25.06.2021
Erdbeben-Energie ernten
Ein Lösungsskizze von Götz Warnke
Erdbeben sind eines der wirkungsvollsten, zerstörerischten Naturphänomene; ihre Auswirkungen können weitaus schwerwiegender sein als Buschfeuer/Flächenbrände, Sturmfluten, die meisten Vulkanausbrüche oder Wirbelstürme. Ursache für diese Gewalten sind die Aneinander-Reibung bzw. das Abtauchen der auf dem flüssigen äußeren Erdkern schwimmenden (Kontinental-)Platten des Erdmantels. Und auch wenn es manchen Betrachter erschrickt oder stört: die bei ihnen freigesetzten Kräfte gehören zu den Erneuerbaren Energien, da die Abkühlung/Verfestigung des Erdkerns noch Milliarden Jahre dauern dürfte, und somit immer weiter Erdbeben auftreten werden. Die bei den Beben wirkenden Energien sind höchst unterschiedlich und hängen in erster Linie von der Stärke des Bebens ab. Diese Stärke berechnet man heute statt nach der überholten „Richterskala“ vorzugsweise nach „sättigungsfreien Skalen“ wie der Momenten-Magnituden-Skala (Mw). Bei dieser logarithmischen Skala entspricht die bei einem der häufiger vorkommenden Erdbeben Stärke 6 freigesetzte Energie der einer Hiroshima-Bombe, die bei einem Erdbeben Stärke 7 freigesetzte Energie aber schon der von 38 Hiroshima-Bomben. Doch was von diesen Energien dann an der Erdoberfläche ankommt und dort wirkt, hängt auch von der Tiefe des Erdbebenherds (Hypozentrum) sowie der jeweiligen geologischen Struktur des Landes bzw. Bodens ab: Je tiefer der Erdbebenherd und je fester die geologische Struktur, desto weniger Energie wirkt z.B. auf Gebäude und andere Infrastruktur.
Aber lässt sich aus Erdbeben auch Energie abernten? Schon das Seismoskop (siehe Abbildung) chinesischen Astronomen Zhang Heng (78 bis 139 n.Chr.) zeigt, dass dies grundsätzlich zumindest für Anzeigeinstrumente möglich ist. Andererseits ist die Erdbeben-Energie die wohl sperrigste der Erneuerbaren Energien: sie ist nicht nur fluktuierend, sondern auch in der Stärke nicht berechenbar und hinsichtlich ihrer „Lieferzeit“ nicht vorhersagbar, auch wenn es bezüglich der schnellen Vorhersage starker Erdbeben zuletzt einige Fortschritte gegeben hat. Dagegen sind andere Erneuerbare Energien wie Gezeiten, aber auch Sonne und Wind in ihren Erträgen und deren zeitlichem Eintreten geradezu simpel zu prognostizieren. Natürlich sind auch bei Erdbeben die Orte wie Istanbul, San Francisco oder Tokio bekannt, an denen in absehbarer Zeit ein großes Erdbeben auftreten wird. Aber ob das bereits morgen, in 20 oder gar 80 Jahren geschehen wird, ist nicht absehbar. Daher lassen sich auch die nötigen Erträge entsprechender Energie-Ernte-Systeme nicht berechnen, und somit die erforderlichen Investitionen nicht finanzieren.
Wenn aber die Errichtung eigenständiger Energie-Ernte-Systeme nicht möglich ist, muss man technische Systeme in Anspruch nehmen, die es bereits schon gibt. Eine – und wohl zugleich die einzige – Option sind Dämpfersysteme/Schwingungstilger aus dem Bereich des erdbebensicheren Bauens. Die eingesetzten Systeme reichen von z.B. Dämpferfederungen bei Brückenkonstruktionen bis zu den im Englischen Tuned Mass Damper genannten Schwingungstilgern bei Wolkenkratzern, wobei in diesem Zusammenhang nur die passiven Systeme interessant sind. Letztere werden stets im Inneren der obersten Stockwerke der Hochhäuser angebracht. Bei einem Erdbeben schwingen diese trägen Schwungmassen mit einer eigenen Frequenz, die konstruktiv anders ist als die Schwingungsfrequenz des Gebäudes und daher letztere weitgehend ausgleicht. In erster Linie gibt es für die Schwungmassen drei verschiedene technische Lösungen:
a) Wassermassen, die zwischen zwei Behältern hin und her fließen – diese Technik ist mit 1.100 Tonnen Wasser im „Comcast Center“ in Philadelphia installiert.
