20.11.2020
Verkehrswende: Die Bundesregierung versagt - mal wieder
Ein Bericht von Götz Warnke
Der deutsche Ableger des internationalen Management- und Strategieberatungs-Unternehmens Deloitte hat pünktlich zum deutschen Autogipfel am vergangenen Dienstag eine Studie "Elektromobilität in Deutschland. Marktentwicklung bis 2030 und Handlungsempfehlungen" vorgestellt - ein in der ausführlichen Fassung 30seitiges Papier, und kein Ruhmesblatt für die derzeitige Bundesregierung.
Ausgehend von der Notwendigkeit einer Verkehrswende zur Elektromobilität im Autosektor, sieht Deloitte als Hindernisse dabei die Zunahme der SUV, die Steigerung der durchschnittlichen Motorleistung seit 2014 bei Neuwagen um 10 Prozent, sowie die derzeit noch nicht profitablen Elektrofahrzeuge. Letztere Aussage darf man angesichts von Tesla durchaus mit einem Fragezeichen versehen; sie betrifft vor allem E-Fahrzeuge, die noch nicht auf einer E-Auto-Plattform konstruiert wurden.
Ausgehend von diesen Prämissen wirft Deloitte drei grundlegende Fragen auf:
- Wie groß wird die Nachfrage nach Fahrzeugen mit alternativen Antrieben bis 2030 sein?
- Welche Antriebsart wird sich in den nächsten 10 Jahren durchsetzen?
- Reichen die aktuellen Maßnahmen aus, um die Elektromobilität voranzutreiben und den Wandel zu beschleunigen?
Ausgehend von 2020, einem Jahr, in dem die Bundesregierung ihr selbstgestecktes Ziel von einer Million E-Autos (batterieelektrisch/BEV, Plug-in-Hybride/PHEV, Brennstoffzellen-Autos/FCEV) ca. nur zur Hälfte erfüllen und damit krachend verfehlen wird, hält die Studie dennoch einige, in diesem Juni beschlossene staatliche Maßnahmen förderlich für einen Ausbau der Elektromobilität: die Festschreibung der EEG-Umlage auf 6,5 bzw. 6,0 ct/kWh für die nächsten zwei Jahre, die zeitweise Verdoppelung der E-Auto-Kaufprämie sowie die Förderung von Ladeinfrastruktur, Batteriezellenfertigung und Zukunftsinvestitionen in der Industrie. Damit könnte es 2030 etwa 6,35 Millionen Fahrzeuge mit alternativen Antrieben geben, statt der nur 5,7 Millionen, die mit den bis Mai 2020 geltenden Fördermaßnahmen zu erreichen gewesen wären.
Pech nur, dass sich die Bundesregierung zur Erreichung ihrer Klimapläne sich auf 10 Millionen zugelassene Fahrzeuge mit alternativen Antrieben in 2030 festgelegt hat. Nach der Deloitte-Studie wird sich der Auto-Markt bis 2030 deutlich von den Verbrennern hin zu den E-Autos verschieben, aber selbst in einem Jahrzehnt werden noch 80% der Neuzulassungen Fossil-Fahrzeuge sein. Erst 2032 werden E-Autos und Abgas-Autos bei den Zulassungen gleichauf sein. Doch auch innerhalb des E-Auto-Segments kommt es zu einer Verschiebung: Die Zulassungen der rein-elektrischen Fahrzeuge (BEV) sollen 2027 erstmals die 500.000 überschreiten, die der Plug-in-Hybride/PHEV von 41% auf 9% in 2030 sinken, und der Anteil der meist mit Wasserstoff betriebenen Brennstoffzellen-Autos/FCEV auf 4% steigen - allerdings nur sofern, "dass es bei Batterie-betriebenen Fahrzeugen keine radikalen technologischen Verbesserungen gibt."
Das Segment der Klein- und Kleinstwagen ist nach Meinung der Studienautoren bei den E-Autos besonders wichtig, da es hier das größte Marktpotential gibt. Über die Bedeutung von kleinen E- Autos hatten die DGS-News ja bereits im November vergangenen Jahres berichtet. Allerdings müssten nach Ansicht von Deloitte in diesem Bereich die Produktionskapazitäten deutlich erhöht werden.
Die Ansätze für eine beschleunigte Verkehrswende sind bei den Marktakteuren (Staat, Unternehmen, Verbraucher) durchaus unterschiedlich:
- Der Staat sollte die erhöhte E-Auto-Kaufprämie bis 2023 verlängern - was beim Autogipfel bereits mit einer Verlängerung bis 2025 bereits sogar übertroffen wurde - und die Kraftstoffpreise für Fossil-Fahrzeuge bis 2024 um 30 ct/Liter erhöhen; das brächte weitere 400.000 Zulassungen von E-Autos.
- Die Unternehmen sollten E-Auto-Plattformen entwickeln (wie es VW bereits getan hat), sich verstärkt um Ladeinfrastruktur-Ausbau und innovative Ladekonzepte kümmern, sowie durch Optimierung der Batterietechnologie(-Produktion) "Batteriepreise unter 75 €/kWh bis 2023 und unter 50 €/kWh bis 2026" erreichen; das brächte weitere 1.400.000 Zulassungen von E-Autos.
- Die "Verbraucher" könnten mit steigender "Akzeptanz für die Elektromobilität durch den technologischen Hype und Wille zur Nachhaltigkeit sowie Anpassung des individuellen Mobilitätsbedürfnis" an der Verkehrswende mitwirken; dies brächte 350.000 Zulassungen von E-Autos.
Die vorgeschlagenen Ansätze würden immerhin zu einer zugelassenen Gesamtanzahl von 8,5 Mio. E-Autos bis 2030 führen; die bisherigen Maßnahmen reichten für eine schnelle Transformation, die insbesondere auch für die exportorientierte Autoindustrie wichtig sei, keinesfalls aus.
Fazit
Was schon bei der Energie- und Agrarwende deutlich ist, das zeigt sich auch wieder bei der Verkehrswende: Die Merkel'schen Bundesregierungen versagen zuverlässig bei den entscheidenden, zukunftssichernden klimapolitischen Fragen. 8,5 Millionen und 10 Millionen sind nun mal ein beträchtlicher Unterschied. Und dabei kann man wirklich nicht sagen, dass die Deloitte-Studie die offiziellen deutschen Planungen bewusst schlecht rechnet: die o.a. Annahme "Batteriepreise unter 75 €/kWh bis 2023 und unter 50 €/kWh bis 2026" ist zwar nicht völlig ausgeschlossen, deckt sich aber weder mit einer Studie des Marktforschungsunternehmens BloombergNEF (100 USD/kWh für 2023, 61 USD/kWh für 2030) noch mit einer Analyse von PWC (68 €/kWh für 2030). Immerhin dürfte bei einer Unterschreitung der Speicherpreise von 90 €/kWh das BEV nicht nur - wie schon heute - im Unterhalt günstiger sein als der Verbrenner, sondern auch in der Anschaffung.
Schwierig bleibt der Blick in die 2030er Jahre, da hier die psychologischen Momente kaum abzusehen sind: Wenn 2032 die Zulassungen von BEV und ICE (internal combustion engine = Verbrenner) gleich sind, um dann bereits 2036 im Verhältnis 4 zu 1 zu stehen (S. 16), dann muss jedem Verbrennerkäufer Anfang der 2030er klar sein, dass er sein investiertes Geld "nie wieder sieht". Spätestens dann könnte es zu einer sehr schnellen Mobilitätswende kommen.