09.04.2020
Kleinwindkraft: Uralte Technik, die bis heute funktioniert
Warum sind Kleinwindkraftwerke kein Massenmarkt? Diese Frage gilt sowohl für Horizontal- wie Vertikal-Rotoren. Dirk Petersen, Rentner und Ex-VW-Konstrukteur, hat eine hehre Idee: mit seiner Kleinwindanlage will er „vor allem für die Umweltverträglichkeit einen positiven Beitrag leisten“. Seine „vertikale Windenergieanlage mit Getriebe“ sei aus recht „einfach herstellbaren Bauteilen“ aufgebaut, erläutert der Ingenieur. Auf einer Zeichnung zu sehen ist vor allem ein Rotor aus mehreren Halbzylinder-Flügeln in einem tragenden Rotorgehäuse und ein Leitelement zur Führung von ein- und ausströmendem Wind: „Das habe ich bereits als Kunststoffmodell aus dem 3D-Drucker auf der letzten Husum-Wind-Messe ausgestellt“ sagt er. Doch trotzdem hat es Petersen bisher nicht geschafft, sein Produkt in den (Massen-)Markt zu bringen.
Das gilt auch für andere Entwickler solch moderner Vertikalachsen-Turbinen. Ein Beispiel: die „Plug and Play“-Maschine von LWS. LWS steht für Low Wind Systems; der deutsche Anbieter prophezeite bei der Vorstellung 2016 gar einen „Startschuss für Revolution der Energieversorgung in Europa“. Heute zeigt die Webseite Bilder ganz anderer Anlagen an senkrechten Masten. Das erklärt Geschäftsführer Hans-Peter Rademacher so: „Die Lizenz für die Produktion unserer bisherigen Anlagen wurde nach Brasilien abgegeben. In Deutschland werden sie nicht mehr eingesetzt.“
Zu fehlenden Erfahrungsberichten hierzulande sagt Rademacher: „In Dänemark laufen die sehr erfolgreich.“ So wie er auch den Markt für die neuen Systeme vor allem in Skandinavien sieht. Pauschale Energieertrags-Aussagen dafür nennt er nicht: „Man kann nicht r mal Pi mal Daumen ansetzen“, sondern müsse mehrere Monate messen, um die tatsächlichen Windverhältnisse zu bestimmen. Vor allem, wenn die kleinen Windmühlen an oder auf Wohn- oder Hochhäusern montiert werden sollen. Der jeweilige Strömungsverlauf am Objekt sei nicht ohne Messung vorherzusagen.
Die notwendige individuelle Auslegung – könnte die ein Grund sein, warum bisher kein Massenmarkt für Kleinwindkraftwerke entstanden ist? Kurt Leonhartsberger sieht das nicht so. Seine Meinung: Viele Anlagen leisten einfach nicht das, was die Herstellerdaten versprechen. Und ohne nachprüfbare Qualität kein Massenmarkt. Leonhartsberger arbeitet im Kompetenzfeld Renewable Energy Systems (KF-RES) der Fachhochschule Technikum Wien. Das betreibt gemeinsam mit dem niederösterreichischen Versorger EVN AG den „Energieforschungspark Lichtenegg“ (EFL). In diesem gut ausgebauten und anerkannten Testfeld werden Kleinwindanlagen auf Funktion geprüft.
„Dafür haben wir Kriterien definiert, die wir als wichtig erachten“ sagt er und zählt zuvorderst auf: „Produziert sie, was der Hersteller verspricht?“ Denn die im Prospekt angegebene Leistungsfähigkeit habe oft nichts mit dem tatsächlichen Ertrag zu tun. „Wir haben Anlagen getestet, die blieben über ein Jahr quasi ohne Stromertrag. Und das ist nicht die Ausnahme“, stellt der Ingenieur mit Master-Abschluss heraus. Das habe natürlich Einfluss auf den Gesamtmarkt. Denn „es gibt auch sehr gute Hersteller, die mit diesem schlechten Ruf zu kämpfen haben“.
Daneben sind wichtige EFL-Qualitäts-Kriterien Punkte wie Sturmfähigkeit – dass also Anlagen nicht bei den ersten Böen Rotorblätter verlieren; eine redundante Bremse; dass sie leise sind. „Der Schall ist wichtig: Die Anlagen werden oft in Wohngebieten aufgestellt. Auch wenn sie zu Testbeginn nicht leise sind, gibt es Möglichkeiten, die Emissionen zu reduzieren.“ Auch dabei könne das Team des EFL mithelfen. Was für Kleinwindkraft wegen der sechsstelligen Kosten aber kaum in Frage komme, sei die Zertifizierung nach der IEC-Norm 61400-2. Die Qualitätsprüfung des EFL sei wesentlich preiswerter: „Wenn wir Anlagen in Lichtenegg etwa drei Monate messen, kostet das maximal tausend Euro.“ Dafür gibt es ein Gütesiegel. Deutsche Hersteller von Vertikal-Achsern hätten sich darum aber bisher nicht ernsthaft beworben.
Um gute Anlagen zu finden, wäre natürlich eine IEC-Zertifizierung optimal, sagt auch Patrick Jüttemann vom herstellerunabhängigen Fachportal www.klein-windkraftanlagen.com. Doch weil die sehr teuer sei, erkennt er bereits einen dokumentierten Anlagentest „im Feld“ als Erkennungsmerkmal für gute Kleinwindkraft an. „Fragen Sie nach Referenzen. Eine Anlage muss auf jeden Fall im Test einen Sturm überstanden haben“; es könnten ja beispielsweise Teile abgerissen werden und Personen gefährden.
Der Herausgeber des jährlichen „Kleinwind-Marktreport“ meint ohnehin, dass mehr solche Anlagen verkauft werden, als allgemein bekannt: „Weil die nicht auffallen, gerade die in der Größe von 1 bis 2 kW werden ja oft im Hobbybereich eingesetzt, fliegen unter dem Radar. Deshalb weiß man auch nicht, wie viele es gibt.“ Aber offensichtlich mehr, als man landläufig meint; an die 20.000, lauten Schätzungen. An diesem fehlenden Wissen wiederum sind laut Jüttemann auch die – wir? – Medien schuld: „Revolutionäre Innovationen, gerade Vertikal-Achser, schaffen es schnell in die Schlagzeilen.“ Tatsächlich aber stellen Drehflügler die Masse der Kleinwind-Anlagen. Die haben üblicherweise weniger als 200 m² Rotorfläche. So klein also auch wieder nicht…
Vertikal-Achser – was ist denn das?
Es gab sie schon zu Beginn unserer Zeitrechnung, die Windmühlen mit vertikaler Rotorachse. Doch bekannter als diese „Chinesischen“ sind die Persischen Windmühlen ab dem 7. Jahrhundert. Deren Bilder hatte Dirk Petersen bei der Entwicklung seiner vertikalen Windenergieanlage im Kopf: Auch bei ihm dreht sich ein mehrflügeliger Rotor um eine Achse, die auf ein Getriebe aufgesetzt ist. So war das bereits in China oder Persien. Nur dass die alten Windmühlen Korn zu Mehl mahlten. Heutige produzieren Strom aus Windkraft. Wenn sie denn produzieren (siehe oben).