19.03.2021
Von mächtigen und ohnmächtigen Kreisen der Energiewende
Ein Rundumschlag von Heinz Wraneschitz
Die Bürgerbeteiligung an der so genannten Energiewende: Über deren meist überschaubare Auswirkungen haben die DGS-News in der Vergangenheit mehrfach berichtet. "So genannte Energiewende" deshalb, weil die große Politik mit dem Begriff weniger die Beteiligung der Bürger an Investitionen dafür meint, sondern das Abgeben von Meinungen und Kritik zu Atomendlagern, nicht zuletzt aber auch zu Strom-Übertragungsleitungen.
Das Frustpotenzial war schon hoch genug, also diese Beteiligungsmöglichkeiten wenigstens "livehaftig" gegeben waren - in persönlichen Treffen mit Ministern auf dem freien Feld, oder in riesigen Hallen, wo Einwender*innen ihre Kritik an und Verbesserungsvorschläge zu bestimmten Planungen direkt vortragen konnten. Ob und wie sich diese Anmerkungen danach konkret auf jeweilige die Einzel-Planung ausgewirkt haben, steht auf einem anderen Blatt. Aber wenigstens konnten die Einwendenden die Reaktionen ihrer Gegenüber aus Politik, Verwaltung, planenden Firmen in Echtzeit direkt wahrnehmen, also beim Blick in die Augen und auf die zuckenden Mundwinkel der Gegenüber.
Online ist anders
Seit März 2021 ist alles anders. "Live" heißt seither: in die Kamera und auf den Bildschirm schauen; in ein Mikrofon sprechen; nicht wissen, wo der oder die Adressierte gerade sitzt, steht oder liegt. Denn Corona lässt maximal "hybride", normalerweise aber nur Online-Veranstaltungen zu. Wodurch viele Gruppen - Computer- und Händie-Lose oder Landbevölkerung mit Kupferleitungen zum Beispiel - ausgeschlossen werden von solchen ohnehin weithin umstrittenen Beteiligungsverfahren. Für Atomendlager wie für Hochspannungs-Trassen, um auf die zwei genannten Beispiele zurückzukommen.
Bei der Atomendlagersuche sind, wie es scheint, alle demokratischen Parteien hierzulande ziemlich einer Meinung: Das Zeug muss sicher unter die Erde, koste es was es wolle. Und sogar der Zeitplan liegt fest: 2032 soll der Standort entschieden werden. Dann wird konkret geplant.
In der Beratung zum Standortauswahlgesetz StandAG 2017 sprach übrigens ein gewisser CSU-MdB Georg Nüsslein diesen bemerkenswerten Satz: "Machen Sie sich keine Sorgen um Bayern. Das Glück Bayerns machen wir nicht an Personen, sondern am Erfolg fest." Und nur die Grünen enthielten sich der Stimme bei der Abstimmung.
Anders bei den Trassen. Egal ob Hochspannungsgleichstromleitungen (HGÜ) wie Südlink und wie sie sonst mit Namen angesprochen werden wollen, oder Kürzelleitungen wie "P53": Die soll schon mal durch eine Wohnsiedlung gebaut werden, und noch nicht einmal Lokalpolitiker*innen wollen die Pläne bemerkt haben. Die Trassenführungen sind der ständigen Veränderung unterworfen, die Varianten sind vielfältig. Aber entschieden wird - so jedenfalls das Gefühl vieler Bürger*innen - letztendlich nicht von der zuständigen Behörde, sondern von einem der vier planenden, bauenden und betreibenden Netzkonzerne.
Offiziell liegt zwar die Entscheidung bei den Abgeordneten des Deutschen Bundestag, die alle zwei Jahre wieder den so genannten "Netzentwicklungsplan" NEP fortschreiben. Doch glaubt man beispielsweise dem renommierten Öko-Institut, dann halten weder die bereits gültigen NEP noch der in Diskussion befindliche Entwurf für den "Netzentwicklungsplan 2035 Strom" die von demselben Bundestag gesetzten Klimaziele ein. "Das Modell basiert viel zu sehr auf der alten Welt der konventionellen Kraftwerke", sagt beispielsweise Franziska Flachsbarth vom Öko-Institut.
