28.08.2020
Individuelle Mobilität – klimaneutral und TÜV-geprüft
Ein Bericht von Götz Warnke
In Zeiten der Corona-Pandemie erlebt die individuelle Mobilität eine Renaissance: Während die Züge der Deutschen Bahn nicht mehr ganz so überfüllt sind und in Bussen und Bahnen des ÖPNV zum Teil gähnende Leere herrscht, setzen deutlich mehr Menschen beim Weg zur Arbeit oder zu Freunden auf individuelle Lösungen. Das betrifft vielfach das Fahrrad, für das insbesondere in den Ballungszentren sogenannte Pop-up-Radwege eingerichtet werden.
Das betrifft aber auch das eigene Auto, das bei überdurchschnittlichen Arbeitsweglängen die praktikablere und gegenüber dem ÖPNV zugleich virensicherere Verkehrsalternative ist. Doch hier liegt die Krux: Der deutsche Fuhrpark besteht überwiegend aus Abgasautos, die nicht nur gegenwärtig die Luft in den Städten verpesten, sondern auch unser künftiges Klima ruinieren – ein Problem, das in seiner Bedrohlichkeit die derzeitige Corona-Krise weit übertrifft. Insofern bedarf es neuer Konzepte, die einerseits das Bedürfnis nach automobilem Individualverkehr berücksichtigen, und andererseits den Abschied vom Abgasauto beschleunigen helfen.
Nun hat der Verband der Technischen Überwachungsvereine e.V. (VdTÜV) in seiner Rubrik Alternative Antriebe/Zukunft der Mobilität ein Positionspapier herausgebracht. Unter dem Obertitel „Elektromobilität mit Akzeptanz ohne Verzicht“ heißt es konkret „Individualverkehr klimaneutral gestalten“. Ausgehend von den Schwierigkeiten des Verkehrssektors, die deutschen Klimaziele für 2030 zu erreichen – immerhin sollen gegenüber 1990 die Treibhausgas-Emissionen des Mobilitätsbereichs um ca. 42 % sinken, was nach den derzeitigen Maßnahmen der Bundesregierung um 56 Millionen Tonnen CO2 verfehlt werden dürfte –, präsentiert der TÜV auf insgesamt elf Seiten zur Erzielung der erwünschten CO2-Reduktionen sechs Einzelpositionen.
Im Einzelnen:
1. Klares Bekenntnis zum elektrischen Antriebsstrang im Straßenverkehr
Angesichts der steigenden Mobilitätsbedürfnisse könnten Abgas-Fahrzeuge trotz aller Innovationen im Motorenbau die Nachhaltigkeit im Verkehrssektor nicht steigern. Daher fordert der VdTÜV „ein klares Bekenntnis zum elektrischen Antriebsstrang im Straßenverkehr, entweder als reines batterieelektrisches Fahrzeug oder mit Brennstoffzellen und Wasserstoff als Energieträger.“ (S. 4) Handlungsmaßstab müssten hier die Pariser Klimaziele sowie die der Bundesregierung sein. Die Elektrifizierung des Antriebsstrangs sei keine Brückentechnologie, die irgendwann mal wieder abgelöst werde, sondern die Option auf eine saubere Verkehrszukunft. (S. 10) Der Einschätzung der TÜVler ist hier in vollem Umfang zuzustimmen; ohne einen elektrischen Antriebsstrang ist weder ein energieoptimiertes Anfahren noch ein ebensolches Bremsen (Rekuperation) möglich.
2. Erneuerbare Energien ausbauen
Diese TÜV-Forderung ist konsequent, denn ohne neue, massive EE-Installationen würde bei einer Elektrifizierung des Verkehrs nur der Verbrennungsprozess vom Motor ins Kohle-Kraftwerk verschoben. Durch einen überproportionalen EE-Zubau kann erreicht werden, „dass Elektroautos im fahrenden Betrieb kontinuierlich umweltfreundlicher werden.“ (S. 10) Genauso richtig ist, dass auch Energiespeicher zum System unbedingt dazu gehören. Dann aber wird offensichtlich ein von TÜV-Eigeninteresse geleitetes Moment deutlich: „Regelmäßige und unabhängige Prüfungen im Genehmigungsverfahren und im Betrieb können die Anlagen sicherer und umweltverträglicher machen. Damit kann auch die notwendige Akzeptanz in der Bevölkerung gestärkt werden.“ (S. 5) Bei solchen Forderungen muss klar sein, dass sich eine regelmäßige Überprüfung auf Großanlagen zu beschränken hat. Für private, häusliche PV-Anlagen ist das keinesfalls akzeptabel.
