07.10.2022
Erneuerbar dezentral: Ein "Dorf" ganz vorn beim intelligenten Netzbetrieb
Ein Bericht von Heinz Wraneschitz
Sogar an der Technischen Universität München (TUM) wissen einige Herren inzwischen, wo Unterfarrnbach liegt. Nach seiner eigenen Aussage war selbst Professor Rolf Witzmann in den vergangenen acht Jahren viele Male in Unterfarrnbach. Dabei leben in dem Ortsteil im Norden Fürths gerade einmal 5.961 Menschen, also 4,5 Prozent der Bevölkerung der kleinen Großstadt in Mittelfranken.
Warum der Dr.-Ing., der seit 2004 die Professur für Elektrische Energieversorgungsnetze an der TUM innehat, Unterfarrnbach möglicherweise besser kennt als der Fürther Oberbürgermeister? Das liegt an den Projekten „Verteilnetz 2020“ und „Smart Grid Cluster“. Das „Verteilnetz 2020“ startete 2014 mit dem Ziel, die Ökostromaufnahmefähigkeit von Verteilnetzen zu verbessern und gleichzeitig die bisherige Netzqualität sicherzustellen. Dabei lag der Schwerpunkt darauf, die Spannung im Ortsnetz durch Blindleistung zu regeln und möglichst konstant zu halten.
Im daran direkt anschließenden Projekt „Smart Grid Cluster“ ging es ab 2019 darum, wie Strom aus Erneuerbaren Energien weitere „Systemdienstleistungen“ für die elektrische Energieversorgung übernehmen kann: Die Leistungselektronik der Ökokraftwerke muss das Netz so stabil halten, wie es heute die rotierenden Generatoren von Gas-, Kohle- oder Kernkraftwerken tun. Die Steuerung und Überwachung wiederum muss mit Hilfe einer sicheren Kommunikation passieren, die den Vorgaben des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) entspricht. Das BSI verlangt vor allem, dass die Daten so verschlüsselt werden, damit sie nicht manipuliert werden können. Denn übertragen werden die Informationen über das Stromnetz selber – und das ja oft sogar als Freileitung in der Natur herum, ist also „angreifbar“ im Wortsinn.
Das Ortsnetz kann viel mehr Strom vertragen. Aber …
Dieser Tage berichtete das TUM-Team um Prof. Witzmann und dessen am Projekt beteiligten Partner über die gewonnenen Erkenntnisse. Zwei wesentliche Ergebnisse gleich vorweg: Das Orteilnetz könnte selbst die doppelte Menge an Solarstromanlagen ohne Ausbau verkraften, ohne die Stabilität zu verlieren. Und die so genannte Blindleistung, die das Netz stabilisiert, könnte durch technisch verfügbare Einstellungen am Einspeisepunkt des Umspannwerks in Fürth-Vach nahezu wieder auf Null heruntergeregelt werden. Denn sonst müsste der dort vorhandene Trafo auch diesen Stromanteil hochtransformieren – was eine höhere Leistung erfordern würde.
Warum ist das so wichtig? „Weil in die Netze schon im Jahr 2030 65 Prozent Ökostrom fließen sollen“, so das Ziel der Bundesregierung laut Prof. Witzmann. Und „dafür braucht der Netzbetreiber viel mehr Informationen, was im Verteilnetz passiert“, also auf den Hausdächern oder am Biogasspeicher, ergänzt TUM-Wissenschaftler Philipp Gamper. In Unterfarrnbach habe das Netz sogar mit der doppelten Menge an Solarstrom funktioniert, so Gamper, wenn auch nur per Simulation.
Sein Kollege Antonius v. Perger erläuterte, was passiert, wenn wie geplant bis 2038 auch alle (wie Atomkraft zentralen) Kohlekraftwerke abgeschaltet sind: Dann muss das überall funktionieren, was in Unterfarrnbach nun jahrelang erprobt wurde. Nämlich: Die dezentrale Bereitstellung von Netzdienstleistungen.
