09.07.2021
Nachhaltige Wärme für Industrie und Gewerbe
Ein Erfahrungsbericht vom Carmen-Symposium 2021 von Heinz Wraneschitz
Das 29. Carmen-Symposium war – oder besser: ist noch ein paar Tage lang! - ganz anders als die 28 Ausgaben vorher. Nicht nur, weil es coronabedingt online stattfindet: Das hat die Veranstaltung der Straubinger „bayerischen Koordinierungsstelle für Nachwachsende Rohstoffe, Erneuerbare Energien und nachhaltige Ressourcennutzung Carmen“ mit vielen anderen Events dieser Tage gemein.
Doch bisher war es bei Carmen üblich, dass die zwölf Fachblöcke an wenigen aufeinanderfolgenden Tagen über die Bühne gehen – oft mehrere parallel. Heuer aber ziehen sich die 12 inhaltlichen Webkonferenzen – zwei pro Tag – plus eine Abschlussveranstaltung seit dem 5. und noch bis zum 14. Juli durchs Internet. Eine befasste sich einen halben Tag lang mit „Erneuerbarer Prozesswärme in Industrie und Gewerbe“ – und ich durfte sie moderieren.
Prozesswärme aus Erneuerbaren Quellen: Ja, hin und wieder bin ich Fachwissen um diese nachhaltige Energieform schon begegnet. Aber in der Kompaktheit eines halbtägigen Kongresses habe ich sie noch nicht erfahren dürfen. Aber was habe ich persönlich konkret an diesem Mittwochvormittag gelernt?
- Erneuerbare Prozesswärme ist wirtschaftlich umsetzbar.
- Für die EE-Prozesswärme gibt es viele (hoch-)qualifizierte Firmen und Forschungseinrichtungen.
- Es gibt aktuell hohe nutzbare Fördermittel.
- Projektideen mit EE-Prozesswärme haben gute Chancen, Fremdfinanzierung zu bekommen.
Dass viel hängen blieb, hatte einerseits mit dem breiten Themenspektrum der fünf Referate zu tun – und andererseits mit der Auswahl der dafür passenden Referent*innen durch das Organisationsteam.
„Solarthermische Trocknung“ war der Vortrag von Almut Petersen überschrieben. Dass die Diplom-Physikerin nebenbei auch noch in Bürgerenergie-Gesellschaften engagiert ist, beweist: Sie steht voll hinter den Erneuerbaren. Hauptamtlich hat sie bei Grammer Solar in Amberg schon eine Reihe internationaler Projekte geleitet. Eines in Chile beispielsweise zur Solaren Trocknung von Kräutern und Früchten entstand in Kooperation mit der GIZ, der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit.
Petersen stellte an vielen Beispielen vor, wie unkompliziert es sein kann, mit Luftkollektoren Niedertemperatur-Wärme herzustellen. Ein Standardprodukt von Grammer Solar heißt seit 25 Jahren „Twinsolar: Man packt den Karton aus, und das Ding fängt an zu laufen.“
Denn in dem Alugehäuse ist nicht nur der Lufterwärmer, sondern auch gleich noch ein kleines Photovoltaik-Modul integriert zum Antrieb des ebenfalls eingebauten Lüfters. „Solar lüften – auch wenn niemand zu Hause ist.“
Bei der Altbausanierung genauso wie in Ferien- und Wochenendhäusern, Kellern und Garagen, Vereinsheime oder Berghütten: „Erwärmte Frischluft trocknet und verhindert Schimmelbildung.“ Doch das Grammer-Prinzip „je einfacher, umso weniger geht kaputt“ ist noch offensichtlicher bei Luftkollektoren, die Hallen beheizen: „Die Anlage auf einer Schwimmhalle in Ingolstadt ist schon 30 Jahre alt“, erklärte Almut Petersen: „Die sieht noch aus wie 1991.“ Jede Menge solcher Anlagen – von der Malztrocknung in einer Bio-Brauerei über Autolackierereien, ein Metallwarenlager bis zur „Heutrocknung: die führt zu besserer Milch“: Der Anwendung scheint keine Grenze gesetzt.
Zumal Luftkollektoren sich auch mit anderen EE-Wärme-Techniken zusammenschalten lassen. Beispielsweise zur Luftvorwärmung der „Innovativen Heißlufterzeugung für Landwirtschaft und Industrie“: Die stellte der Ingenieur Bernhard Loder-Taucher von ICS Energietechnik aus Kumberg bei Graz in der Steiermark vor. ICS kann Heißluft aus der Verbrennung von Biomasse mit bis zu 55% Feuchtegehalt produzieren. Ob in Estland, der Ukraine, Frankreich oder Wiesmoor in Deutschland, wo 15 Gärtnereibetriebe auf EE-Fernwärme umgestellt worden sind: ICS ist europaweit gut im Markt.
