18.10.2019
Angriffe auf die Erneuerbaren gehen weiter
Bisher war das Klimaschutzpaket der GroKo lediglich eine politische Absichtserklärung. Nun beginnt die Bundesregierung, es Stück für Stück in Gesetzesform zu gießen. Parallel dazu wird aber auch der ideologische Krieg gegen die erneuerbaren Energien vorangetrieben.
Das war zu erwarten, jedenfalls für diejenigen Beobachter, die sich über den Kurs der Bundesregierung bewusst sind, die im Gas wohl das Herzstück der neuen "Energieweltmarktordnung" (Wall-Street-Journal) sieht. Es verwundert also nicht, dass Anfang dieser Woche eine volle Breitseite von Warnungen abgefeuert wurde, Kohle- und Kernkraftausstieg zusammen mit Klimaschutz führten unweigerlich zu steigenden Strompreisen, wenn nicht gar zu Stromengpässen. Man hätte darauf wetten können dass dieses Märchen zeitnah nach der Verabschiedung des Klimapakets der Bundesregierung aufgeführt wird.
Es ist dieses Mal die Strategieberatung Oliver Wyman, eine der ganz großen, global tätigen Beratungsfirmen mit einem Jahresumsatz von rund zwei Milliarden Dollar. Wyman hat eine "Studie" mit dem Titel "Auswirkungen auf den Deutschen Erzeugungsmarkt" angefertigt, welche nach ihrer Veröffentlichung am 10. Oktober nahezu blind bundesweit zitiert wird.
Darin wird behauptet, dass die Großhandelspreise für Strom bis zum Jahr 2022 auf 65 € pro Megawattstunde ansteigen könnten. Zum Vergleich: Im August 2019 betrug der durchschnittlich gehandelte Strompreis am EPEX-Spotmarkt 36,85 Euro. Mit dieser "analysierten" Preissteigerung von nahezu 75% versucht Oliver Wyman gleich drei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Die Behauptung, wenn innerhalb von vier Jahren eine "vergleichsweise planbare" Leistung von 11.000 MW vom Netz gehe, berge dies eine Gefahr, ist erst einmal ein verdeckter Angriff auf die erneuerbaren Energien. Denn tatsächlich würde ein entsprechender Zubau von Solar- und Windkraftanlagen nicht nur keine Probleme erzeugen, sondern im Gegenteil Vorteile bringen.
Solar- und Windstrom nur noch am Katzentisch?
Zum anderen mahnen die Berater von Oliver Wyman ziemlich unverblümt den Neubau von "vergleichsweise planbaren" Kraftwerken, nämlich Gaskraftwerken an. Die Beraterfirma spricht sogar euphorisch von einer bevorstehenden Renaissance der Gaskraftwerke. Diese werden aber im neuen Jargon als "flexible Versorgungslösungen" bezeichnet. Allerdings müssten Politik und Energiewirtschaft für eine gesellschaftliche Akzeptanz sorgen, damit das Image von Erdgas zukünftig nicht zur "neuen Kohle" verkomme, was negative Auswirkungen auf die Strompreise haben könnte. Langfristig sehen die Berater ein Szenario, in dem sich "Gaskraftwerke, Batterien, Wasserstoff und mögliche weitere Technologien einpendeln". Man darf vermuten, dass unter den weiteren Technologien auch die erneuerbaren Energien zu finden sein dürften. Solar- und Windstrom am Katzentisch.
Das alles ist in der Berichterstattung über die "drohenden Preissteigerungen beim Strom" nicht sorgfältig dargelegt und transportiert worden. Und noch etwas anderes tauchte in der Berichterstattung in der Regel nicht auf: Dass die Berater von Oliver Wyman als Konsequenz für ein völlig neues Marktmodell plädieren, in dem das Vorhalten von Kapazitäten vergütet wird. Gemeint ist damit, dass nicht mehr der erzeugte und verbrauchte Strom den Wert der Geschäfte ausmacht, sondern der "sicher verfügbare Strom" einen expliziten Wert bekommen sollte, was sich auch in Geld ausdrücken müsse. Was das bedeutet? Erneuerbare-Energien-Anlagen, die einer natürlichen Fluktuation unterliegen, würden danach mit einer geringeren Wertigkeit behandelt. Damit wäre ein solches neues Kapazitätsmarkt-Modell auf die großen Energiekonzerne zugeschnitten ist, die den Zugriff auf die Netze, die große Leistungselektronik zum überregionalen Fluktuationsausgleich und den Zugang zu einer Mehrheit der Endkunden haben.
Das sind keine sehr positiven Aussichten für die Erneuerbaren Energien (EE). Aber neben der Frage, welche Auswirkungen diese Pläne auf die EE haben würden, steht die der Klimaverträglichkeit. Die anfänglich noch unterentwickelte Diskussion über die Klimaschädlichkeit von Erdgas hat inzwischen deutlich an Fahrt aufgenommen. Erfreulich ist, dass in einer breiten Öffentlichkeit Erdgas mehr und mehr als das Klimagas Methan wahrgenommen wird. Positiv ist ebenfalls, dass nicht nur die beim finalen Verbrennungsprozess entstehenden CO2-Emissionen zur Bewertung herangezogen werden, sondern auch die sogenannten Vorketten-Emissionen. Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Energy Watch Group (EWG) kommt zu dem Schluss: Erdgas sei nicht nur gleich schädlich wie Kohle, sondern deutlich schädlicher. Die EWG schätzt, dieser negative Wert liege bis zu 40 Prozent höher als bei der Kohle.
Und letztlich wird ein Aspekt bei der Betrachtung des Kohleausstiegs wenig beachtet. Alle diese Neubaupläne von Gaskraftwerken, wie auch die Expansion der Gasbrennwertkessel bei der individuellen Wärmeerzeugung, werden als gewünschtes Wirtschaftswachstum angesehen. Doch ein von Beratungsfirmen wie Oliver Wyman erhoffter, global steigender Erdgasverbrauch passt weder zum Pariser Klimaschutzabkommen noch zu den Zusagen auch der Bundesregierung zur Begrenzung des Temperaturanstiegs.
PS: Dieses Regierungs-Klimapaket wird uns sicher in den kommenden Wochen noch des Öfteren beschäftigen.