28.08.2020
Wie das CO2 aus der Welt kommen soll
Eine Weltreise-Reportage von Heinz Wraneschitz
Wir Menschen produzieren immer mehr davon. Aber jetzt soll es wieder raus aus der Atmosphäre: Das Treibhausgas Kohlenstoff-Dioxid, kurz CO2. Doch wird durch die Technik, CO2 wieder zu verbrauchen, alles besser mit dem Klima? Ich konnte mich am vergangenen Dienstag an einigen Orten dieser Welt darüber informieren. Natürlich nur virtuell.
„Einmal um die ganze Welt, und die Taschen voller Geld.“
Ältere werden sich sicher erinnern, dass Karel Gott von diesem Wunsch einst „schon als kleiner Bub geträumt“ hat. Ein Traum, den heutzutage offensichtlich viele Menschen, vor allem Politiker, Wissenschaftler und Unternehmer haben: Sie zaubern „Abramakabra, Du bist weg“ das CO2 aus der Atmosphäre; die Klimaziele von Paris sind mir nichts, Dir nichts erreicht. Und wir alle können schwuppdiwupp unser Leben so weiter leben wie bisher: Energie- und Ressourcen-verschwenderisch. Ohne Rücksicht nehmen zu müssen auf Natur, Umwelt, unsere „Mutter Erde“.
Karel Gott konnte sich die Weltumrundung erst nach Beginn seiner beeindruckenden Sängerkarriere leisten: Irgendwann waren seine „Taschen voller Geld“. Doch gerade Forscher, Start-Up-Unternehmen, vor allem aber Großkonzerne können schon bei kleinsten Ideen zu CO2-Ex, die sicher nicht das weltweite Problem lösen, mit viel Geld aus Fördertöpfen rechnen.
Allein die EU-Kommission (EC) stellt im aktuellen Programm für Carbon Capture and Utilization and Storage, kurz CCUS, zwei Milliarden Euro bereit: Das berichtet EC-Mitarbeiter Carmine Marzano unserem 114-köpfigen CO2-Weltreiseteam beim Stopp in Brüssel. Noch bis Ende Oktober werden Ideen gesammelt für das neu aufgelegte Programm „NER300“.
Dabei sollte die Umsetzung der kleinen Ideen schon richtig viel Geld kosten: Beim alten NER300 wurden die gerade mal 17 Projekte mit durchschnittlich 59 Mio. Euro bedacht. Für Kleinunternehmen ist NER300 wohl nicht unbedingt gedacht. Ebenso ist es bei „Horizon“, das von 2021 bis 2027 gleich mit 300 Mrd. Euro ausgestattet ist.
Aber wenigstens sind die EU-Programme „Technologie-offen. Genau das brauchen wir“, freut sich Jan Freymann von der Sunfire GmbH aus Dresden. Das Unternehmen will „umweltfreundliches Flugbenzin“ herstellen (DGS-News berichteten) und braucht dafür sicher jede Menge Förder-Kohle – EU-Geld beispielsweise. Sunfire ist irgendwie mit der Climeworks AG verbandelt. An deren Hauptsitz in Zürich war unsere Reisegruppe bereits am Vormittag. Die Technik, die die Schweizer anbieten, heißt DAC, „Direct Air Capture“. „Ein Filter holt CO2 aus der Luft. Das wird gespeichert oder verflüssigt oder was auch immer. Es kann in Gewächshäuser geführt werden für besseren Pflanzenaufbau“ – oder eben von Sunfire in Flugbenzin umgewandelt: So erklärt uns André Bechem die Arbeit seines Unternehmens.
