19.06.2020
Der Wasserstoff-Wirrsinn – oder doch nicht?
Anfang 2006 publizierte der Fachautor, Magazin-Herausgeber und Inhaber des Hydrogeit-Verlags, Dipl. Ing. Sven Geitmann, das Buch „Wasserstoffautos: Was uns in Zukunft bewegt“. In dem faktenreichen und ausführlichen bebilderten 168-Seiten-Werk führt u.a. alle Auto-Konzerne mit Wasserstoffprojekten auf: BMW, Daimler-Chrysler, Fiat, Ford, General Motors/Opel, Honda, Hyundai, Lada, MAN, Mazda, Nissan, PSA, Renault, Toyota, Volkswagen.
Heute, 14 Jahre später, und damit zweifellos in der „Zukunft“, bewegt sich auf diesem Gebiet praktisch nichts mehr: nur noch zwei Firmen – Hyundai mit dem Nexo und Toyota mit dem Mirai – bieten Wasserstoff-Autos auf dem deutschen Markt an, mit höchst überschaubarem Erfolg. Mercedes als einziger deutscher Hersteller wird wohl die Produktion seines Wasserstoff-/Brennstoffzellen-Autos, des SUV GLC F-Cell, demnächst einstellen; Honda bringt seinen Clarity Fuel Cell – wohl vorsichtshalber – gar nicht erst regelhaft nach Deutschland. Bewegende Zukunft sieht anders aus!
Doch nun hat die Bundesregierung ihre neue Nationale Wasserstoffstrategie (NWS) vorgestellt Danach sollen Wasserstofftechnologien zum Kernelement der Energiewende werden, dem heimischen Markthochlauf soll durch entsprechende F&E-Maßnahmen sowie Regulatorik der Weg geebnet werden. Das Ziel: Deutsche Unternehmen weltweit führend und damit zu Technologieexporteuren innovativer Wasserstofftechnologien machen. Dazu will die Merkel-Truppe 9 Mrd. Euro in diesen Bereich stecken; bis 2030 sollen so H2-Erzeugungsanlagen von ca. fünf GW installierter Leistung entstehen, bis 2040 soll sich dieser Wert auf zehn GW verdoppeln.
Hatte sich die Bundesregierung anfangs, wie bei so vielen Technologiethemen, erheblich Zeit mit der Planung gelassen – Wirtschaftsminister Peter Altmaier hatte ja bereits am 05.11.2019 in der FAZ sein deutsches H2-Konzept präsentiert – so überschlägt man sich jetzt im Bund sowie in einigen Ländern vor Begeisterung. Auch Industrieunternehmen, u.a. aus der Autobranche, wittern nun Morgenluft und möchten unbedingt diesen Weg beschreiten. FAZ und Welt, die üblichen Propagandisten des alten, fossilen Industriesystems, stoßen „in das gleiche Horn“ und orchestrieren die neue Technologiepolitik der Bundesregierung mit Klageliedern über den bisher angeblich ausgebremsten Wasserstoff.
Und der Fachbeobachter steht ratlos am Rande und wundert sich über die plötzliche Begeisterung selbst konservativer Geister für ein angebliches Ergrünen der Industrie. Denn einige Punkte dürfen dabei nicht aus dem Blick kommen.
1. Das Thema Wasserstoff/Brennstoffzellen (H2/BSZ) ist nach Jahrzehnten der Forschung weitgehend ausgereizt. Deutschland hat mit den Nationalen Innovationsprogrammen Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NIP 1 2006-2016, NIP 2 2016-2026) sowie mit dem CALLUX-Projekt (Markteinführung von Brennstoffzellen-Micro-BHKWs ab 2008) bereits Milliarden Euros investiert, ohne dass es zu ökonomisch nutzbaren Durchbrüchen gekommen wäre.
2. Deutschland besitzt bei H2/BSZ technologisch kein Alleinstellungsmerkmal, sondern liegt weltweit nach Japan und den USA bei den entsprechenden Patenten an dritter Stelle. Wie man in dieser Situation sich alsbald als der H2-Technologieführer weltweit etablieren will, bleibt rätselhaft.
3. Wasserstoff ist klimapolitisch nur sinnvoll, wenn er aus Erneuerbaren Energien (EE) und nicht aus Erdgas etc. gewonnen wird. Da der Gesamtwirkungsgrad der Produktions- und Nutzungs-Ketten von Wasserstoff gering ist, bräuchte es für grünen Wasserstoff einen massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien. Nun aber sind die Merkelschen Regierungen in den letzten anderthalb Jahrzehnten vor allem dadurch aufgefallen, dass sie die EE ausgebremst und marginalisiert haben. Das passt nicht zusammen.
