24.01.2020
Klimaschutz auf dem Gipfel
Anfang des Jahres steht die Industrie im Mittelpunkt. Nicht nur beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos, auch in Berlin: Dort fand Anfang der Woche der Energiegipfel des Handelsblattes statt. Der erste Konferenztag machte die Mobilität der Zukunft zum Thema, der zweite Tag stand zu Beginn unter dem Motto „Strategien zur Transformation der Energiewirtschaft“. Ein Eindruck vom zweiten Tag der Veranstaltung.
Der Morgen begann mit einer Live-Schaltung vom Weltwirtschaftsforum in Davos, bei der Chefredakteur Sven Afhüppe auf die große Herausforderung Klimawandel - gerade war dort Greta Thunberg auf dem Programm - verwies. Seine Erwartung: Dieses Thema werde auch den Energiegipfel in Berlin bestimmen.
Als Fazit des zweiten Tages kann man feststellen: Das Thema Klimawandel ist in der Energiewirtschaft angekommen. Als wichtiges Zukunftsthema ist es identifiziert und wird unaufgeregt in die Umsetzung gebracht, vielleicht auch, weil die Branche sich schon in den vergangenen Jahren in vielerlei Bereichen kräftig umstellen und verändern musste und das beispielsweise bei der Digitalisierung auch weiter fortsetzt. Nach Aussage von Hans-Jürgen Jakobs vom Handelsblatt führt das Engagement der Klimaaktivisten zu einem größeren Anforderungsdruck. Aber es ist kein Klagen der Energiekonzerne über den Ausstieg aus der fossilen Stromerzeugung zu hören und kein Jammern über die Geschwindigkeit. Der Atomausstieg wird ebenfalls nicht in Frage gestellt.
Die politische Keynote der Veranstaltung hat der Bundesminister für Wirtschaft und Energie Peter Altmaier selbst übernommen und seinen Vortrag zur Verteidigung der Kohle-Fahrplans von vergangener Woche genutzt. Er betonte, dass in der Wirtschaft nach dem Endbericht der Kohlekommission die Kritik groß war, dass alles zu schnell gehen würde. Heute sei die Kritik, dass es zu langsam geht. Seine Begründung: Erfolgreich wird der Klimaschutz erst, wenn andere Länder, die unsere Energiewende derzeit genau ansehen, unser Modell auch übernehmen. Es wird aber niemand das Modell unserer Energiewende übernehmen, wenn nicht auch die Volkswirtschaft und die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie mitgenommen wird, so der Minister. Doch sticht dieses Argument angesichts der schon realen dramatischen Auswirkungen wie derzeit in Australien? Altmaier betonte, die Fortsetzung der Stromwende sei die Energiewende auch in den anderen Sektoren, und das „wird in der Übergangszeit noch nicht ohne Gas gehen“. Ziel seien jedoch Kraftwerke und Industrieprozesse, die mit grünem Gas später auch CO2-frei betrieben werden können. „Ich bin überzeugt, dass Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz kein Widerspruch sind“, so Altmaier, der dann auf die Erprobung von Speichern und die neuen Wasserstoffstrategie verwies, die in den kommenden Wochen von der Bundesregierung vorgelegt werden soll. Auch wies er noch auf die Anstrengungen beim Klimaschutzgesetz hin, die EEG-Umlage beim Strompreis abzusenken und freute sich, dass ab kommenden Jahr die EEG-Umlage bereits entlastet wird, weil alte, teure Anlagen aus der Förderung fallen „und durch neue und effiziente Anlagen ersetzt werden“. Bemerkenswert: Kein Wort zur Sichtweise, dass mit einem Abbau von Altanlagen auch die entsprechenden erneuerbaren Stromerzeugungen wegfallen. Altmaier ist zuversichtlich, die geplanten 65 % erneuerbaren Strom bis 2030 durch Abschaffung des PV-Deckels, den Ausbau der Offshore-Windkraft und die Umstellung auf Gas zu erreichen. Das klingt, als wären dazu keine weiteren Maßnahmen notwendig.
In der folgenden Diskussionsrunde auf dem Podium wurden die Kritikpunkte der aktuellen Kohleeinigung an den Minister herangetragen, darunter die zu späten Abschalttermine und den Neubau Datteln 4. Der Minister verteidigte beides, die Abschalttermine mit der notwendigen Verzahnung mit dem Atomausstieg und der Versorgungssicherheit und den Neubau Datteln mit der Regelbarkeit des neuen Kraftwerks und der höheren Umweltfreundlichkeit gegenüber „alter Pötte“ - diesem Punkt wurde aktuell vom Umweltministerium widersprochen. Und noch ein Argument: Regressionszahlungen würden vermieden, da der Betreiber Uniper einen Rechtsanspruch auf Betrieb von Datteln 4 habe.