2460 kg CO2 pro Tag fange die Maschine DAC18 auf, erzählt Bechem begeistert. Wenn man nachrechnet, sind das zwar gerade mal 898 t im Jahr. Aber immerhin: „Wir sind CO2-negativ. Das kostet momentan 400 bis 500 Dollar pro Tonne. Bis 2025 wollen wir bei 150 Dollar sein“, hofft der Climeworks-Mann. Dabei setzt er auf „Produktion der DAC-Anlagen, die anderswo billiger ist. Und das Upscaling, das bringt etwas.“
Zuerst Australien - dann Schweiz
Vor der Schweiz hatten wir übrigens einen Abstecher nach Australien gemacht, waren bei Mineral Carbonation International (MCi) in Canberra zwischengelandet. Diese Firma will „die in der Natur über Jahrtausende ablaufende CO2-Speicherung in Momenten schaffen“, erläutert Sophia Hamblin Wang, COO, also Betriebsleiterin von MCi. „Damit machen wir die Welt zu einem besseren Ort“, sagt sie, denn „wir transformieren das CO2 in neue Produkte, vor allem für den Bau“. „Negative Emissions Industry“ nennt das Marcus Dawe, der MCi-Geschäftsführer (CEO). „Wir wollen 100 Anlagen rund um die Welt bauen und Millionen Tonnen CO2-armer Produkte liefern“, kündigt Dawe an. Die Pilotanlage läuft seit 2013. Ob es für die Produkte von dort bereits zahlende Kunden gibt, lässt er im Vagen.
Auf dem virtuellen Flug von Down Under nach Deutschland erfahren wir unter anderem von Prof. Tao Wang von der Universität Zhejiang, dass in China jede Menge CCUS-Projekte entstehen. Allein acht Maschinen in Yulin City fangen laut Wang bereits heute jährlich 150.000 t CO2 aus der Luft. Ja, es werde auch CO2 in Beton umgewandelt wie beispielsweise 10.000 t aus einer Chemiefabrik in Jiaozuo City. 100 Millionen Leichtgewichts-Betonklötze werden daraus jedes Jahr produziert. Doch allein das Abtrennen des CO2 koste bis zu 100 Dollar je Tonne. Weshalb in der chinesischen CO2-Roadmap bis 2030 auch die geologische Abscheidung, als CCS bekannt, die Hälfte des Plans einnimmt: Sieben Mio. t sollen im Reich der Mitte dann jährlich unter die Erde gedrückt werden, „für 20 bis 30 Dollar pro Tonne“, so Prof. Wangs Vorausschau. Zu Sicherheitsfragen bei diesem „Carbon Capture Storage CCS“ will er sich auch auf Nachfrage nicht äußern. Im Vorbeiflug an Leverkusen erfahren wir von Marina Sebastian, was die Bayer-Ausgründung Covestro AG machen will: „Wir nehmen CO2 als Rohmaterial für Kunststoff her. Das Rezept für erfolgreiches Einfangen ist ein Katalysator. Unsere Projekte: Kleider, Betten, Sportböden, Sportschuhsohlen, Autoteile aus CO2.“ Viele Produkte gebe es bereits: „Wir arbeiten eng mit der RWTH Aachen zusammen und der Dechema.“
Von den Alpen nach Island
Kurz danach Landung in Reykjavik, Island. Carbon Recycling International (CRI), gegründet 2006, produziert im „weltweit ersten Werk auf industrieller Basis Öko-Treibstoff und Chemie aus recyceltem CO2 und einer Elektrolyse mit Erneuerbaren Energien“, verkündet ziemlich stolz Benedikt Stefánsson, Director of Business Development bei CRI. Aus 1,4 t „schadstofffreiem CO2“ entstehe 0,2 t Wasserstoff und 1,0 t Methanol.
Die Produktionskapazität der nach Nobelpreisträger George Olah benannten Fabrik: 12 t pro Tag oder 4.000 t pro Jahr. Immerhin ein Vierzigstel des Kraftstoffverbrauchs von ganz Island. Auch wenn der Preis noch doppelt so hoch sei wie der konventionellen Methanols, sieht Stefánsson „eine Akzeptanz im Markt dafür“. Weshalb CRI in Deutschland, Österreich und Norwegen bis 2024 Fabriken mit insgesamt einer halben Mio. t Methanol-Kapazität plant. „Das Problem ist die geringe CO2-Bepreisung“, lautet sein Grund, warum nicht mehr passiert.