4. H2 ist ein kompliziertes, höchst flüchtiges Gas, das es in unserer irdischen Natur nicht in Reinform gibt. Es diffundiert durch normale Tankhüllen hindurch und versprödet Metalle, Dichtungen etc.; es lässt sich nur zu einem geringen Anteil durch normale Gasnetze leiten, und es braucht zur Speicherung spezielle Tanks, in denen es entweder gasförmig unter hohem Druck (ca. 700 bar) oder flüssig bei extrem niedrigen Temperaturen (-253°C) aufbewahrt wird. Das alles macht den Umgang mit Wasserstoff sehr teuer, weshalb er in steter Konkurrenz zu anderen Speichertechniken steht und vor allem im großtechnischen Umfeld sinnvoll ist (Skaleneffekte).
Sicher, Wasserstoff wird im zukünftigen Erneuerbaren Energiesystem als Speichermedium eine wichtige Rolle spielen, um Energieüberschüsse für Zeiten der Unterdeckung bereit zu halten. Doch das gilt ebenso für Wärmespeicher wie z.B. Sorptionsspeicher, die von deutscher Regierungsseite nicht annähernd so gehyped und gefördert werden. Weshalb dieser Hype gerade um Wasserstoff, wo es doch andere Zukunftstechnologien gibt: Erneuerbaren Energien, neue Batteriespeicher-Techniken, 3-D-Druck, Digitalisierung etc.? Woher kommt diese regierungsamtliche Fokussierung auf eine längst bekannte und nicht sonderlich erfolgreiche Technologie? Ein Twitter-Nutzer fasste es kürzlich wie folgt zusammen: „Angenommen Kerzen sind out und die anderen entwickeln nun Glühbirnen. Dann investiert Deutschland in Öllampen. #wasserstoffstrategie“. Weshalb nur will Altmaier samt Konsorten ausgerechnet Vorreiter in einer Hinterherreiter-Technologie werden?
Der Wahrheit nahe kommen dürfte Hans-Josef Fell, Vater des EEG und versierter Energiepolitiker, wenn er meint, die Nationale Wasserstoffstrategie (NWS) diene „einem Aufbau klimaschädlicher Wasserstoffproduktion aus Erdgas (blauer und türkiser Wasserstoff) als sogenannter Übergangstechnologie“ bei gleichzeitiger Zurückdrängung der bürgerlichen Investitionstätigkeiten in Erneuerbare Energien. Denn das komplizierte und nur schwer zu bändigende Element Wasserstoff ist im geplanten Energiesystem so etwas wie der alles beherrschende Ring in Tolkiens Erzählung „Herr der Ringe“: „Ein Ring, sie zu knechten, sie alle zu finden, Ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden“. Die Wasserstoff-Wirtschaft ist das neue, alte zentralistischen Energie-Systems der Großkonzerne, das zwischen mächtigen Erzeugern und Verteilern einerseits, und den abhängig-zahlenden Verbrauchern andererseits deutlich trennt. Für Autarkie, für Bürgerenergie, für das Recht auf Energie-Selbsterzeugung bleibt da kaum noch Platz. Den braucht schließlich die Großindustrie, um ihre Investitionen in teure Gasnetze (Nordstream!), LNG-Terminals, Hydrolyseure etc. möglichst schnell amortisieren und die Dividendenerwartungen ihrer Aktionäre bedienen zu können. Denn wer sich z.B. zuhause ein Brennstoffzellen-Heizkraftwerk zulegt, hat sich zu einem Dauer-Abo bei einem der Gaskonzerne verpflichtet; wer hingegen auf Solarthermie vom eigenen Dach setzt, ist unabhängig – technisch wie finanziell.
Und wer sich z.B. ein Wasserstoff-Auto kauft – hier schließt sich der Kreis – , wählt eine autolebenslange technische und damit finanzielle Abhängigkeit von den entsprechenden (Tank-)Konzernen. Wer hingegen ein E-Fahrzeug kauft, kann sich auch mit Strom vom eigenen Dach oder von seiner Energiegenossenschaft versorgen, vermeidet so größere Abhängigkeiten.
Also jetzt besser ein E-Fahrzeug kaufen, und sich zumindest hier ein Stück unabhängiger machen? Ja sicher, aber es wird nicht einfach, denn die Gegenseite schläft nicht: Das Gesetz für einen Anspruch auf eine private E-Ladestelle bei Miet- und Wohnungseigentums-Stellplätzen wurde gerade auf das Jahresende vertagt. Und der Aufbau bzw. die Förderung eines E-Ladenetzes kommt in Deutschland nur schleppend voran; verantwortlich dafür ist die dem Bundesverkehrsminister – und Altmaier-Fraktions-Freund – Andreas Scheuer unterstehende NOW GmbH. Die heißt im Klartext „Nationale Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie“, und ist eigentlich für den Ausbau der Wasserstoff-(Tankstellen-)Infrastruktur zuständig, aber auch für LNG als Schiffskraftstoff. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt ...
Götz Warnke