08.09.2023
Ein Großdenker im Niemandsland
Eine Buchbesprechung von Götz Warnke
Vaclav Smil (*1943), emeritierter Professor für Umweltwissenschaften an der University of Manitoba in Winnipeg/Kanada hat ein Buch geschrieben mit dem Titel "Wie die Welt wirklich funktioniert. Die fossilen Grundlagen unserer Zivilisation und die Zukunft der Menschheit". Auf dem Umschlag informiert uns der Verlag, dass Smil der Lieblingswissenschaftler von Bill Gates sei. Das ist zweifellos richtig, zumal sich Gates in seinem eigenen Werk „Wie wir die Klimakatastrophe verhindern“ mehrfach auf Smil bezieht. Andererseits wissen wir nicht, was Mr. Gates im Alltag sonst so liest (Aktienanalysen? Kurszettel? Programmierzeilen?), weshalb dieser Hinweis nicht wirklich erhellend ist. Mehr Aussagekraft hat da schon Smils eindrucksvolle Publikationsliste und die Tatsache, dass Smil 2010 von der Fachzeitschrift für Internationale Angelegenheiten „Foreign Policy“ unter die Top 100 Global Thinkers eingereiht wurde. Und auch die über 50 Seiten Anmerkungen in diesem Buch verweisen auf einen Intellektuellen, der deutlich mehr als nur ein Fachgebiet beherrscht. Zudem: da Smil dort nicht nur einfach Literaturangaben liefert, sondern auch Exkurse und Kommentare als Zusatzinformationen einbaut, ist der interessierte Leser gezwungen, auch diesen Buchteil zu durchmessen – durchaus mit Gewinn.
In der Einleitung steckt Smil nicht nur das in sieben Kapitel gegliederte thematische Terrain des Buches ab, er verdeutlicht auch ziemlich klar seine eigene Einstellung: „Ich bin weder Pessimist noch Optimist; ich bin Naturwissenschaftler und bemüht, zu erklären, wie die Welt wirklich funktioniert.“ Denn hier sieht Smil erheblichen Nachholbedarf: Die Ausweitung unseres heutigen Wissens einerseits habe dazu geführt, dass andererseits viele Menschen kein fundiertes Wissen mehr über wichtige, auch für die eigene Existenz entscheidende Zusammenhänge haben. Dafür gebe es verschiedene materielle Gründe, aber auch Ideologien und die sie verbreitenden Ideologen, denen man aus wissenschaftlicher Sicht entgegentreten müsse. Smil nennt hier das „Mantra“ der grünen Lösungen, aber auch die Technik-Optimisten einer dematerialisierten, schönen KI-Zukunft. Im Verlauf des Buches kann man allerdings noch ein Dutzend weiterer „Irrlichter“ kennenlernen: von u.a. seichten Medien, Globalisierungsfans, Impfgegnern und Paleodiätikern (untragbarer Fleischverzehr) bis zu Space X wegen unrealistischer Marsbesiedelungspläne und Frankreichs Präsident Macron wegen seines Geredes vom Amazonas als grüner Lunge – eine Lunge verarbeitet Sauerstoff; der Amazonas soll ihn möglichst emittieren.
Smil kritisiert die entsprechenden Protagonisten meist mit Ironie bis Süffisanz, etwa wenn er zum Technikoptimismus der technologischen Singularität (die KI übernimmt ab 2045 die intellektuelle Führungsrolle) eines Ray Kurzweil schreibt: „Das wäre dann die ultimative Himmelfahrt, und sie würde die Kolonisierung des restlichen Universums zu einem notwendigerweise mühelosen Unterfangen machen.“ (S. 284)
Kapitel 1: Energie verstehen
Smil beginnt seinen Exkurs quasi noch vor Adam und Eva – es hätte auch gereicht, bei den ersten nicht-biologischen Kraftüberträgern bzw. der Nutzung extrasomatischer Energien durch Segel, Wasserräder und Windmühlen zu beginnen. Nach dem geschichtlichen Abriss folgen die modernen Energien, die mittels fossiler Brennstoffe eine Steigerung der Energienutzung über das 1.500fache gegenüber der vorindustriellen Zeit ermöglicht hat, was heute quasi zu 60 rund um die Uhr arbeitenden Energie-„Sklaven“ für jeden Erdenbürger geführt hat. Smil verweist auf die Definition von Energie und die verschiedenen Energien (Gravitation, elastische Energie, Kernenergie etc.), sowie die unterschiedlichen Energiedichten, und warum Erdgas für Düsenflugzeuge nicht geeignet ist. Angesichts der hohen fossilen Energiedichten glaubt Smil nicht, dass eine schnelle Dekarbonisierung möglich ist, insbesondere nicht im Verkehr bei Lastwagen, Schiffen und Langstreckenflügen.
