15.03.2024
„Ich komm nicht an mit dem E-Auto“: Die Angstmacher (Teil 3)
Ein Meinungsbeitrag von Götz Warnke
Angst ist eines der stärksten menschlichen Gefühle: sie kann lähmen, Fluchtreflexe auslösen oder zu Wut und Widerstand animieren. Jeder Mensch geht mit einer Vielzahl von Ängsten um, die individuell mehr oder minder stark ausgeprägt sind: Angst vor Arbeitslosigkeit, Bedeutungsverlust, Einsamkeit, Gewalt, Krankheit, Veränderungen, um nur einige der möglichen Erscheinungsformen zu nennen. Die meisten Ängste kommen, begründet in unserer Biographie, aus unserem Inneren. Andere werden aber auch von außen an uns herangetragen, uns von unserem sozialen Umfeld oktroyiert. Aber auch von Akteuren in Industrie, Medien, Politik und Wirtschaft werden mediale Kampagnen gefahren, um die eigenen, meist materiellen Interessen durchzusetzen, wie wir bereits in Teil 1 + 2 gesehen haben. Doch es gibt ein weiteres, großes Angst-Kampagnen-Feld:
Das E-Auto.
Das im ersten Moment vielleicht Überraschendste ist: die Elektromobilität an sich scheint für die Öffentlichkeit überhaupt kein Problem zu sein. Denn sie wird allgemein akzeptiert: E-Fähren und E-Ausflugsboote werden von unzähligen Menschen genutzt, ohne dass viele Fahrgäste noch auf der Gangway mit Panikattacken umkehren würden. Angler nutzen E-Motoren auf geschützten Gewässern, wo ölige Verbrenner verboten sind, Segler wegen der Ruhe. In der Luftfahrt verbreiten sich immer mehr private Drohnen, wird die Urban-Air-Mobility gehypt, und Airbus entwickelt Elektroflugzeuge, ohne dass es einen allgemeinen Aufschrei gäbe. Selbst im Straßenverkehr werden Pedelecs, E-Motorroller und Elektro-Busse problemlos akzeptiert. Nur wenn es um den Elektroantrieb im Auto geht, ist das Geschrei groß. Und daher kann das Problem mit Sicherheit nicht am Elektromotor liegen.
In der Tat ist es ein ökonomisches, und kein technisches Problem: Viele „Nieten in Nadelstreifen“ an der Spitze von (hiesigen) Autokonzernen und Zulieferern haben den Wandel zur E-Mobilität – anders als die chinesische Konkurrenz – völlig verschlafen, und drohen nun ihr Quasi-Abonnement auf die vorderen Plätze der technologischen und ökonomischen Welt zu verlieren. Das hätte natürlich erhebliche wirtschaftliche Folgen, auch für die Topmanager selbst. Und so versuchen manche Vertreter dieser Fossilwirtschaft und ihre Verbündeten, den Wandel zum E-Auto, den sie nicht aufhalten können, doch zumindest zu entschleunigen und abzumildern. Dazu werden immer neue Narrative in der medialen und politischen Landschaft verbreitet.
Der neueste Narrativ ist die angeblich bevorstehende Aufhebung des Verbrenner-Verkaufs-Verbots in der EU 2035, wie er z.B. bei Focus oder dem Handelsblatt kolportiert wird.
Die eigentliche Nachricht hinter solchen Nachrichten ist: „Das E-Auto kommt so bald nicht. Ihr müsst Euch keine Gedanken machen zu Eurer persönlichen Mobilitätswende. Und schon gar nicht müsst Ihr jetzt ein E-Auto kaufen!“ Natürlich gibt es daneben bei der EU in Brüssel viele Lobbyisten, die versuchen, das Verbrenner-Verkaufs-Verbot aufzuweichen. Aber große Autokonzerne wie Stellantis, ja selbst der deutsche Verband der Automobilindustrie (VDA) bekennen sich zur Antriebswende; ihnen ist längst klar, dass sie bei E-Autos gegen die Chinesen nicht bestehen können, wenn sie zugleich riesige Investitionen in die Weiterentwicklung des Verbrennungsmotors stecken müssten.
