12.03.2021
Smart-Meter: Stopp des Rollouts?
Ein Zustandsbericht von Jörg Sutter
Es war ein Paukenschlag, der am vergangenen Wochenende aufhorchen lies. Eigentlich nur eine Gerichtsentscheidung in einem Eilverfahren, die entsprechend schnell getroffen wurde. Aber die Konsequenzen sind enorm: Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfahlen hat per Eilbeschluss am 4. März zum Rollout der Smart-Meter entschieden, dass dieser auf Eis gelegt werden muss. Mit als erstes Medium hat die Welt hier darüber berichtet.
Es war nur eine Vorab-Eilentscheidung, das Hauptsacheverfahren läuft noch weiter, es genügt aber um durch die Argumentation den weiteren Pflicht-Rollout erst einmal in Frage zu stellen. Und wie lange? Das ist derzeit völlig unklar. Formal bezieht sich das Urteil selbstverständlich nur auf den Einzelfall, aufgrund der Begründung dürfte ein weiterer Einbau von Smart-Metern mit nicht zertifizierten Gateways nun möglich sein. Wie die vielen Stadtwerke und anderen Messstellenbetreiber, die derzeit mitten in der Umsetzung des Rollouts sind, nun weitermachen, ist ebenfalls unklar.
Die Begründung
Vom Gericht wurden formal die Zertifizierungen der Smart-Meter-Gateways durch das BSI (Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik) verworfen. Sie erfüllen nicht die gesetzlichen Vorgaben und bieten zu wenige der versprochenen Funktionen. Daher sei die ausgesprochene Allgemeinverfügung rechtwidrig.
Konkret wurde bemängelt: "Die dem BSI zustehende Kompetenz, technische Richtlinien entsprechend dem technischen Fortschritt abzuändern, gehe nicht so weit, dadurch gesetzlich festgelegte Mindestanforderungen zu unterschreiten. Seien die dortigen Mindestanforderungen nicht erfüllbar, müsse der Gesetzgeber tätig werden". Einfach formuliert: Das BSI kann nicht einfach die im Gesetz definierten technischen Anforderungen an die Geräte eigenmächtig absenken.
Das bezieht sich auf den Funktionsumfang (der derzeit stark reduziert ist), aber auch auf die so genannte "Interoperabilität": Es muss es möglich sein, eine "moderne Messeinrichtung" (=Zähler) eines Herstellers mit einem Gateway (=Kommunikationsschnittstelle) eines anderen Herstellers zu kombinieren. Dieser Punkt, der gesetzlich fest vorgegeben ist, wurde aber bei den Zertifizierungen ausgeklammert und funktioniert nach Angaben von Kennern der Materie in der Praxis faktisch kaum. Trotzdem hat das BSI die Geräte zertifiziert und den Rollout damit gestartet.
Ist die Kritik berechtigt?
Der Verbraucherzentrale Bundesverband kritisiert schon länger, dass die Ausstattung der Verbraucher mit Digitaltechnik auch echte Vorteile für die Nutzer haben muss und nicht nur hohe Kosten. Diese Kritik wurde aufrechterhalten, es ging dabei vor allem um die im Gesetz festgelegten Leistungen und Preisobergrenzen. In der Rollout-Praxis blieben nämlich die Preisobergrenzen bestehen, das Leistungsniveau (die möglichen Funktionen der Geräte) wurden jedoch deutlich reduziert.
Die derzeit zertifizierten Gateways können zwar den Stromverbrauch weitergeben, sind aber noch nicht zugelassen, um z.B. zeitvariable Stromtarife zu verarbeiten. Auch beim Anschluss einer Wallbox wäre ein aktuelles Smart-Meter mit Gateway noch nicht in der Lage, steuernd die Ladeleistung zu regulieren, um den Gesamtverbrauch netzschonender zu verarbeiten. Ausgerechnet die Funktionen, die für die Verbraucher besonders interessant wären, sind aktuell nicht verfügbar. Die Preisobergrenzen werden von den Anbietern jedoch trotzdem aufgerufen. Insofern ist das Urteil konsequent und für jeden Bürger verständlich und nachvollziehbar. Weniger Leistung als definiert zum gleichen Preis geht nicht. Das BSI war über die Gerichtsentscheidung überrascht, eine weitergehende Stellungnahme dazu gibt es derzeit noch nicht.
Der Geschäftsführer des Bundesverbandes Neue Energiewirtschaft (BNE) hat sich dagegen geäußert: "Der Eilbeschluss des Oberverwaltungsgerichts in Münster bestätigt: Die bisher vom BSI zertifizierten Smart-Meter-Gateways (SMGW) erfüllen nicht die gesetzlichen Anforderungen - und treffen vor allem nicht die Anforderungen des Marktes und die Wünsche der Kunden", so Robert Busch.
Ingrid Nestle, Sprecherin für Energiewirtschaft der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag kommentierte das trocken so: "Das Gerichtsurteil ist ein Armutszeugnis für die Bundesregierung. Die Bundesregierung schreibt den Einsatz von Technologie vor, die nicht eingesetzt werden kann. Auch nach jahrelangen Verzögerungen kriegt sie den Ausbau intelligenter Technik nicht hin. Der Dornröschenschlaf des Energieministers beim Thema Digitalisierung wird zur ernsten Gefahr für die Energiewende."
Weitere Stellungnahmen, z.B. von der Bundesnetzagentur oder dem Wirtschaftsministerium liegen nicht vor.
