24.07.2020
Rückbau-Gefahr bei Strom und Wärme aus Biogas
Ein Bericht von Heinz Wraneschitz
Die Jahres-Pressekonferenz des Fachverbands Biogas e.V. (FVB) am Donnerstag stieß auf großes Interesse: Über 60 Online-Zuschauer waren dabei, als FVB-Präsident Horst Seide die Branchenzahlen verkündete. Simone Peter von der Dachorganisation „Bundesverband Erneuerbare Energien“ BEE unterstützte ihn vor allem mit Informationen aus der Politik.
„Kipppunkt für Biogas“ nennt Simone Peter den aktuellen Zeitpunkt. Der Grund: Ende des Jahres werden „mindestens 168 weniger Biogas-Kraftwerke Strom produzieren“ als zu Jahresbeginn. Das hatte der Fachverband Biogas (FVB) aus „der besten Datenbasis, die vorhanden ist“, herausgefunden: Dem Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur BNetzA. Die Zahlen der BNetzA zeigen: Im Zeitraum zwischen Inkrafttreten des Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), Ausgabe 2009 verdoppelte sich der Anlagenneubau, und die installierte elektrische Gesamtleistung verdreifachte sich beinahe. 2020 ist damit erst einmal Schluss. Wurde womöglich sogar ein Gegentrend gestartet?
Dabei braucht Deutschland statt rückläufiger Zahlen dringend mehr Erneuerbare Energien – und dazu gehört auch Biogas. Nur so lässt sich der CO2-Ausstoß senken und damit die Klimaverträge von Paris einhalten, da sind sich seriöse Wissenschaft, Politik und Verbände einig.
Für den Anlagen-Rückgang hat FVB-Präsident Horst Seide viele Gründe parat. Ganz vorne steht die für die meist bäuerlichen BGA-Betreiber unklare Situation: Wie können die ihre Anlagen nach 20 Jahren Förderung durch das EEG künftig wirtschaftlich betreiben? „Daraus ziehen viele nun die Konsequenz“ – und schalten ab.
Deshalb werden in den nächsten Jahren auch die ersten Öko-Wärmenetze stillgelegt, vor allem auf Dörfern. Das empfindet Seide „äußerst bedenklich“. Kommen dort womöglich etwa Öl- oder Gasheizungen zurück? Gerade in Bayern und Niedersachsen könnte das zum Problem werden: Immerhin laufen im südlichen Freistaat mit 2.553 Biogasanlagen (BGA) mehr als ein Viertel aller im Bundesgebiet. Und das Nordwest-Land weist mit 1.235 Megawatt (MW) die höchste installierte Leistung aller Bundesländer auf.
Genau 5 Gigawatt (GW), also 5.000 MW Strom können die zurzeit installierten Biogas-Blockheizkraftwerke liefern. „Wenn wir den Weg konsequent weitergehen würden, könnten wir sogar 20 GW Leistung bereitstellen“, erklärt Seide. Und dazu sei nicht unbedingt viel mehr Fläche für den Anbau von Energiepflanzen nötig. Auch wenn er „viel freien Platz in vielen Bundesländern, wo noch viel Aufbau möglich wäre“ erkennt: Bislang wird nach Verbandsangaben gerade mal 20 Prozent der verfügbaren Gülle in BGA vergoren, um daraus Energie zu gewinnen. Ein erhebliches, ungenutztes Potenzial also.
Weil hierzulande kaum mehr neue BGA gebaut werden, fürchtet der FVB auch schwere Konsequenzen für das Exportland Deutschland im weltweiten Zukunftsmarkt Erneuerbare Energien: Produktion wie Technologieentwicklung bei den Herstellern wandern ins Ausland, aktuell gerade nach Frankreich. Nicht nur dort gibt es laut dem Verband bessere Rahmenbedingungen für Biogas. Und so sieht der FVB bei uns 46.000 Arbeitsplätze, viele im ländlichen Raum, sowie knapp 9 Mrd. Euro Umsatz gefährdet.
Die Auslandsinvestitionen steigen auch deshalb, weil in anderen Ländern die Auflagen lange nicht so hoch wie in Deutschland sind. Als Beispiel führt Seide Biomethan an, also Biogas, das in Erdgasnetze eingespeist wird: „In Frankreich kostet eine Übergabestation deshalb 100.000 Euro, bei uns eine Million.“
Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energien BEE mahnt denn auch „ein Gesamtkonzept für alle Erneuerbaren“ an. Biogas liefere hierbei die besonders flexible Stromerzeugung, um die fluktuierenden Sonnen- und Windkraftwerke zu ergänzen. „Doch es ist dramatisch, dass diese energiewirtschaftliche Rolle, die Potenziale des Biogas, über alle EEG-Novellen hinweg nicht erkannt und voll ausgenutzt wurden.“
Denn mehr BGA könnten flexibel die Wind- und Solarstromflauten ausgleichen. Die BEE-Präsidentin sieht deshalb „die Bundesregierung in der Verantwortung“. Die habe die notwendige Novelle des EEG nun wiederum verschoben, wohl bis zum Dezember. Momentan verhindere der so genannte „Flex-Deckel“ des EEG den weiteren Ausbau.
Den Deckel abzuschaffen, ist natürlich auch Teil der „Handlungsempfehlungen“, wie der FVB seine klaren Forderungen an die Politik freundlich umschreibt. Zur „Stabilisierung und Weiterentwicklung des Anlagenbestandes“ brauche es „angepasste Ausschreibungsvolumina und Ausschreibungsverfahren“. Außerdem müsse die „Sondervergütungsklasse für Güllevergärungsanlagen weiterentwickelt“ werden. Die solle vor allem bei kleineren Anlagen nach oben geschraubt werden: Die sind teurer als große, der aktuelle Bonus sei „nicht auskömmlich. Doch hier gibt es noch hohes Potenzial für den Klimaschutz“, hebt der FVB heraus.
Gebe es bei der EEG-Novelle entsprechende klare Entscheidungen dafür, entstünden laut FVB-Chef Seide „vielfältige Geschäftsmodelle für die Zeit nach dem EEG. Ein buntes Bild von BGA“ sieht er, und nennt dabei nochmals die zu 80 Prozent noch ungenützte Gülle der Landwirtschaft. Die zu nutzen, würde nicht nur die Produktion von Öko-Strom und –Wärme bedeuten, sondern gleichzeitig zig Mio. Tonnen CO2 einsparen. „80 Euro pro Tonne CO2 – damit wären wir wirtschaftlich“, nennt Horst Seide einen aus seiner Sicht akzeptablen Preis.