Es ist erstaunlich, dass Smil bei all seiner breiten Fachkenntnisse das Thema „Neue Verkehrslösungen“ offensichtlich nicht adäquat zur Kenntnis nimmt. Denn die Probleme sind praktisch gelöst: für LKWs gibt es Ladesäulen bis 350 kW, und auch ein Wechselakku-System wie bei den Nio-PKW ließe sich installieren. Bei Binnenschiffen sind verschiedenen Wechselakku-Systeme im Aufbau, und bei der Seeschifffahrt wären Windschiffe mit großen Profilsegeln das Mittel der Wahl. Selbst elektrische Transatlantikflüge sind alsbald machbar, allerdings nur im Stil der 1930er Jahre: mit – solarelektrischen – Luftschiffen oder mit schwimmenden Plattformen als Zwischenlandestationen. Where is the problem?
Smil ist durchaus der Ansicht, dass die Elektrifizierung der Technik weiter gehen werde, da sie erhebliche Vorteile biete; allerdings benötige man zur Elektrifizierung ganzer Volkswirtschaften ohne stützende Fossilkraftwerke große, günstige E-Speicher, und die gäbe es nicht.
Das ist zwar derzeit richtig, aber mit den Natrium-Ionen-Akkus, der Sauerstoff-Ionen-Batterie und einigen anderen Speichersystemen sind Techniken am Start, die noch in diesem Jahrzehnt das Problem für ihren Bereich lösen werden. Dass Deutschland keinen Anteil von 45 Prozent erneuerbaren Stroms wie das viel kleinere Dänemark erzielen könne, wie der Atomfreund Smil meint, hat sich 2022 mit 46,2 Prozent als Irrtum erwiesen.
Kapitel 2: Die Nahrungsmittelproduktion verstehen: Wie wir fossile Brennstoffe essen
Nach einem Überblick über die Entwicklung kommt Smil zur Bedeutung fossiler Energie in der modernen Landwirtschaft – nicht nur bei den Bodenbearbeitungs-, Saat-, Dünge-, Pflanzenschutz-, Ernte-, Speicher- und Verarbeitungs-Technik, sondern auch bei der Her- bzw. Bereitstellung der Pflanzennährstoffe Kalium, Phosphor und Stickstoff. Insbesondere letzterer ist in großen Mengen wichtig: Da die meisten Pflanzen, darunter die Massenfrüchte wie Getreide, das in der Luft reichlich vorhandene, aber reaktionsträge N2-Molekül nicht aufspalten können, sind sie auf künstlich hergestellte, Ammoniak(NH3)-basierte Stickstoff-Dünger angewiesen. Menschliche bzw. tierische Exkremente wie chilenischer Guano reichen für den heutigen Intensivanbau nicht mehr. Um die Bedeutung fossiler Brennstoffe für die Ernährung zu demonstrieren, berechnet er die für je ein Kilo Brot, Hühnerfleisch und Tomaten benötigte Energiemenge in Milliliter Diesel um. Dabei ergibt sich: Brot mindestens 210-250 ml/kg, Hühnerfleisch 300-350 ml/kg, Tomaten aus einem beheizten Gewächshaus in Almeria auf einem Markt in Skandinavien mindestens 650 ml/kg – keine guten Nachrichten für Veganer. Auch Meerestiere sind mit im Durchschnitt 600 ml/kg – bei Wildgarnelen und Hummern sogar 10 l/kg (!) – keine Lösung, geschweige denn die in Aquakulturen mit Fischmehl aufgezogenen Raubfische wie der Wolfsbarsch (2,5 l/kg).
Angesichts dessen, dass in den USA der Energieverbrauch des Ernährungssektors rund 20 Prozent beträgt und es kaum Menschen gibt, die zurück aufs Land gehen, um eine personalintensive Landwirtschaft zu betreiben, hält Smil eine Dekarbonisierung der Landwirtschaft in den nächsten Jahrzehnten nicht für möglich.
