21.04.2023
Historischer Erfolg der Anti-Atom-Bewegung
Beobachtungen von Tatiana Abarzúa
Nun herrschen in Deutschland auch Verhältnisse wie in Irland, Österreich. Griechenland, Neuseeland oder Dänemark. Die letzten drei Atomkraftwerke, Isar-2, Emsland und Neckarwestheim-2, sind ausgeschaltet (siehe Abbildung).
Zivilgesellschaftlicher Protest lohnt sich
Dreieinhalb Streckbetrieb-Monate später als einst geplant, nun ist die Ära der Atomstromproduktion in Deutschland vorbei. Der Jahrzehntelange zivilgesellschaftliche Protest war erfolgreich. Was 2001 Rot-Grün als „Atomkonsens“ ausgehandelt und Schwar-Rot 2010 – mit einer Laufzeitverlängerung um 8 bis 14 Jahre – verzögert und dann schlussendlich 2011 beschlossen hat, ist umgesetzt.
Entscheidungen der letzten Bundesregierung
Im Juni 2011 stimmten 513 Bundestagsabgeordnete dafür, bei 79 Gegenstimmen und 8 Enthaltungen: Auch Christian Lindner und Jens Spahn stimmten dafür (Seite 13414). Auf die Tatsache, dass die Entscheidung aus der Kernenergie auszusteigen vor über zehn Jahren getroffen wurde, wies kürzlich auch Volker Quaschning in einem Interview hin. Da die damaligen Bundesregierungen nicht ausreichend Solar- und Windenergie dazu gebaut haben, müsse man sich nicht wundern, „dass man weiterhin auf die Kohle angewiesen ist“, so der Professor für Regenerative Energiesysteme.
Die Atomkraft war uns (sehr) teuer
Ähnlich klingt ein Kommentar bei „quer“ (BR): „Besonders in der Union hatte man in den 16 Jahren an der Regierung bis 2021 alles getan, um den Klimaschutz im Wesentlichen nur mit Kernenergie betreiben zu können, weil man regenerative Energien nicht recht fördern wollte.“. Nun könne die Kernenergie für uns strahlen, geht die Satire weiter, und: „Voller Stolz denken wir an die unzähligen Milliarden an Steuergeldern, die wir bereitstellten“. Ebenso habe sie „viel an Nerven“ gekostet, „wenn wir an Endlager-Diskussionen und Angst vor Reaktorkatastrophen denken“ wie die Sendungsmacher:innen mit Filmaufnahmen veranschaulichen.
Atomausstieg feiernd
Es fanden mehrere Feiern und Kundgebungen zu diesem „Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg“ statt. Unter anderem am Odeonsplatz in München, Avor dem AKW Neckarwestheim, in Lingen (Brennelemente-Fabrik Lingen und AKW), und in Hamburg.
In seiner Rede bei der Auftaktkundgebung in München griff Dieter Reiter, Oberbürgermeister der Stadt, die Scheindebatte der vergangenen Wochen auf (die DGS-News berichteten unter anderem über die Unsinnigkeit einer Forderung nach Reservehaltung). „Komischerweise, beim Tempolimit auf den Autobahnen da macht es ganz Europa oder die ganze Welt anders“, so Reiter, doch das sei für die CDU, CSU oder FDP „völlig wurscht“, es spiele da keine Rolle. Reiter sagte, dass zwar „andere politische Systeme, mit anderen Regierungen, das Risiko der Atomkraft anders sehen als wir“, doch da wo er mitentscheiden darf werde es „keine neuen Brennstäbe und erst recht keine neuen Atomkraftwerke geben.“
Das Atomkraft-Aus ist ein historischer Erfolg der Bewegung. Armin Simon, von der Organisation .ausgetrahlt, sagt, dass wohl nie zuvor einer Bürger:innen-Bewegung Vergleichbares gelungen sei. Jahre- und jahrzehntelang wurde auf diesen Tag hingearbeitet. Nun werde kein hochradioaktiver Atommüll mehr in den AKWs produziert. Für ihn haben die Hunderttausenden engagierten Bürgerinnen und Bürger „die wohl größte Auseinandersetzung in der Geschichte der Bundesrepublik gewonnen“, wird er in einer Presseerklärung vom 11. April zitiert.
Der Protest gegen die Atomkraft in Deutschland begann im Februar 1975 in Wyhl am Kaiserstuhl, sagt der Historiker Frank Uekötter. Damals habe sich erstmals eine Bürgerbewegung etabliert: „Studenten und Bauern verbündeten sich“. Seiner Meinung nach wurde die nukleare Kontroverse zu einem Diskursprojekt, in welchem unter anderem die Themen demokratische Teilhabe, Widerstandsrecht, Rechtsstaatlichkeit, Energie und Risiken verhandelt wurden. Die bundesdeutsche Demokratie habe Fragen nur im gesellschaftlichen Gespräch entscheiden können.
Es sind rund fünf Jahrzehnte des Engagements vieler Menschen und ein Banner mit der Aufschrift „Gemeinsam gewonnen – 50 Jahre Anti-Atom-Bewegung“ war oft auf den Veranstaltungen der Atomkraftgegner:innen zu sehen. Viele Aktivist:innen setzen sich nun dafür ein, dass die radioaktiven Abfälle sicher gelagert werden, denn ein Teil davon wird „nach einer Strahlenmessung wiederverwertet“, und das „obwohl noch schädliche Bestandteile wie Plutonium und Strontium enthalten sind."
Nun beginnt der Rückbau der Atomkraftwerke.