3. Selbstbewusste Regulierung, steuerliche Kaufanreize und Aufklärung der Bevölkerung
Die externen Kosten der Fossil-Fahrzeuge müssten endlich eingepreist werden; die Kfz-Steuer sollte eine Lenkungswirkung hin zu nachhaltiger Mobilität entwickeln; ein Elektromobilitätsgesetz (EmoG) sollte mit Hilfe eines Bonus-Malus-Systems den Unterschied zwischen klimaneutraler und klimaschädlicher Mobilität klar herausstellen. Auch hier ist dem VdTÜV vollumfänglich zuzustimmen.
4. Weiterentwicklung der Ladeinfrastruktur in Deutschland
Der VdTÜV fordert einen Ausbau der Ladestruktur in ihrer ganzen Breite: von den DC-Schnellladern an den Verkehrsknotenpunkten über die kommunale AC-/DC-Ladestruktur und Lademöglichkeiten an Points-of-Interest (Supermärkte, Arztpraxen etc.) bis zu den heimischen/privaten Wallboxes (auf eigenem Grundstück/in der Tiefgarage der Miet- oder Eigentumswohnung), wo ca. 85% aller Ladevorgänge stattfinden. Dazu gehören u.a. auch eine klare Übersicht der Lademöglichkeiten, klare Kosten- und Abrechnungssysteme, sowie ein intelligentes Ladelastmanagement. „Aus Sicht des VdTÜV muss der Gesetzgeber Maßnahmen einer periodischen Überwachung vor allem bei der öffentlichen Infrastruktur implementieren.“ (S. 6) So richtig die o.a. Aussagen sind, so macht doch dieses letzte Zitat auch das wirtschaftliche Interesse der TÜV-Organisationen an diesem Thema deutlich.
5. Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Technologien weiter ausbauen
Die sollen dort eingesetzt werden, wo das batterie-elektrische Fahrzeug (BEV) energetisch an seine Grenzen stößt. „Aus unserer Sicht ist dies vor allem im Nutzfahrzeugsektor und bei besonderen Anwendungsfällen der Langstreckenmobilität der Fall.“ (S.7) Wichtig sei, dass der Wasserstoff ein „grüner“, also mit Erneuerbaren Energien (EE) erzeugter sei. Synthetische Kraftstoffe aus EE („E-Fuels“) hätten kurz- und mittelfristig „nur ein sehr geringes Umweltverbesserungspotential“, seien in größeren Mengen wegen des fehlenden regenerativen Stroms auch nicht herstellbar. E-Fuels gehörten allerdings zu den Technologieoptionen für den Schiffs- und Langstrecken-Luftverkehr. Grundsätzlich ist dem TÜV-Verband hier zuzustimmen. Allerdings lässt sich anmerken, dass auch die Langstreckenmobilität schon heute durch moderne BEVs gelöst ist und ggf. für noch weitere Strecken mit Wechsel-Akkus günstiger lösbar wäre als mit teuren Brennstoffzellen, und dass die E-Fuels auch langfristig ein Randphänomen bleiben werden.
6. Mit Sicherheit Akzeptanz der Elektromobilität fördern
Allein zwei Seiten seines Positionspapiers widmet der VdTÜV nur diesem Thema. Eine Vielzahl von Einzelpunkten und ggf. zu überwachenden Sicherheitsaspekten werden hier angesprochen. Man erfährt z.B., dass die technische Überwachung der Brennstoffzelle „bisher von noch keinem Regelwerk erfasst“ ist, und dass es hierzu einer eigenen Rechtsvorschrift für die Wasserstofffahrzeuge bedarf. (S. 8, 9) Auch in diesem Abschnitt wird wieder das Interesse der TÜVs an der Ausweitung ihrer Prüf- und Begutachtungs-Möglichkeiten deutlich.
Mein Fazit:
Die Forderungen des Positionspapiers sind in sich stringent, überwiegend sachgerecht und nachvollziehbar. Dass die TÜVler in diesem Zusammenhang auch ihre eigenen ökonomischen Interessen ins Spiel bringen, ist legitim, zumal eine Verkehrswende immer auch eine Sicherheits- und Zuverlässigkeits-Dimension hat. Dass sich hier aber nicht alle Wünsche des VdTÜV erfüllen werden, insbesondere wenn sie PV-Kleinanlagen betreffen sollten, muss auch auf Seiten der Überwachungsvereine ganz klar sein. Ebenso sollte deutlich sein, dass eine Verkehrswende gänzlich „ohne Verzicht“ schlichtweg unmöglich ist.