Allerdings ist positiv zu bewerten, dass er hier – im Gegensatz zum Kapitel 1 – Vorschläge zur Reduktion der Treibhausgase macht: Weniger Fleischkonsum, aber kein Fleischverzicht, da Wiederkäuer zellulosereiche pflanzliche Gewebe wie Stroh ausschließen können; Reduzierung der Stickstoffgaben durch Züchtung von Pflanzen, die gut Stickstoff aufnehmen können; Dekarbonisierung, d.h. Elektrifizierung des landwirtschaftlichen Maschinenparks; Erhöhung der Lebensmittelpreise, um das Wegwerfen von Nahrung zu vermeiden; Züchtung von Öl- und Getreidepflanzen mit der Fähigkeit der Leguminosen (Hülsenfrüchtler), in ihren Wurzeln eine Symbiose mit Knöllchenbakterien einzugehen, die das Stickstoff-Molekül aufspalten und in Nitrat umwandeln, welches den Pflanzen als Stickstoffdünger zur Verfügung steht.
Smil glaubt aber nicht, dass sich diese Maßnahmen kurzfristig umsetzen lassen.
Kapitel 3: Die materielle Welt verstehen: Die vier Säulen der modernen Zivilisation
Unter den vier Säulen versteht Smil vier Stoffgruppen, die für die heutige Menschheit zentral sind
und die jährlich (Angaben für 2019) in riesigen Mengen verbraucht werden: Ammoniak 150 Millionen t, Kunststoffe 370 Millionen t, Stahl 1.800 Millionen t, Zement 4.500 Millionen t. Für Smil ist Ammoniak der wichtigste Stoff dieser Materialien; hier schließt er nahtlos an Kapitel 2 an, wobei er betont, dass Stickstoff heute die Hälfte der Menschheit ernähre. Als weitere zu den o.a. Problemlösungen kommt hier die potentielle „Impfung von Saatgut mit einem Stickstoff fixierenden Bakterium“ zur Sprache (S.118). Kunststoffe hält er wegen ihrer vielfältigen Eigenschaften und insbesondere wegen seines Einsatzes im Medizinbereich für wichtig. Lösungen für das Kunststoffproblem (Umweltverschmutzung) werden allerdings nicht angeboten. Dabei liegt es nahe, schon in der Produktion auf Sortenreinheit zu achten, und bei aus mehreren Kunststoffen bestehenden Produkten auf eine leichte Trennbarkeit zu achten, um ein fast vollständiges Recycling zu ermöglichen, von dem wir heute noch weit entfernt sind.
Die Bedeutung von Stahl als das Grundmaterial der Industriellen Revolution versteht sich von selbst. Wenn schon die Ammoniaksynthese und das Erdölcracking mit jeweils ca. 500°C arbeiten, so sind für die Stahlherstellung deutlich über 1.500°C nötig, was zu entsprechenden CO2-Emissionen führt. Lösungsvorschläge macht Smil keine. Dabei gebietet der Unterschied der beschriebenen 20 Gigajoule/Tonne Stahl aus Eisenerz und der 2 Gigajoule/Tonne aus Stahlschrott geradezu eine Nutzung von letzterem, wobei die Basis auch fossile Infrastrukturen („Ölraffinerien sind im Grunde genommen Wälder aus Stahl“, S. 128) sein können. Auch Zement benötigt hohe Temperaturen (1.450°C), und Smil vergisst nicht zu erwähnen, dass die größten Verbraucher des daraus hergestellten Stahlbetons die großen Staudämme sind (S. 136). Auch hier finden sich kaum Lösungen. Dabei gibt es inzwischen Gebäude aus zementfreiem Beton; Holz- und Lehmbau, Naturstein als Fassaden und Schiefer als Dachdeckung oder integrierte Solardächer können den Klima-Fußabdruck im Baubereich deutlich verringern. Und insbesondere die Verlegung des Güterverkehrs auf die Schiene oder das Binnenschiff kann verhindern, dass Straßen und Brücken vom LKW-Verkehr vorzeitig zerstört werden.
Abschließend kommt Smil noch auf zwei Beispiele aus der Energiewende zu sprechen, die angeblich den materiellen Fußabdruck vergrößern: Windkraftanlagen und E-Autos. Bei der Windkraft gibt es allerdings bereits heute umfangreiche Bestrebungen, den CO2-Fußabdruck zu verringern, z.B. durch Holztürme. Bei der E-Mobilität liegt Smil wieder mal falsch: die neuen LFP- und Natrium-Ionen-Akkus enthalten weder Kobalt noch Nickel, die letzteren nicht einmal Lithium.