Das wiederum dürfte ganz im Sinne des Wirtschaftsrats der Union liegen. Der wollte (und will wahrscheinlich immer noch) die Bürgerbeteiligung bei Infrastrukturprojekten massiv einschränken, indem die völkerrechtlichen Aarhus-Verträge geschleift werden; auch darüber haben wir berichtet. Wie diese einflussreiche CDSU-Politik-Gruppe arbeitet, das hat Lobby-Control dieser Tage in einer ausführlichen Studie veröffentlicht (siehe auch ...Übrigens in diesen News).
Dörte Hamann, Sprecherin des "Aktionsbündnis gegen die Süd-Ost-Trasse ABSOT", bewertet die Aktivitäten des Wirtschaftsrats so: "Darin sind bekannte Protagonisten der Energiewende-Verhinderung engagiert. Diese Politiker machen sich vorrangig für den Stromnetzausbau stark. Dieser ist ein wesentlicher Bestandteil der Strategie, um weiter Einfluss auf den heiß umkämpften Energiemarkt zu erhalten. Der soll zentralistisch und ohne nennenswerte Beteiligung der Bürgerenergie bleiben."
Und: Auch PricewaterhouseCoopers PwC ist nahe am Wirtschaftsrat. Gleichzeitig hat PwC über den "Bürgerdialog Stromnetz" die Öffentlichkeitsarbeit für den Trassenbau übernommen. Wer all diese Verbindungen kennt, muss sich nicht verwundern, wenn sich auf Trassengegner-Seite die Ohren spitzen bei Meldungen wie dieser: "Die Bundesregierung hat von den Stromnetzbetreibern eine Absichtserklärung entgegengenommen, das Forschungsprogramm >Strahlenschutz beim Stromnetzausbau< mit insgesamt 10 Millionen Euro zu unterstützen": So jubelte das Bundesumweltministerium BMU letzte Woche.
"Wo ist genau der Unterschied, ob ein Politiker 660.000 Euro erhält oder ein Bundesamt 10 Mio.? In beiden Fällen wird der Geldgeber profitieren. Ist das pressewirksame Korruption?", fragt denn auch ein ABSOT-Mitglied via Facebook.
Das besagte Forschungsprogramm >Strahlenschutz beim Stromnetzausbau< läuft seit 2017 beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), einer Organisation des BMU. Das Ministerium hat auf unsere Frage, ob es keine Gefahr sehe für "Wer zahlt schafft an", also für Einflussnahme der Netzbetreiber auf Forschungsergebnisse, geantwortet: "Bislang erfolgte eine Finanzierung des Forschungsprogramms aus dem Ressortforschungsplan des BMU. Bei alleiniger Nutzung dieses Finanzierungswegs hätte sich das Forschungsprogramm allerdings gegenüber der ursprünglichen Planung deutlich verzögert." Dabei bestehe "nach Wahrnehmung des BMU sowohl bei Behörden als auch bei Betreibern und bei ausbaukritischen Organisationen gleichermaßen das gemeinsame Interesse, das Forschungsprogramm zügig durchzuführen".
Für den Sprecher des BMU jedenfalls ist schon deshalb "eine Einflussnahme der Betreiber auf die Durchführung bzw. die Ergebnisse der Forschungsvorhaben ausgeschlossen, da die Bewirtschaftung der Mittel und die Abwicklung der Forschungsvorhaben ausschließlich durch das BfS erfolgt. Die Forschungsnehmer schließen Verträge mit dem BfS und werden ausschließlich von diesem bezahlt. Auch die Fachbetreuung wird ausschließlich vom BfS wahrgenommen."
Außerdem haben die Geldgeber per "Absichtserklärung ausdrücklich anerkannt, dass eine Einflussmöglichkeit der Betreiber auf die genauen Inhalte der Forschung, der Auswahl der durchführenden Forschungsinstitutionen sowie die Ergebnisse nicht besteht".
Nur auf unsere Frage: "Würde das BMU auch eine entsprechende Zuwendung auch akzeptieren, wenn sie von Seiten einer netzausbaukritischen Organisation / Person geleistet werden würde?" gibt uns der BMU-Sprecher keine Antwort.