwortlich.
Was die künftigen Lieferkettengesetze anbelangt, so lässt die Pauschalität der hier erhobenen Schuldzuweisungen nichts Gutes erahnen, zumal bisweilen Kläger sich nach Möglichkeit den wohlhabendsten Beteiligten, nicht aber unbedingt den eigentlich Schuldigen herauspicken. Wünschenswert wäre deshalb ein einfaches Gesetz, dass nur den in die Pflicht nimmt, der einen Rohstoff bzw. Produkt hier in Deutschland in den Verkehr bringt (Importeure oder ausländische Exporteure).
Letztlich findet sich an vielen Stellen eine moralisierend-pauschalisierende Tendenz, so dass man meinen könnte, hier habe die Erbsündenideologie der beiden beteiligten kirchlichen Organisationen Pate gestanden. Und wer das Papier gelesen hat, weiß auch, warum sinnvollerweise solche Studien meist von den „üblichen Verdächtigen“ stammen.
Teil 1 von letzter Woche