Kapitel 4: Die Globalisierung verstehen: Maschinen, Microchips und mehr
Die Beschreibung der Stufen der Globalisierung aus Sicht der sie jeweils ermöglichenden Technik ist umfassend und präzise. Deutlich wird, dass Smil kein absoluter Anhänger der Globalisierung ist: Die zu große Abhängigkeit vieler Länder von Lebensmittelimporten generell und die Abhängigkeit von ausländischen medizinischen Verbrauchsmaterialien spielen da eine Rolle, aber auch Arbeitsplatzverluste sowie groteske Phänomene, dass das Waldland Kanada Toilettenpapier und Zahnstocher aus China importiert (S. 180).
Kapitel 5: Risiken verstehen: Von Viren über Ernährungsweisen zu Magnetstürmen
Das Kapitel führt durch die gesamte Welt der Risikoanalyse und -Berechnung, wo man sehr viel lernen kann: von der sinnvollen Vergleichsgröße „Zahl der Todesfälle pro 100.000 Personen pro Stunde der Exposition“ gegenüber einem Risiko; dass Basejumping 1.000 mal gefährlicher ist als Fallschirmspringen; dass in den 2010er Jahren in den USA 125.000 Menschen durch „normalen“ Schusswaffengebrauch ums Leben kamen, aber nur 170 Personen durch Terrorismus.
Bezüglich unseres Themas Energie direkt ist aber nur Smils Haltung zur Atomkraft (S.196) relevant: Er hält die Angst davor für irrational und schreibt zu einem diesbezüglichen Vergleich zwischen Frankreich und Deutschland: „Die Lebenserwartung der Franzosen (innerhalb der EU nur von der der Spanier übertroffen) ist das beste Indiz dafür, dass diese Atomkraftwerke nicht für vermehrte Krankheiten oder Todesfälle sorgen.“
Hinsichtlich der Irrationalität ist einzuwenden, dass die von Smil auf S. 214 als rational und gründlich gelobten großen Rückversicherer nicht bereit sind, Atomkraftwerks-Unfälle zu versichern. Und der von Smil getätigte Frankreich-Deutschland-Vergleich ist wissenschaftlich methodisch nicht haltbar, da in so großen Gesamtheiten wie Länderpopulationen kleinere Erkrankungskluster leicht übersehen werden können. Korrekt müsste man die Erkrankungen im meist dünn besiedelten Umkreis von ca. 10 km um Atomkraftwerke in Frankreich erheben und mit denen ebenfalls dünne besiedelten Umkreisen dort ohne AKWs vergleichen – für Deutschland desgleichen.
Kapitel 6: Die Umwelt verstehen: Die einzige Biosphäre, die wir haben
Vom planetaren Sauerstoff über Wasserreserven und Nahrung bis zum Treibhauseffekt führt Smil hier seien Exkurs. Er zeigt auf, dass bereits im 19. Jahrhundert grundlegende physikalische Zusammenhänge des Erdklimas verstanden wurden – durch den Franzosen Joseph Fouier, die Amerikanerin Eunice N. Foote, den Briten John Tyndall und den Schweden Svante Arrhenius, der dann auch 1908 sehr präzise berechnete, dass eine Verdoppelung des CO2-Gehalts in der Atmosphäre zu einer Temperaturerhöhung der Erdoberfläche um 4°C führen würde. Smil stellt fest, dass trotz der frühen wissenschaftlichen Erkenntnisse wenig getan wurde und wird, um die Langzeitwirkungen der Treibhausgase zu vermeiden – eher sogar das Gegenteil, wie der weltweite SUV-Boom und die Gebäudestandards z.B. in Kanada zeigen. Smil hält bereits jetzt wegen der Emissionen der Vergangenheit eine Globalerwärmung Richtung 2,3°C für unvermeidbar (S. 266). Viele optimistische Szenarien und der Gedanke eines grundlegenden ökologischen Wandels seien daher reines Wunschdenken.
Smil ist zwar keinesfalls Klimawandel-Leugner, aber ein gewisser fatalistischer Zug ist ihm auch nicht abzusprechen.