Schleifstäube aus der Möbelherstellung können genauso zur Wärmeerzeugung genutzt werden wie Maisspindeln aus der Landwirtschaft. Und die Wärme wiederum wird zur Trocknung der hergestellten Möbel oder bäuerlichen Produkte eingesetzt. Die Kombination führe oft zum Erfolg – eine Vorstudie aber sei immer sinnvoll, so Loder-Taucher. Aber gerade lokal verfügbare Biomasse biete neben dem vermiedenen CO2 (und gesparter CO2-Steuer) Vorteile wie niedrige Brennstoffkosten, langfristige Preisstabilität oder gesicherte Brennstoffversorgung. Nur der Einsatz schadstoffbelasteter Resthölzer sei nicht immer sinnvoll. Jedenfalls würde eine biobefeuerte ICS-Anlage die Kosten der Heißlufterzeugung gegenüber fossilen Brennstoffen „in der Regel halbieren oder sogar auch mal auf 30% reduzieren“.
Der Steirer verwies zudem auf das in Deutschland gültige Förderprogramm des „BAFA-Moduls 2 Prozesswärme aus EE“. Bis zu 55% der förderfähigen Investitionskosten von maximal 10 Mio. Euro je Vorhaben würden vom Bund getragen: Eine Hilfe, auf die auch die anderen Vortragenden aufmerksam machten.
Dass solare, CO2-freie Prozesswärme in Industrie und Gewerbe gut und wirtschaftlich eingesetzt werden kann – „als Fuel Saver“ -, stellte Dominik Ritter vom Institut für Thermische Energietechnik der Universität Kassel an vielen umgesetzten Beispielen vor. Solare Wärme wird zu drei Vierteln für Trocknung, (Fahrzeug-)Reinigung, Tieraufzucht und Gasdruckregelung eingesetzt.
Brauereien zum Beispiel machen mit 6% einen guten Anteil aus an den seit 2013 verbauten 35.000 m2 Kollektorfläche: hier wird oft Wasser zur Flaschenreinigung solar erhitzt.
Die Kosten schwanken sehr – am preiswertesten sind Luftkollektoranlagen zu realisieren. Das Problem: „Die Amortisationszeiten liegen meist über fünf Jahren“, gerade für kleinere Unternehmen, die lieber in ihre originäre Technik investierten, ein Problem, wie Ritter bestätigte. Aber inzwischen sei Contracting möglich, „und ein steigender CO2-Preis würde die Kostenfrage umdrehen“, so der Wissenschaftler. Seine Empfehlung: „Die Anlage am besten für die sommerliche Wärme auslegen – dadurch entstehen keine solaren Überschüsse“ und dafür „das kostenlose Auslegungstool auf der Webseite www.solare-prozesswaerme.info nutzen“.
Dass sich Finanzinvestoren und Banken immer mehr in Nachhaltigkeits- und damit auch in EE-Wärme-Projekten engagieren, bestätigte Jürgen Fluch, von AEE Intec, dem alteingesessenen Institut für Nachhaltige Technologien aus in Gleisdorf in der Steiermark. Er empfahl, unterschiedlicher Technologien erneuerbarer Prozesswärme sinnvoll zu kombinieren, denn „es gibt eine Vielzahl von Wärmesenken – aber in verschiedenen Temperaturniveaus“. Deshalb gebe es nicht „die“ EE-Lösung für alle Prozesse.
Fluch nannte ein „gigantisches Wärmepotenzial von 60 Prozent des industriellen Wärmebedarfs“, das durch Effizienzmaßnahmen und EE abgedeckt werden könnte, am besten Contracting- oder Fremdkapital-finanziert. Da aber die einzelnen Projekte oft zu klein für Finanzinvestoren seien, empfahl er: Firmen sollten ihre Projekte bündeln und als Konsortium an Finanzinvestoren oder Banken herantreten. „Dafür gibt es inzwischen standardisierte Verträge“, so Jürgen Fluch.
Etwas exotisch mutete auf den ersten Blick der letzte Vortragstitel an: „Grüner Wasserstoff (H2) aus Holzgas.“ Doch laut Torsten Birth vom Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF aus Magdeburg ist dies „ein akutes Thema“, weil bei Holzvergaser- wie bei Biogas-Kraftwerken das Ende der 20-Jahre-EEG-Vergütung absehbar sei. Und: Weil H2 in aller Politiker Munde sei. Er gab aber auch zu: Schon die Aufbereitung von Holzgas für BHKW sei wegen des höheren Fremdstoffanteils aufwändiger als bei Biogas. Und wenn das H2 in Brennstoffzellen genutzt wird, sei dessen „Reinheit ein entscheidender Punkt.“ Andererseits sah er durch die Verwendung selbst von (Getreide-)Spreu als Holzgas-Brennstoff gute Chancen, „den Rest vom Rest vom Acker zu holen“ für die H2-Produktion am (Bauern-)Hof.
Wird es also die H2-Fabrik der Zukunft am flachen Land geben? Diese Frage konnte Thorsten Birth zwar nicht endgültig beantworten. Aber auch die Holzvergasung könnte am Ende für mehr Wärme im Dorf sorgen, meinte er. Und für EE-Prozesswärme in Industrie und Gewerbe – wie auch alle anderen vorgestellten Technologien.
Mein Fazit des Tages: Es wird wohl auf eine Kombination aus verschiedenen Techniken hinauslaufen, um die volatilen Stromquellen Wind und Sonne auszugleichen. Und die Abwärme stünde dann quasi automatisch und kostengünstig zur Verfügung. Zur Heizung am Land und für Industrie oder Gewerbe.