28.05.2021
Das Shell-Urteil - Gerichte machen Klimaschutz
Eine Analyse von Jörg Sutter
Schon wieder eine erstaunliche Gerichtsentscheidung zum Klimaschutz: In den Niederlanden wird der Shell-Konzern erstinstanzlich von einem Gericht gezwungen, seine unternehmerischen Klimaziele zu verschärfen. Konkret hat das Bezirksgericht in Den Haag das Unternehmen angewiesen, seine Kohlenstoffemissionen bis 2030 gegenüber 2019 um 45 Prozent zu reduzieren. Hintergrund ist eine Klage von Klimaschützern: 1.700 niederländische Bürger und sieben Umweltorganisationen hatten dem Konzern vorgeworfen, nicht gemäß den Zielen von Paris zu agieren. Shell hat angekündigt, in Berufung zu gehen. Nicht verwunderlich, denn der Konzern wollte bislang nur eine 20%ige Absenkung bis 2030 erreichen.
Der Status quo bei Shell
Der Shell-Konzern wollte bisher laut aktuellem „Sustainable Report 2020“ bis 2050 eine Netto-Null bei den Treibhausgasen erreichen. Dazu gehören nach Auffassung des Konzerns aber auch Technologien wie CCS (Carbon Capture and Storage), also die Abtrennung von CO2 an einem fossilen Kraftwerk nebst langfristiger Einlagerung des entstandenen CO2. Umweltschützer kritisieren schon lange, dass das kein echter Klimaschutz ist. Zumal Shell ein Klimagas-Schwergewicht ist: Rund 1.600 Mio. Tonnen CO2-Äquivalent hat sich der Konzern für das Jahr 2019 zuzurechnen, coronabedingt waren es 2020 rund 1.400 Mio. Tonnen.
In seiner ersten Reaktion auf das Urteil hat der Konzern herausgestellt, welche Aktivitäten bei Shell sowohl weltweit als auch konkret in den Niederlanden bereits auf dem Weg sind. Neben dem oben genannten 2050-Ziel werden genannt: 200 Schnelladepunkte, die mit Ökostrom betrieben werden; ein zweiter offshore-Windpark; ein dritter Solarpark; die Entwicklung von Bio-Kraftstoffen in den Niederlanden. Doch der Eindruck bleibt, dass Shell hier ganz am Anfang steht, als ob die Projekte eher Feigenblätter denn aktiv betriebene Strategie sind. Denn konkrete Ziele oder Meilensteine werden in der Reaktion nicht genannt.
Dabei hat der Konzern genau solche Meilensteine bereits gesetzt; sie wollen nur gefunden werden. So hat der Konzern konkret aufgeschrieben, wie er kurz-, mittel- und langfristig in seinen drei Rollen als Energieanbieter, als Energieverbraucher und als Partner für Kunden die Klimagas-Reduktion vorantreiben möchte.
Die Konsequenzen
Das Urteil ist nicht rechtskräftig, Shell kann und wird dazu in Berufung gehen. Das Verfahren wird sich damit in die Länge ziehen, eventuell wird erst in Jahren eine rechtskräftige Entscheidung fallen. Trotzdem ergeben sich aus dem aktuellen Urteil Konsequenzen und weitere Fragen:
1 Gerichte machen Klimaschutz
Betrachtet man die Urteile der jüngeren Vergangenheit, erkennt man, dass wesentliche klimapolitische Entscheidungen inzwischen immer häufiger von Gerichten und nicht mehr von der Politik getroffen werden. Die Politik hat lange Jahre gezögert, kaum agiert und bekommt nun das Heft aus der Hand genommen. Kann und wird sich die Politik damit abfinden?