Kapitel 7: Die Zukunft verstehen: Zwischen Apokalypse und Singularität
Hier zeigt sich noch einmal seine Ablehnung der Klimabewegung als Apokalyptiker und der Technikoptimisten als Utopisten. Auch wenn der Rezensent gleichfalls eine Abneigung gegen apokalyptische Narrative wie den „großen Austausch“ oder „Bill Gates will die Welt chipen“ hat, so ist Smil mit Blick auf die Klimabewegung zu widersprechen: die grundlegende Physik – siehe die Arbeit von Svante Arrhenius, die Temperatursteigerungen primär in den Polargebieten, Ausdehnung des Wassers bei höheren Temperaturen etc. – werden ja auch von Smil nicht bestritten, und auch wenn er die Kippelemente im Erdklimasystem nicht erwähnt, so dürfte er sie doch nicht verneinen. Wenn es sich dann noch Dominoeffekte ergeben, wodurch ein unaufhaltsamer Temperaturanstieg entsteht, werden wir mit dem steigenden Meeresspiegel die großen Tiefländer und Küsten verlieren. Was das für die Welternährung bedeutet, weiß Smil am besten selbst. Und es ist durchaus menschlich verständlich, dass ein 80jähriger Wissenschaftler diese Entwicklung mit einer anderen Betroffenheit sieht als 20jährige, die die Auswirkungen der Klimakrise noch persönlich erleben werden.
Anhang – Zahlen verstehen: Größenordnungen
Auch wenn diese kurze Einführung in die Mathematik und insbesondere die Zehnerpotenzen an z.T. interessanten Beispielen geschieht, so hat sie doch etwas von „Die Sendung mit der Maus“ für Erwachsene.
Register
Das Register auf den Seiten 377-392 ist der deutlich schwächste Teil des Buches: „Ernährungsweise siehe Nahrungsmittel“ heißt es dort, aber der Eintrag Nahrungsmittel fehlt. Ebenfalls fehlen hier der auf S. 34, 135 und 249 erwähnte Google Ngram Viewer, die mehrfach erwähnten „Medien“, bei „Singularität“ die S. 313 + 215, usw. usw. Liebe Verlagsmitarbeiter:innen – das üben wir aber noch mal!
Fazit
Das Buch ist eine Kulturkritik der heutigen, weit verbreiteten technisch-naturwissenschaftlichen Ignoranz, und zugleich der Versuch ihrer teilweisen Behebung, zumindest was die Grundlagen unser heutigen materiellen Existenz anbelangt. Dazu bedient sich Smil der Mathematik, der Naturwissenschaften, der Technikgeschichte und der Warenkunde – und das alles in einem Parforceritt, der dem Leser viel Aufmerksamkeit abverlangt.
Bei aller wissenschaftlicher Fundierung ist das Buch nicht fehlerfrei, wobei man manchmal nicht weiß, ob diese dem Autor oder dem Übersetzer zuzuschreiben sind: S. 83 unten müsste es Diesel statt Rohöl heißen; S. 165 – die Boeing 727 ist als Mittelstrecken-Jet kein Nachfolger für den Langstrecken-Jet Boeing 707; und zwischen 800 ppb und 1900 ppb liegen nicht drei Zehnerpotenzen, wie auf S. 248 vermerkt. Aber das sind Kleinigkeiten, die den grundlegenden Sinn nicht verfälschen.
Schwerer wiegt, dass Smil dem Teil „und die Zukunft der Menschheit“ seines Buchtitels nicht genügend gerecht wird. Gerne hätte man von diesem extrem belesenen Mann mehr Lösungsansätze gesehen – nicht im Sinne von Vorhersagen („so wird es werden“), sondern als Aufweis von Optionen („könnte Teil der Lösung sein“). Doch Smil bleibt hier bedauerlicher und unerklärlicher Weise sehr zurückhaltend, wie er überhaupt bestimmte Entwicklungen wie die Elektromobilität kaum zur Kenntnis nimmt. Smil bleibt ein Großdenker im Niemandsland zwischen dem fossilen Gestern und dem regenerativen Morgen, zwischen Pessimismus und Optimismus.
Insofern ist das Buch zwar kritisierenswert, aber auch lesenswert. Wer in das Thema Energie- und Ressourcenwende einsteigt, findet hier eine Fülle von Material. Besonders zu empfehlen ist es für solche Fotovoltaik-Fans, die ernsthaft meinen, mit der – zweifellos richtigen und notwendigen – Stromwende sei die Energiewende so gut wie geschafft.
Ungeeignet ist das Werk hingegen für Menschen mit einer TikTok-kurzen Aufmerksamkeitsspanne, für Gamer und Schmink-Influencerinnen; für die gilt: „Wir müssen leider draußen bleiben!“
Smil, Vaclav
Wie die Welt wirklich funktioniert
Die fossilen Grundlagen unserer
Zivilisation und die Zukunft der Menschheit
Verlag C.H.BECK, München 2023
Hardcover, 392 Seiten, Preis: 28,--€
ISBN 978-3-406-80055-9