Zurück nach Deutschland, zur Ineratec GmbH in Karlsruhe, einem Ableger des dortigen KIT-Instituts. Geschäftsführer Tim Böltken stellt das Konzept der hochflexiblen Anlagen der Firma vor: Die könnten, angetrieben mit Strom aus fluktuierenden Ökoquellen, „alles Mögliche aus CO2 herstellen“. Konkret: Am Ende des Prozesses „kommen definiert lange CH-Ketten heraus, für Wachs, aber auch für Diesel oder Benzinproduktion nutzbar. Standardmodule sind kaufbar“, sagt Böltken: aktuell mit der Leistung 1 MW für 350 t eingefangenes CO2, ab 2021 werde der Modul-Standard auf 10 MW erhöht.
Nochmal über`n großen Teich
Die letzte Station Kanada erreichen wir um 14 Uhr. Dort, in Squamish, British Columbia ist es morgens um Fünf. Dennoch wirkt Vizepräsident Doug Rae von Carbon Engineering Ltd. (CEL) absolut ausgeschlafen, als er das „geschlossene CCS-System“ seiner Firma vorstellt. „Je größer, umso wirtschaftlicher“ sei es zu betreiben. Jedenfalls in Nordamerika, wo je nach Land bis zu 450 Dollar Steuern je eingefangener Tonne CO2 zu sparen seien. Bis 2030 erwartet er einen Fangpreis von 150 Dollar je t, für 2050 „spekulativ 20 Dollar“. „30 ha Fläche für eine Fabrik mit der Jahres-Kapazität von einer Mio. t CO2“ werde benötigt, mehrere davon hat CEL laut Rae aktuell in Auftrag.
Am Ende der recht anstrengenden Weltreise steht noch eine Diskussion mit Experten aus drei Kontinenten auf dem Plan. Darin stellt Prof. Volker Sick, Direktor der Global CO2 Initiative, von Michigan/USA aus klar: „Es muss gelingen, vier Gigatonnen CO2 pro Jahr profitabel für umweltfreundliche Produkte zu nutzen. Beton, Treibstoffe, Polymere“ nennt er als Beispiele.
Prof. Samir Rachidi von der marokkanischen Staatsagentur Iresen plädiert dabei für viele CCUS-Anlagen in Nordafrika: „Die Nationale Kommission Power-to-X von Marokko bereitet den Boden für Grünen Wasserstoff aus CO2 bis 2021.“ Ammoniak wolle man daraus produzieren, „auch für den Export“, dazu Sprit für Schwerlaster und Öffentliche Transportmittel. Warum Rachidi für die nordafrikanischen Länder als Standorte wirbt? „Wir haben viel Potenzial an Erneuerbaren Energien (EE), Sonne wie Wind.“
Das sieht das Prof. Kurt Wagemann, der Dechema-Geschäftsführer, ähnlich: „In Europa haben wir bei Gott nicht genug EE, um die Industrie zu dekarbonisieren.“ Aber Investitionen in Afrika werde es nur dann geben, „wenn dort die Regeln klar sind“, so Wegemann.
Womit für mich auch nach der Weltreise die Gretchenfrage weiterhin offen bleibt: Woher soll die Ökoenergie kommen, um all die toll klingenden Wasserstoff- oder CO2-Rückwandlungsideen mit Elektrolyse-Strom zu versorgen? Afrika klingt für mich nach Energiekolonialismus. Und von Überschüssen anderswo ist höchstens bei skandinavischer Wasserkraft etwas erkennbar. Jedenfalls Stand heute.
Kommentar
Die „CO2 World Tour - Utilization – From Demo to Market“ wurde organisiert von der Dechema, der Deutschen Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie e.V. Die von Dechema gestellte, moderierende Reiseleitung strahlte durchgehend von morgens um Neun bis nachmittags um Vier von den Bildschirmen. Prof. Atsushi Urakawa von der TU Delft, einer aus dem Team, stellte unwidersprochen fest: „Wir müssen in Zukunft alles dekarbonisieren.“ Aber das „Wie?“ wurde von keinem der Fachleute wirklich beantwortet. Deshalb werden sich weiter vor allem solche Konzerne „die Taschen voller (Forschungs-)geld“ füllen können, die genug Kapazität zum Schreiben von EU-Förderanträgen haben. WRA