Narrative reichen nicht mehr
Da nur ein angstbesetzter Narrativ natürlich nicht ausreicht, Leute vom E-Auto-Kauf abzuhalten, sind meist mehrere „Gruselstorys“ im Umlauf, wie z.B. nach dem Motto „E-Autos taugen nichts – denn sonst würden die Autovermieter sie nicht hinauswerfen.“ Was ist da los? Im vergangenen Dezember hatten die Autovermieter Hertz und Sixt angekündigt, ihre umfangreichen, vorwiegend aus Teslas beruhenden Vermietungsflotten stark reduzieren zu wollen. Der Hintergrund: Bei der Berechnung der Leasing- und Vermietungskonditionen gehen immer auch die Restwerte ein, d.h. der Wert des E-Autos nach Ablauf der Nutzungsdauer beim Autovermieter. Hat der Vermieter aber das Auto bei Tesla teuer eingekauft, und Tesla senkt immer stärker die Preise, kann der Autovermieter den Tesla nicht mehr zum kalkulierten Preis auf dem Gebrauchtwagenmarkt verkaufen, und verliert so Geld.
Dazu kommen die Reparaturkosten bei größeren Blechschäden: da Tesla große Teile des Fahrzeugs in einem Stück gießt, sind die Reparaturen hier kompliziert und teuer. Das hat aber nichts mit dem E-Auto zu tun, wie Autoredakteure wissen sollten: Schon in den 1970er Jahren war die Reparatur eines fest verschweißten Kotflügels einer Alfa Romeo Alfetta teurer als die eines angeschraubten Kotflügels bei Audi 100 – fest zusammen gefügte große Teile sind halt teurer zu reparieren.
„‘Es baut sich Welle auf’: Auto-Papst Dudenhöffer mit bitterer Prognose für E-Autos“, titelt der Münchner Merkur unheilschwanger. Die praktisch gleiche Geschichte lautet bei Businessinsider „Geringe Nachfrage und Preisverfall für E-Autos treiben Leasingraten in die Höhe“. Wo ist das Drama? Die „bittere Prognose“ betrifft also allenfalls die Leasingnehmer; dagegen stellen sich Käufer neuer oder gebrauchter E-Autos bisweilen sogar deutlich besser. Aber Fakten hin oder her – die Anti-E-Auto-Propaganda geht munter weiter, wie die Angstszenarien zeigen:
- Die „Reichweiten-Angst“ geht mittlerweile sogar Welt-Redakteuren auf die Nerven; immerhin fährt der deutsche durchschnittliche Pendler pro Tag gerade einmal 38 km – da reicht einmal laden pro Woche.
- Die „Lade-Angst“ hinsichtlich fehlender oder dauerbesetzter Ladesäulen – in Deutschland gibt es derzeit so viele Ladesäulen, dass diese längst nicht ausgelastet sind.
- Die „Fehlinvestitions-Angst“ oder das E-Auto könnte sich langfristig als böse Kostenfalle heraus stellen, ist wissenschaftlich widerlegt.
- Die „Klimaschwein-Angst“ oder der gern verbreitete Narrativ, E-Autos seien „schmutziger“ als Verbrenner. Dieses wurde nicht nur vom Umweltbundesamt widerlegt, sondern selbst die VDI-Studie, die dem E-Auto Klimafreundlichkeit nach bestenfalls 66.000 km bescheinigt, steht mittlerweile wegen „Schwarzmalerei“ in der Kritik.
Besonders übel wird es, wenn Schwurbler, Esoteriker und Märchenerzähler Fake News über die Mobilitätswende der EU verbreiten, etwa dass alte Autos künftig nicht mehr repariert werden dürfen und historische Fahrzeuge u.U. zur Verschrottung anstünden. Gegen solche allzu durchsichtigen Propaganda-Geschichten helfen die Fakten-Finder der Tagesschau oder von Zeitschriften wie AutoBild.
Fazit:
Der Kampf gegen Energiewende, Wärmepumpe oder E-Auto ist der Kampf der alten Ökonomie und ihrer Seilschaften gegen die neue. In der neuen Ökonomie mit ihren Prosumern und Selbstversorgern, mit ihren Wärmepumpen und E-Autos, haben die Bürger mehr ökonomische/finanzielle Freiheit: Sie sind weniger auf den Zukauf von Energie und Dienstleistungen (Reparaturen) angewiesen, mehr Geld bleibt in ihren Taschen. Das geht natürlich zu Lasten der alten, fossilen Ökonomie bezüglich Aktienkurse, Gewinnerwartungen, Vorstandsgehältern und Zukunftsperspektiven. Dass die alte Ökonomie um ihre Zukunft und Zeit für ihre Transformation kämpft, ist verständlich. Nicht akzeptabel ist aber, dass dies in dieser durch die Klimakrise notwendigen gesellschaftlichen Transformationsphase auch mit grundloser Angstmacherei, mit Lug und Trug geschieht. Doch zumindest sind wir als Vertreter der neuen Ökonomie abgehärtet, zumal wir wissen, wie „robust und kreativ“ der Umgang z.B. der Mineralölindustrie mit den Klimakrisen-Fakten im letzten halben Jahrhundert war.