Klimakrise Akut: Welche ethischen Herausforderungen gilt es zu lösen?

Ein Bericht von Tatiana Abarzúa

Am 18. Juli warnte der DWD vor einer vorübergehenden Hitzewelle („Hitzeinformation“). „Die immer extremer werdenden Wetterereignisse der letzten Jahre sind das Zeichen einer akuten Klimakrise“, sagt die österreichische Bioethikkommission in einer aktuellen Stellungnahme. Angesichts angekündigter Tageshöchstwerte von 40 °C lohnt sich ein Blick auf „die ethischen Herausforderungen der Klimakrise und wie sich diese auf die Gesundheit der Menschen auswirkt“. Die Stellungnahme könnte der Beginn einer Debatte sein.

„Kein Temperaturanstieg ist sicher für die menschliche Gesundheit“
Vor wenigen Wochen veröffentlichte die österreichische Bioethikkommission die Stellungnahme, mit Handlungsempfehlungen an die Politik. Der Auftrag der Kommission ist, den österreichischen Bundeskanzler „in gesellschaftlichen, naturwissenschaftlichen und rechtlichen Fragen“ zu beraten, die sich aus ethischer Sicht auf dem Gebiet der Humanmedizin und Humanbiologie ergeben.

Nach Meinung der Kommission gebe es keinen Temperaturanstieg, „der als sicher für die menschliche Gesundheit bezeichnet werden kann“. Hitzebedingte Gesundheitsprobleme wie Erschöpfung, Hitzschlag und Herzinfarkt seien die Folge einer anhaltenden Kühlgrenztemperatur (wet-bulb temperature) von bereits 31° C. Dann reiche die Belastbarkeit des menschlichen Systems nicht mehr aus, um den Körper ausreichend zu kühlen, so das Gremium. Ein weiteres Risiko: Keime „mit pathogenem Potenzial“, die sie sich an höhere Außentemperaturen anpassen, könnten, aufgrund der höheren Hitzetoleranz, erhöhte Körpertemperaturen überleben.

Die Auswirkungen der Klimakrise bedrohen die Erde als Heimat der Menschen
Die Bioethikkommission räumt in ihrem Statement ein, dass sich das Thema von den bisher untersuchten Fragestellungen unterscheidet. Die Klimakrise gehe „über traditionelle bioethische Fragestellungen hinaus“, laut Kommission, „als sie sich nicht aus dem Gebiet der Humanmedizin und Humanbiologie heraus ergibt.“ In der Präambel beschreiben die Kommissionsmitglieder die Klimakrise als „eines der herausforderndsten Ereignisse in der Geschichte der Menschheit“. Sie wirke sich „sowohl auf unser tägliches Leben, den sozialen Frieden als auch die geopolitische Weltordnung aus“. Demnach bedrohe sie „die Entwicklung der Erde als Heimat der Menschen sowie ein friedliches, auf das Wohl aller Menschen gerichtetes Zusammenleben“.

In der Stellungnahme sagt die Bioethikkommission, dass sich der Ausstoß von Treibhausgasen (THG) weltweit auf das Klima auswirken könne, „unabhängig von ihrer Quelle“. Sie weist auch darauf hin, dass die derzeitige THG-Konzentration in der Atmosphäre, mit über 420 ppm (siehe auch: Mauna Loa Monthly Averages), die höchste seit rund drei Millionen Jahren ist (die DGS-News berichteten).

2021/22 Temperaturen über dem Normalwert (1991-2020)
Die Erderhitzung ist nun eine reale Erfahrung mitten in Mitteleuropa. „In der zentralen Mittelmeerregion war das Frühjahr das vierttrockenste seit 1901“, stellt der Deutsche Wetterdienst (DWD) fest („Trockenheit in Europa 2022“). „Sowohl im Winter 2021/22 als auch im Frühjahr 2022 lagen die Temperaturen über dem Normalwert von 1991 bis 2020“, so der DWD. Zwei Länder weisen eine sehr starke Erhöhung auf: „In Spanien lagen die Anomalien im Winter bis über 2 Kelvin (K) über dem Normalwert, in Frankreich im Frühjahr über 3 K.“

