21.08.2020
Schwer geschädigt: Das lichte Blätterdach des Waldes
Ein Bericht von Tatiana Abarzúa
Jährlich, im Juli und August, findet die bundesweite Waldzustandserhebung statt, um repräsentative Informationen über die Vitalität der wichtigsten Waldbäume zu erhalten. Die Bilanz für das Jahr 2019 ist sehr ernüchternd: Knapp 80 Prozent der Bäume sind geschädigt.
Ein Drittel Waldfläche
11,4 Millionen Hektar oder ein Drittel der Landesfläche Deutschlands ist Wald. Im Rahmen der Waldzustandserhebung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) im Sommer 2019 haben Fachleute den Gesundheits- bzw. Schädigungszustand einzelner Bäume untersucht. Diese waren systematisch auf 421 Probepunkten innerhalb eines 16-km²-Stichprobennetzes über die gesamte Waldfläche Deutschlands verteilt. Zur Beurteilung verglichen sie den Blatt- oder Nadelverlust, also die Verlichtung der Baumkronen, mit einer voll belaubten oder benadelten Krone von Referenzbäumen. Der Kernparameter Kronenverlichtung wird in 5-Prozent-Stufen eingeschätzt.
Um Hinweise zur Vitalität der Bäume und zu Ursachen von Kronenverlichtungen zu erhalten, werden weitere Merkmale aufgenommen. Etwa: Intensität der Ausbildung von Samen und Früchten (Fruktifikation), Vergilbung von Blättern oder Nadeln, Insekten- und Pilzbefall sowie Verletzungen von Stämmen und Kronen. Nur 22 Prozent der 10.128 Probebäume wiesen keine Kronenverlichtung auf (Schadstufe 0, Verlichtung unter 10 Prozent). 2018 waren es noch 28 Prozent. Die mittlere Kronenverlichtung hat – mit 25 Prozent im Durchschnitt aller Baumarten – bei allen Baumarten weiter zugenommen und ist so hoch wie noch nie seit Beginn der Erhebungen. 2018 lag dieser Wert bei 22 Prozent.
Vier Baumarten - 80 Prozent Schäden
Bei der Waldzustandserhebung wurden 38 Baumarten erfasst, von denen etwa 80 Prozent auf die vier häufigsten Baumarten in Deutschland entfallen: Fichte, Kiefer, Buche und Eiche. Alle übrigen Baumarten werden für die statistische Auswertung zu den Gruppen „andere Nadelbäume“ und „andere Laubbäume“ zusammengefasst. Die von den Ländern erhobenen Daten werden an das Thünen-Institut für Waldökosysteme in Eberswalde übergeben. Dieses berechnet das Bundesergebnis und leitet alle Resultate im Rahmen einer Berichtspflicht an das BMEL weiter. Die erste Waldzustandserhebung fand 1984 in den alten Bundesländern statt, in den neuen Bundesländern wird sie seit 1990 durchgeführt.
Weitere Ergebnisse der Waldzustandserhebung 2019 sind: Der Anteil jener Bäume mit deutlichen Kronenverlichtungen (Schadstufen 2 bis 4, Verlichtung über 25 Prozent) ist mit 36 Prozent besonders hoch, und gegenüber 2018 um sieben Prozentpunkte gestiegen. Für einen Großteil der Bäume (42 Prozent) wurde eine schwache Verlichtung der Baumkrone festgestellt (Schadstufe 1, Verlichtung 11 bis 25 Prozent), ein ähnlicher Wert wie im Jahr zuvor (2018: 43 Prozent). Außerdem sind zwischen 2018 und 2019 überdurchschnittlich viele Bäume abgestorben: Die Absterberate bei Laub- und bei Nadelbäumen war mehr als doppelt so hoch wie in den Vorjahren. Ende 2019 waren 180.000 Hektar Wald bereits abgestorben, das entspricht etwa 1,6 Prozent der gesamten Waldfläche in Deutschland.
Wie der Meteorologe Sven Plöger in einer informativen Sendung des Südwestrundfunks betont („Dürrefolgen: Wie unser Wald leidet | SWR Wissen“), ist die aktuelle Schädigung der Bäume größer als beim Waldsterben in den 1980er Jahren. Bei den Buchen haben Schädigungen seit 1985 kontinuierlich zugenommen, sie sind von Hitze- und Trockenstress gezeichnet. Nur noch 16 Prozent der im Sommer 2019 untersuchten Buchen sind ohne Verlichtung (2018: 19 Prozent), 47 Prozent zeigen eine deutliche Verlichtung (2018: 39 Prozent).
Waldgipfel im Hintergrund
Auch bei Nadelbäumen nimmt die Kronenverlichtung seit 2018 deutlich zu, vor allem bei den Fichten – eine Baumart, die deutlich auf Wassermangel im Boden reagiert. Nur 28 Prozent der untersuchten Fichten sind ohne Verlichtung (2018: 30 Prozent), 36 Prozent zeigen eine deutliche Verlichtung (2018: 30 Prozent). Das sind die schlechtesten Werte seit Beginn der Erhebungen vor 35 Jahren. Im Jahr 2019 starben erstmals flächenhaft Bestände ab, der Borkenkäfer hat vorgeschädigte Fichtenbestände besonders stark befallen.
In einer Publikation der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe vom September 2019, mit Hintergrundinformationen zur aktuellen Waldsituation, steht: „Der Kronenzustand hat sich in den letzten Jahrzehnten besonders bei den Laubbäumen verschlechtert. Ursache hierfür sind vor allem die Hitze und Dürre, aber auch die anhaltend hohe Schadstoffbelastung in der Luft und Schadinsekten, deren Massenvermehrung durch die Witterung in den zurückliegenden Jahren begünstigt wurde.“ Nach Angaben des Thünen-Instituts für Waldökosyteme zeichnet sich diese Entwicklung seit Jahren ab: Modellierungen des Bodenwasserhaushalts hätten eine Zunahme von Trockenstress in den letzten fünf Jahren gezeigt; sich verstärkende Extremwetterlagen verursachten die aktuellen Waldschäden. Das Thünen-Institut sieht nur eine langfristige Lösung: Die drastische Reduktion der Treibhausgasemissionen, um die Erwärmung zu begrenzen.
Angesichts der zuletzt durch Trockenheit und Waldbrände in den letzten zwei Jahren entstandenen Waldschäden empfiehlt das Bundesamt für Naturschutz, den ökologischen Waldumbau weiter voranzutreiben. Dabei sollte auf die Standortvariabilität der heimischen Baumarten gesetzt werden. Zudem sollte die Waldwirtschaft stärker an ökosystemaren Gesichtspunkten ausgerichtet werden: Wasserhaushalt und Wasserrückhalt müssten verbessert, Waldböden besser geschützt, Totholzanteile erhöht werden, und Wälder und Bäume sollten älter werden können.