09.06.2023
Kein Aufregerthema
Ein Kommentar von Tatiana Abarzúa
Das Sommerloch-Thema startete dieses Jahr schon etwas früher. Überall: Meldungen über Klimaaktivist:innen die Straßen blockieren. Schlagzeilen im Boulevard und TV-Talkshows zeigen viel Verständnis für verärgerte Autofahrerinnen. Doch wo steht etwas über den Grund der Klimaproteste? Und wer ist überhaupt verantwortlich für diese Klimakrise, in die wir alle geraten sind? Und wie kommen wir da wieder raus?
Die Klimaschützer:innen nennen sich „letzte Generation vor den Kipppunkten“ und bringen damit ihr Anliegen auf den Punkt. Offenbar sind sie in letzter Zeit mit ihren öffentlichkeitswirksamen Aktionsformen sehr erfolgreich gewesen. Ignoriert werden sie jedenfalls nicht mehr. Das neueste Kapitel im inszenierten Showdown zwischen Aktivist:innen und Autofreund:innen war die Razzia vom 24. Mai. Laut Spiegel waren es etwa 170 Beamte, die 15 Wohnungen und Geschäftsräume in sieben Bundesländern untersuchten. Razzien fanden im Landkreis Rhön, Hamburg, Magdeburg, Dresden, Augsburg, München und im Kreis Segeberg statt, wie die Frankfurter Rundschau berichtet. Mehrere Spendenkonten wurden zeitgleich eingefroren, die Rede ist von rund 1,4 Millionen Euro. Ebenso wurde die Website beschlagnahmt und abgeschaltet.
Der Tatvorwurf: „Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung“. Das heißt, die Razzien beziehen sich auf § 129 des Strafgesetzbuches. Das ist eine pauschale Kriminalisierung. Auch das Prinzip der Unschuldsvermutung wurde ignoriert. Ausgerechnet bayerische Justizbehörden leiteten die Razzien ein (die DGS-News berichteten). Wenige Monate vor den Landtagswahlen.
Ein riesiges Ablenkungsmanöver und der Versuch, die Aktivist:innen mit der Darstellung als extremistisch zu diffamieren. Manch einer spekuliert vielleicht auf einen „chilling effect“, der Menschen einschüchtert, sich Klimaprotesten anzuschließen.
Denn als kriminell können Machenschaften einer „Leugnungsmaschine“ bezeichnet werden. Seit Jahrzehnten wissen die Erdölunternehmen, dass ihre Emissionen zur Erderwärmung führen. Sie taten nichts, um das einzudämmen, bauten nur die Ölplattformen etwas höher. Stattdessen gaben sie enorm viel Geld in Lobbykampagnen gegen eine Einführung effektiver Klimaschutzgesetzgebung aus. Das sind Fakten, von denen nicht mehr länger abgelenkt werden kann. Dabei verdienen sie sehr viel Geld: In diesem Quartal haben Ölkonzerne BP, Shell, ExxonMobil, Chevron und TotalEnergies zusammen einen Gewinn von mehr als 40 Milliarden Dollar erzielt.
Und gleichzeitig wird weiter suggeriert, dass alles weiter gehen kann wie bisher. Keine Änderungen im Ressourcen- und Energieverbrauch. Die Fossilindustrie profitiert davon, und „100 Unternehmen sind für 71 % der globalen Emissionen verantwortlich“, wie die Journalistin Anja Reschke in ihrer Sendung kürzlich betonte (Reschke Fernsehen)*.
Da bleibt es wichtig, dass es in der Zivilgesellschaft Gruppen gibt, die Druck machen auf die Politik, dass sich viel und schnell pro Klimaschutz ändert. Spannend, dass auch UNO-Generalsekretär António Guterres so sieht, und in klaren Worten formuliert: „Klimaaktivisten – angeführt von der moralischen Stimme junger Menschen – haben ihre Ziele auch in den dunkelsten Tagen weiterverfolgt. Sie müssen geschützt werden und wir brauchen sie jetzt mehr denn je“.
Der Lösungsweg aus der Krise liegt doch eindeutig darin, die Erneuerbaren Energien auszubauen.
Und Reschke hat Recht damit, kritisch auf die CCS-Ambitionen zu zeigen. Denn das ist die „neue Story“, die an vielen Orten erzählt wird (die DGS-News berichteten). Wie kommt die Politik auf die Idee, CO2-Abscheidung und -Verpressung würde uns weiterhelfen? Im Prinzip sollte das ein Aufregerthema sein.
*Die Redaktion von Raschke Fernsehen hat sich für ihre Recherche zu der Sendung auch dem von der DGS Franken herausgegebene Buch „Propagandaschlacht ums Klima“ des US-Klimaforschers Michael E. Mann bedieht.