29.01.2021
Forderungen nach mehr Mitbestimmung in der Klimapolitik
Ein Bericht von Tatiana Abarzúa
Sie fordern, einen repräsentativen, unabhängigen „bundesweiten Bürger*innenrat zur Klimapolitik einzuberufen“. Die Initiative Klima-Mitbestimmung Jetzt hatte die Petition Mitte September auf der Petitionsplattform des Deutschen Bundestags eingereicht. Die Initiatoren hatten Erfolg: ihre Petition 116046 wurde von 69.865 Menschen mitgezeichnet.
Vielleicht wird 2021 ein Jahr, in dem Bürgerbeteiligung in den Mittelpunkt rückt, und sich viele an einem Dialog über sinnvolle Wege für einen wirksamen Klimaschutz beteiligen? Beim in der Petition vorgeschlagenen Klima-Bürgerrat sollen 100 bis 150 Menschen per Losverfahren ausgewählt werden. Die Initiatoren argumentieren, dass die aktive Beteiligung der Menschen an der Lösungsfindung eine Klimapolitik auf den Weg bringen kann, die faktenbasiert, fair und von der Breite der Bevölkerung mitgetragen wird. Der Klima-Bürgerrat bringe zufällig ausgewählte Menschen zusammen, „die die Vielfalt unserer Gesellschaft widerspiegeln“. Die ausgelosten Ratsmitglieder sollen sich einmalig – jedoch an mehreren, in der Anzahl festgelegten Wochenenden – treffen.
Ihre Aufgabe ist, gemeinsam Vorschläge zu erarbeiten, mittels denen in Deutschland die Klimaziele aus dem Übereinkommen von Paris eingehalten werden, um die Erderwärmung auf 1,5°C zu begrenzen. Diskussionen über Vor- und Nachteile verschiedener Lösungsansätze sollen moderiert werden. Zudem soll die entwickelte Handlungsempfehlung sozial gerecht sein. Die Ratsmitglieder sollen „von anerkannten und unabhängigen Expert*innen“ beraten werden, so dass sie die Möglichkeit haben, sich umfassend zu informieren. Die Arbeit soll transparent sein, also „Außenstehenden den nötigen Einblick in die Geschehnisse im Bürger*innenrat“ geben, wie die Initiative das auf einer FAQ-Seite beschreibt. Etwa durch „Zusammenfassungen der Ergebnisse der Diskussion“ sowie Videoaufzeichnungen der „Vorträge der Expert*innen“ und der Fragen, die „entweder von den Teilnehmenden direkt oder, falls sie sich damit nicht wohl fühlen, von den professionellen Tischmoderator*innen gestellt“ werden. In ihrer Petition fordert Klima-Mitbestimmung Jetzt auch eine Selbstverpflichtung der Exekutive. Konkret, dass sich der Bundestag verpflichtet, „die Vorschläge des Bürger*innenrats in seiner Gesetzgebung zu berücksichtigen“
Das Quorum – 50.000 Mitzeichnungen innerhalb der Mitzeichnungsfrist – wurde weit übertroffen, somit erhielt der Petent Enno Rosinger die Gelegenheit, das Anliegen im Petitionsausschuss kurz darzustellen und anschließend konkrete Fragen von Ausschussmitgliedern zu beantworten. Er wurde begleitet von Philipp Verpoort, ebenfalls Mitglied von Klima-Mitbestimmung Jetzt. Die einstündige, öffentliche Ausschusssitzung wurde live auf der Internetpräsenz bundestag.de übertragen (Aufzeichnung, Beginn ab 2:10). Rosinger und Verpoort waren sehr gut vorbereitet. In seinem Eingangsstatement sagt Rosinger, dass die Initiative, die die Petition gestartet hat, neben der Krise um die globale Erderwärmung noch „die Krise in unserem Gesprächsklima“ als zweite Klimakrise erkannt habe. „Was wäre, wenn es einen Raum gibt, in dem ein konstruktiver und respektvoller Zukunftsdialog möglich ist? Unserer Ansicht gibt es diesen Raum noch nicht, doch wir können ihn schaffen mit einem bundesweiten Bürger*innenrat zur Klimapolitik“, so Rosinger. Außerdem plädiert er für eine langfristige Einbindung des Klima-Bürgerrats in das politische Handeln der Bundestagsabgeordneten. Zudem teilt er mit, dass die Initiatoren der Petition die Einberufung eines Bürger*innenrats im Laufe dieses Jahres für zeitlich unrealistisch halten.
Deshalb möchten sie Parlamentarier ermutigen, noch vor der Wahl, einen von Scientists for Future – unabhängig von einem vom Bundestag initiierten Bürgerrat – initiierten zivilgesellschaftlichen Bürgerrat zu unterstützen. Die Organisation hat zur Durchführung einer Bürger:innenversammlung zum Thema Klima in diesem Jahr aufgerufen, da es einen Mangel gebe an „Foren, in denen sich Bürger:innen mit Expert:innen austauschen und gemeinsam mögliche Szenarien und Lösungen erörtern können“.
Rosinger und Verpoort erläutern das vorgeschlagene losbasierte, zweistufige Auswahlverfahren, das eine Stratifizierung u.a. nachberufliche Qualifikation berücksichtigt, und somit „die verschiedenen Milieus entsprechend ihres Vorkommens in der Gesamtbevölkerung abgebildet“ und „Repräsentativität hergestellt“.
Als Antwort auf die Frage des Abgeordneten der Unionsfraktion Hermann Färber, ob die Berücksichtigungspflicht als rechtlich bindend gesehen werde, antwortet Philipp Verpoort, dass es sich um „Empfehlungen an die Abgeordneten“ handelt. „Alles andere wäre verfassungswidrig“ ergänzt er. Vielmehr würden die Initiatoren der Petition erwarten, dass die Abgeordneten die Empfehlungen des Bürgerrats entgegennehmen, kommentieren und in die parlamentarischen Beratungen einfließen lassen.
Nach Ansicht von Rosinger und Verpoort handelt es sich beim Bürgerrat um eine Ergänzung der repräsentativen Demokratie, also auch um eine weitere Perspektive für die Demokratie. Ihrer Meinung nach decken sich die Lebensrealitäten der Menschen in Deutschland nicht ausreichend mit denen der Bundestagsabgeordneten.
Die Mitglieder des Petitionsausschusses werden nun über die Petition beraten. Der Blick hin zu anderen Ländern zeigt, dass derzeit viele Beteiligungsformate umgesetzt werden. Österreich (Zukunftsrat Demokratie), Frankreich (Convention Citoyenne pour le Climat), Schottland (Scotland's Climate Assembly), Irland (Citizens' Assembly on Gender Equality). Ein Zeichen der Zeit? 2019 stand sehr stark im Zeichen der Klimaschutzbewegung, 2020 wird wohl ein synonym werden für die Bewältigung der Coronakrise – kommt jetzt in Deutschland wieder mehr Bewegung in die Klimapolitik?