Die Spitze des Eisbergs
Wer nun davon ausgeht, dass das ganze nur die späte Rache eines Anbieters mit gescheiterter Zertifizierung ist, der muss zur Kenntnis nehmen, dass beim Oberverwaltungsgericht in Münster noch rund 50 weitere Beschwerden von Messtellenbetreibern liegen. Es handelt sich also auch wenn die Entscheidung zum Hauptsacheverfahren noch aussteht nur um die Spitze des Eisbergs. Jetzt heißt es wohl erst einmal abwarten, bis eine endgültige, belastbare Entscheidung des Gerichts ergeht.
Die Konsequenz für den Rollout
Per Markterklärung des BSI startete im Februar 2020 deutlich später als geplant der Smart-Meter-Rollout für Unternehmen und Haushalte mit über 6.000 kWh Stromverbrauch pro Jahr. Das ist die erste große Kundengruppe, die Smart-Meter erhält und an der die Messstellenbetreiber mit dem Rollout auch erstmal die Umsetzung "üben", bevor bis 2032 auch die Kleinverbraucher mit Millionen von neuen Zählersystemen ausgestattet werden sollen. Für Erzeuger wie PV-Anlagenbetreiber gibt es bislang noch keinen Rollout, denn für diese Anwendung sind die notwendigen Gateways bis heute nicht zertifiziert.
Konsequenz für Anbieter und Stadtwerke
Juristen betonen, dass der Pflichteinbau und der weitere Rollout nicht in Frage gestellt wird, das Urteil betreffe direkt nur den Klagenden, und nur indirekt auch weitere Verfahren. Trotzdem sind auch andere Marktteilnehmer verunsichert, wie ein Anbieter gegenüber dem Autor bestätigt: Das gesamte Projekt fährt politisch gegen die Wand und das Vertrauen schwindet, doch gerade das sei bei der Digitalisierung der Energiewende dringend nötig.
Konsequenz für Haushalte und PV-Betreiber
Die Verbraucherzentrale Bundesverband hat hier eine ausführliche Beschreibung des Rollouts und der Konsequenzen für Haushalte und auch PV-Betreiber veröffentlicht. Wichtig: Schon verbaute intelligente Messsysteme müssen nicht ausgetauscht werden. Auch können jetzt erst einmal weiter nicht zertifizierte Systeme eingebaut werden.
Für Einspeiser (z.B. PV) wurde bislang damit gerechnet, dass in Kürze die Markterklärung des BSI veröffentlicht und damit auch der Pflicht-Rollout für die Smart-Meter im Anwendungsfall der Einspeisung (also auch für PV-Anlagen über 7 kWp) startet. Die Markterklärung ist jetzt vermutlich irrelevant und die PV-Betreiber können sich darauf einstellen, noch länger auf die Umrüstung warten zu müssen. Im EEG 2021 wurden ja an vielen Stellen schon zwei verschiedene Vorgehenspfade definiert: Für die Zeit vor der Smart-Meter-Pflichteinführung und danach. Da werden jetzt erst einmal die "vor"-Pfade in der Praxis relevant bleiben. Das muss für PV-Betreiber kein Nachteil sein: Neben dem Kostenvorteil der aktuellen Zähler ist es ja auch denkbar, dass bei einer Umstellung z.B. im nächsten Jahr oder gar später wirklich noch weitere Funktionen verfügbar sind und die Geräte dann auch konkreten Nutzen für die Betreiber haben.
Hausaufgabe für die Beteiligten
Der BNE verweist darauf, dass die notwendige Technik vorhanden ist: Es gibt (nicht zertifizierte) Gateways, die die notwendigen Funktionen bieten, doch es klemmt an deren Zertifizierung: "Strukturelle und prozessuale Abrüstung ist nun das Gebot", so der BNE, der hier bereits im Jahr 2018 Vorschläge zur Verschlankung der Zertifizierung erstellt hat. Auf den Punkt gebracht hat es Jost Eder von der Kanzlei BBH: "Wir brauchen interoperable, also auch zwischen den Herstellern beliebig austauschbare Geräte, die alle gesetzlich vorgegebenen Funktionen aufweisen". Eigentlich sollte das (auch nach dem Messtellenbetriebsgesetz) selbstverständlich sein.
Kein Einzelfall im Energierecht
Die Politik in Berlin, die (zumindest nach den sonntäglichen Aussagen in den üblichen Talkshows) immer die Energiewende voranbringen will, hat es geschafft, in einer Vielzahl von Bereichen das Gegenteil zu erreichen. Ob nun mangelnder Wille unterstellt werden kann oder nicht: Die Gesamtbilanz ist jedenfalls verheerend: Das Gebäudeenergiegesetz um Jahre verzögert und selbst für Experten schwer zu durchschauen, ein neues EEG 2021, das bei der letzten Novelle wieder komplexer und unverständlicher geworden ist und in der Anwendung viele vor Rätsel stellt. Und nun auch das Messtellenbetriebsgesetz: Nicht nur sperrig im Namen und exzessiv komplex für alle Beteiligten, sondern nun schlicht nicht richtig anwendbar.
An diesem Urteil zum Smart-Meter-Rollout wird wieder einmal sichtbar: Die gesetzliche Umsetzung der Energiewende in Deutschland ist gescheitert, und das auf ganzer Linie. Nur vielen engagierten Bürgern und inzwischen auch immer mehr Firmen (von Stadtwerken bis zur Industrie) ist zu verdanken, dass sie sich trotz der widrigen Randbedingungen auf den Weg in eine regenerative Zukunft gemacht haben. Aus Berlin haben sie dazu in den letzten Jahren keinen Rückenwind erhalten. Der zuständige Minister Altmaier kommentierte das Anfang der Woche so: "Wir haben einiges zu tun. Aber ich will auch sagen, wir haben einiges erreicht". Da bleibt einem der Mund offenstehen. Aber der September naht.