b) Ein auf einem Ölfilm hin und her gleitender Betonblock, der von Stoßdämpfern abgebremst wird.
c) Ein Pendel, das in seiner Schwingungsweite ebenfalls durch Stoßdämpfer begrenzt bzw. abgebremst wird – ein solches in Form einer 660 Tonnen schweren Kugel ist im rund 500 Meter hohen Büro-Wolkenkratzer „Taipeh 101“ installiert.
Zwar kostet der Einbau solcher Schwingungstilger eine Menge Geld, doch sind die Kosten wegen des Schutzes von Menschenleben (z.B. im „Taipeh 101“ arbeiten 10.000 Menschen) und von Gebäudewerten (z.B. der „Taipeh 101“ hat 1,6 Milliarden € gekostet) vernachlässigbar.
Wie lassen sich nun diese Schwingungsdämpfer für die Gewinnung elektrischer Energie nutzen? Zuerst einmal muss man verstehen, was man hier vor sich hat. Um es im Bild eines konventionellen Kohlekraftwerks zu sagen: Dampferzeuger (z.B. Pendel), Turbine (z.B. Stoßdämpfer) und Kohlebunker (erdbebenhöffige Region) sind bereits vorhanden; es fehlt nur noch der Generator. Dieser muss für die Nutzung der Erdbeben-Energie natürlich dem jeweiligen Schwingungsdämpfer angepasst sein: Für die dämpfende Lagerung von Brücken kämen Energy Harvester in Form von Energie zurückgewinnenden Stoßdämpfern in Frage, ähnlich wie sie z.B. am MIT konzipiert wurden, oder mit denen auch Audi experimentierte. Für die hin und her flutenden Wassermassen wären eine Art miniaturisierter Gezeitenturbinen denkbar. Und für die Schwingungstilger mit Betonblöcken oder Pendeln kämen Generatoren aus Basis hydraulischer Antriebe in Betracht.
Bei all’ diesen Energie-Ernte-Systemen muss natürlich in der Auslegung berücksichtigt werden, dass die ursprüngliche Tilger-Funktion des Gebäudeschutzes nicht beeinträchtigt wird.
Was die Installationskosten anbelangt, so fallen sie im Rahmen der Gesamtprojektkosten des Erdbebenschutzes kaum in Gewicht. Auch die Überprüfung/Wartung lässt sich im Rahmen der Überprüfungen der Tilger-Systeme mit abhandeln. Natürlich benötigen die Energie-Ernte-Systeme angesichts der selten auftretenden stärkeren Erdbeben auch einen Stromspeicher in Form von Akkus bzw. schnell ansprechenden Supercaps. Da die gespeicherte Kilowattstunde in so selten genutzten „Alle-Jahre-wieder“-Speichern extrem teuer würde, empfiehlt es sich, bereits vorhandene Stromspeicher zu nutzen. Mit den sinkenden Speicherpreisen dürften solche künftig auch in allen (Hoch-)Häusern zur Verfügung stehen.
Doch wozu der ganze Aufwand einer solchen Energiegewinnung? Für Alarm- und Kommunikationssysteme, Notbeleuchtung, oder zur Wassernotversorgung – also alle die Dinge, auf die bei Starkbeben die Menschen in Hochhäusern deutlich dringender angewiesen sind als der banale Bungalow-Besitzer. Denn dass die allgemeine Infrastruktur auch nach Starkbeben einwandfrei weiter funktioniert, ist nicht in jedem Fall anzunehmen.
Was und ob noch mehr geht, muss ggf. die künftige Praxis zeigen. Dies hier soll ja nicht mehr als eine erste Lösungsskizze sein