Notstand in Italien wegen Wasserkrise
Seit Anfang des Jahres waren die monatlichen Niederschlagsmengen in der Region so gering, dass sie nur rund zwei Drittel der üblichen Mengen brachten. Die Wasserkrise ist so brisant, dass die italienische Regierung am 4. Juli in den norditalienischen Regionen Emilia-Romagna, Friaul-Julisch Venetien, Lombardei, Piemont und Venetien den Notstand ausgerufen hat, dieser soll bis zum Ende des Jahres gelten. Die Nutzung von Trinkwasser ist zum Beispiel in Verona und Pisa nur für häusliche Zwecke, Körperhygiene und Nahrungsmittelzubereitung erlaubt. Für 22 Städte, wie Florenz, Rom und Neapel, herrscht demnach die höchste Warnstufe vor Hitzewellen (Stufe rot).

Lösungsweg: Lebens- und Umwelten in Beziehung zu Lebewesen und Natur betrachten
Laut der Stellungnahme der Bioethikkommission „betrifft die Klimakrise auf vielfältige Weise die Gesundheit gegenwärtiger, vor allem aber zukünftig lebender Menschen“. Alle Menschenrechte stehen damit in Verbindung, vor allem: „das Recht auf Leben, Freiheit, Eigentum und Sicherheit“. Diese basieren auf dem „Wert der Würde des Menschen und dem Anspruch auf ein gutes Leben – in Frieden, Stabilität und in Freiheit von Bedrohungen und Krankheit“, so die Kommission.

Zudem könne die Klimakrise andere Krisen verschärfen, „wie Konflikte um Ressourcen, oder das weite Öffnen der Schere zwischen Arm und Reich“. Mit ihrer ethischen Analyse möchten sie die Politik unterstützen, „zu dringend notwendigem Handeln zu kommen.“ Für die Autor:innen der Stellungnahme brauche die Lösung der Herausforderungen der Gegenwart „Ansätze und Handlungsweisen, die in ganzheitlicher Weise die Lebens- und Umwelten von Menschen in enger Beziehung zu anderen Lebewesen und der Natur als solcher betrachten“.

Konkrete Forderung: Ein subjektives Grundrecht auf Klimaschutz
Für Österreich fordern die Kommissionsmitglieder die Erweiterung der Staatszielbestimmung des Umweltschutzes um ein subjektives Grundrecht auf Klimaschutz („Die Republik Österreich (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich zum umfassenden Umwelt- und Klimaschutz.“), und die Umsetzung der Klimaneutralität („Umfassender Umwelt- und Klimaschutz ist die Bewahrung der natürlichen Umwelt als Lebensgrundlage des Menschen vor schädlichen Einwirkungen. Der umfassende Umweltschutz besteht insbesondere in Maßnahmen zur Reinhaltung der Luft, des Wassers und des Bodens sowie zur Vermeidung von Störungen durch Lärm, sowie zur Reduktion von Treibhausgasemission und der Erreichung bzw. Aufrechterhaltung der Klimaneutralität.“).

Weitere Lösungsvorschläge
Vor allem im Verkehrssektor müsse sich der THG-Ausstoß vermindern, etwa durch E-Mobilität, eine Infrastruktur, die zur Vermeidung motorisierter individueller Mobilität führt und Radverkehr und ÖPV attraktiver macht. Ein anderer Vorschlag: Der Presserat könnte Medien auffordern, dass bei der Berichterstattung über die Klimakrise „der wissenschaftliche Konsens reflektiert oder bei Abweichungen entsprechend kontextualisiert werden muss“. Unter anderem wegen „des derzeit dominierenden, aber zu hinterfragenden Framings ,Wirtschaft vs. Klima‘“ sollten diese Regeln „insbesondere für die Finanz- und Wirtschaftsberichterstattung“ gelten. Ein weiterer Lösungsansatz ist, Anreize zu schaffen „zur Ausbildungs- und Berufswahl mit gezielten Schwerpunkten in den Bereichen Energieeffizienz und Nachhaltigkeit sowie Umschulungsangebote zum Quereinstieg“. Eine weitere Lösungsstrategie: Warnhinweise einfügen bei Werbung für klimaschädliche Produkte, denn diese könnten „für eine entsprechende Klarstellung sorgen“.