2 Risiko der fossilen Energien
Zu den Förder- und Preisrisiken kommt für die fossilen Energien nun auch ein politisches Risiko dazu: Die fossile Energieerzeugung ist nicht mehr zeitgemäß. Das erkennen auch immer mehr Banken und Versicherer und berücksichtigen dies bei ihren Bewertungen neuer Vorhaben. Es kann gut sein, dass neue Fossil-Anlagen zukünftig noch schwerer finanzierbar und versicherbar werden. Prof. Claudia Kemfert vom DIW formuliert es in einer Reaktion auf das Urteil so: „Fossile Energien bedeuten ein erhebliches finanzielles Risiko“. Jutta Paulus, für die Grünen im Europaparlament, betont: „Ab heute stehen alle Investitionen in Öl- und Gasprojekte auf wackeligen Füßen.“
3 Mitbewerber
Sascha Müller-Kraenner, Geschäftsführer bei der Deutschen Umwelthilfe, fragte auf Twitter bereits, ob denn BP, Exxon und andere Konzerne überhaupt schon Klimaziele verkündet haben. Und er weist darauf hin, dass es noch problematischer bei Gazprom oder Aramco werden könnte – diese Konzerne sind in Staatsbesitz, die Eigner haben das Paris-Abkommen selbst unterzeichnet. Das Urteil erzeugt mit Sicherheit größeren Handlungsdruck weltweit genauso wie bei deutschen Energiekonzernen: So steht z.B. RWE im Miteigentum von Kommunen in Nordrhein-Westfalen. Und die können nicht mehr vermitteln, dass sie den eigenen Bürgern Klimaschutz verordnen, gleichzeitig aber über die eigene RWE-Beteiligung den gleichen Klimaschutz in großem Maßstab torpedieren.
4 Betroffenheit
Erstmals sind die Pariser Klimaziele direkt bei einem Unternehmen „eingeschlagen“, nachdem sich Klimaklagen bisher gegen Staaten oder Kommunen richteten. Auch der Vertrag von Paris über die Klimaziele ist im Grunde nur eine Vereinbarung zwischen Staaten. Wer nun aber als Unternehmen gedacht hat, es sei deshalb inhaltlich erst einmal nicht tangiert, sollte jetzt besser schnell aufwachen. Denkbar: Eine weitreichende Überprüfung von Geschäftsmodellen und wirtschaftlichen Aktivitäten hinsichtlich der „Paris-konformität“ wird Pflicht. Ob durch Gerichte, Kunden, Banken oder den Gesetzgeber, sei dahingestellt.
5 Klare Ansage
Das Bezirksgericht in Den Haag lässt mit dem Urteil kein Ausweichen zu: Es „verurteilt Royal Dutch Shell, sowohl direkt als auch über die Gesellschaften und juristischen Personen, die sie nach eigenen Angaben in ihren Konzernabschluss einbezieht und mit denen sie gemeinsam die Shell Gruppe bildet, das kombinierte jährliche Volumen aller CO2-Emissionen in die Atmosphäre (Scope 1, 2 und 3), die mit den Geschäftstätigkeiten der Shell Gruppe und den verkauften energiehaltigen Produkten verbunden sind, zu begrenzen oder begrenzen zu lassen, so dass dieses Volumen bis zum Ende des Jahres 2030 um mindestens netto 45 % gegenüber dem Niveau des Jahres 2019 reduziert wird [..]“.
Und: Das Urteil bezieht sich ausdrücklich nicht nur auf den Energieverbrauch der Shell selbst, sondern auch auf die CO2-Menge der „verkauften Produkte“. In Konsequenz müsste Shell damit die Verkaufsmenge im schlimmsten Fall um 45% reduzieren, um die geforderte Absenkung zu erreichen.
Fazit
Das Urteil ist zwar nicht rechtkräftig und wird es auch nicht so schnell werden. Doch die Konsequenzen auf die Aktivitäten von Unternehmen werden wohl schon kurzfristig spürbar sein. Der Druck, sich auch als Unternehmen Paris-konform zu verhalten, wurde mit dem Urteil deutlich gesteigert.