Auf die Frage des stellvertretenden Leiters der Handelsblatts-Hauptstadtbüros Klaus Stratmann, ob die EEG-Umlage nicht ganz gestrichen werden müsste, verwies Altmaier auf die aktuelle Höhe von rund 25 Mrd. Euro jährlich, die für die Finanzierung der EEG-Bestandsanlagen nötig seien. Die Einnahmen aus dem CO2-Preis würden die EEG-Umlagebelastung schrittweise reduzieren, so der Minister.
Dr. Johannes Teyssen, CEO von EON, hielt anschließend die energiewirtschaftliche Keynote und forderte Mut zu Investitionen und eine aktivere Klimapolitik. Er prognostizierte, dass die Daten des Wirtschaftsministers, der zu diesem Zeitpunkt schon wieder abgereist war, wohl bald überarbeitet werden müssten, da die EU mit dem Green Deal eine weitere Verschärfung des Klimaschutzes in Vorbereitung hat.
Zu den Energieträgern betonte er, dass die Kohle die Energie des 19., das Öl die Energie des 20. Und der Strom die Energieform des 21. Jahrhunderts sei. Gleichzeitig stünden aber in Deutschland nicht genügend Flächen für die ausreichende Erzeugung zur Verfügung, daher könne eine Vollversorgung nur in einer Lieferkette mit grünem Gas dargestellt werden. Weitere Schritte der Energiewende müssen nach Teyssens Ansicht der weitere Ausbau der Erneuerbaren Energien, allerdings ohne Nennung von Zeitraum und Größenordnung, sowie die Installation von Smart Cities sein, bei denen dann über Plattformen, Kooperationen und künstliche Intelligenz die grüne Energie dann mit höchst möglicher Effizienz beim Kunden eingesetzt werden soll.
Weiterhin warnte Teyssen vor einer Verzichtsdiskussion und betonte, es sei nun wichtig, nicht mit Angst Politik zu machen, sondern mit Begeisterung und der Vision eines besseren Lebens. Doch die genannte Angst weckte er dann ausgerechnet selbst in der anschließenden Diskussionsrunde mit Annalena Baerbock und dem Deutschlandchef des größten Stahlherstellers ArcelorMittal – doch dazu gleich. ArcelorMittal unterstützt das Klimaziel von Paris und braucht zum einen Unterstützung durch Politik und Energiewirtschaft zur Umsetzung, zum zweiten wurde klar, welche riesigen Mengen an grünem Strom und grünem Gas allein für einen Stahlkonzern nötig sind, um die Transformation zu schaffen. Der Bedarf liegt im Bereich von zweistelligen Terawattstunden pro Jahr – allein beim Strom und allein für einen der drei deutschen Standorte.
Die Grünen-Chefin Baerbock brachte sowohl politische Vorgaben für grünen Stahl als auch mögliche Förderungen aus dem europäischen Innovationsfond ins Spiel, der aber aus ihrer Sicht aber mit zu wenig Geld ausgestattet ist. Außerdem plädierte sie für ein neues Selbstbewusstsein Europas und die Ausgestaltung europäischer Standards, die dann weltweit Beachtung finden sollen, im Stahl- und Energiebereich analog wie in der Textilbranche. Bei diesem Punkt formulierte Teyssen dann Angst – vor dem Risiko von Handelsauseinandersetzungen, die mit China und/oder der USA drohen könnten.
Teyssen kritisierte weiter, dass zwar die Energiewende vorangebracht werden soll, das im täglichen Leben aber nicht mit Anreizen versehen ist, sich dahingehend umzustellen. Das gilt auch für die Stromkonzerne, bei denen „das Verbuddeln von Kupfer“ lukrativ, der intelligente Ausgleich von Schwankungen aber derzeit regulatorisch behindert ist. Seine Forderung: Alte Regulierungen müssen reformiert werden, Flexibilisierung und eine möglichst intensive Nutzung vor Ort muss einfach möglich werden. Zur Flexibilisierung gehört auch die Vernetzung von Strom- und Gasnetzen, wie er auf Nachfrage von Klaus Stratmann vom Handelsblatt erklärte.
Anschließend wurde ein Energieunternehmen präsentiert, das für sich die Transformation der Energiewende schon hinter sich hat: Der CEO Henrik Poulsen des schwedischen Energiekonzerns Ørsted A/S beschrieb den Weg vom fossil-Konzern, der 2007 noch 92 % des Umsatzes mit schmutziger Energie machte und jetzt mit einem Jahresumsatz von rund 10 Mrd. Euro hauptsächlich im Offshore-Wind -Bereich weltweit unterwegs ist.
In Davos wurde Ørsted am heutigen Dienstag zur „most sustainable company“ ausgezeichnet. Und das Unternehmen macht in gleichem Tempo weiter: Bis 2030 sollen weitere 30 Mrd. Euro in grüne Stromerzeugung investiert werden und damit rund 50 Mio. Menschen versorgt werden. Auch die Wasserstofferzeugung, z.B. als Energieform für Schifffahrt und Schwerindustrie) wird beim Konzern angegangen (weitere Informationen: www.orsted.de).
Jörg Sutter