„Stabile regenerative Netze brauchen Kommunikation und Intelligenz“ sagt denn auch Prof. Norbert Graß vom Leistungselektronik-Institut ELSYS der Technischen Hochschule Nürnberg, kurz Ohm. Doch wenn Kommunikation und Intelligenz gleichermaßen funktionieren, dann könne „CO2-freie Stromerzeugung präzise und nahezu verzögerungsfrei die Spannung regeln“, also wesentlich schneller als die bisher dafür zuständigen rotierenden Generatoren von Großkraftwerken. Zwar sieht das Schaltbild, das Graß vom Netz in Unterfarrnbach zeigt, sehr kompliziert aus. Doch tatsächlich sind es im Wesentlichen die Mess- und Regelsysteme, die wirklich dazukommen zu den vorhandenen Ökostromerzeugern. Denn zum Beispiel in den Solar-Wechselrichtern müsse fast nur die Software anpassen, damit mit ihnen die Blindleistung geregelt werden könne, so der Ohm-Professor: „In den Geräten ist diese Zusatzfunktion bereits vorhanden.“
In Zukunft werde die Leistungselektronik in allen Bereichen eine wichtige Rolle haben – ob in der Stromerzeugung, dem Verbrauch, der Mobilität, davon ist Graß überzeugt. Weil außerdem Speicher in intelligenten kleinen Vor-Ort-Netzen – Smart Grids - für einen gleichmäßigeren Leistungsfluss sorgen, können Leitungen besser ausgenutzt, Spitzenleistungen bei Erzeugung und Verbrauch genauso vermieden werden wie Leitungsverluste. Und weil diese dezentralen Smart Grids wiederum vernetzt seien, lasse sich Leitungsbau vermeiden. Ob im Verteilnetz oder im Höchstspannungs-Übertragungsnetz. Seine Firma GPE habe zudem noch innovativere Wechselrichter-Baugruppen entwickelt, die zum Beispiel in Schnellladestationen für E-Autos eingesetzt werden, so Graß.
Für Datenerfassung und Leittechnik sowie Kommunikationsinfrastruktur waren in den Projekten VIVAVIS und Power Plus Communications (PPC) zuständig. Mittels „Breitbandpowerline-Kommunikation“ (BPL) von PPC werden die Daten mit Geschwindigkeiten einiger Mbit/s durch die Niederspannungskabel und -Freileitungen geschickt. BSI-konform verschlüsselt in „Smart Meter Gateways“ von PPC und an dann die "Steuerboxen" von Vivavis übermittelt. Die Erzeugungs- und Messsysteme sind dezentral aufgebaut, zum Beispiel auf verschiedenen Bauernhöfen. Doch die Einzelanlagen arbeiten in einem „Virtuellen Kraftwerk“ zusammen, von dem sie gesteuert werden können. Wohl mit Erfolg. Denn wie es hieß, fehle jetzt nur noch die Standardisierung dieser Komponenten, damit solche intelligenten kleinen Netze überall verwirklicht werden könnten.
Unterfarrnbach dezentral
Unterfarrnbach war einst gewählt worden, weil schon damals eine Vielzahl dezentraler erneuerbarer Stromerzeuger ins Ortsteilnetz mit seinen zwei Trafostationen an den Enden Ökostrom eingespeist haben. Weil die Fürther Stadtwerke (infra Fürth) sich ebenfalls zu dem Projekt bekannte, mitarbeitete und ihr Netz zur Verfügung stellte. Und weil zu erwarten war, dass im dörflichen Stadtteil weitere Photovoltaik- oder Biogasanlagen dazukommen würden. Was dann auch passierte. So wurden zuletzt elf größere PV-Anlagen mit zusammen 580 kVA Wechselrichterleistung im Smart Grid versammelt.
Zum Beispiel die drei am Hof von Bauer Friedrich Rotter. Der hatte ohnehin schon Forschungserfahrung: die einstige Fürther Wechselrichter-Sparte von Siemens testete an seiner 2009 installierten 29-Kilowatt-(kWp-)Photovoltaik-Anlage neue Solarumrichter. „Irgendwann stand jemand von der TUM vor der Tür“, erinnert sich Rotter. Seine Bedingung, um den Forschenden das Installieren von Mess- und Regelungstechnik auf den – inzwischen auf 129 kWp angewachsenen – PV-Anlagen zu gestatten: „Es darf keine Ertragseinbußen geben.“ Dessen Hof war im Übrigen für die Projektpartner so etwas wie der zentrale Anlaufpunkt: eine große Speicherbatterie mit 30 kWh, zusammengestellt aus ausrangierten Lithium-Autoakkus ist zum Beispiel hier platziert. Und auch die Abschlusskonferenz fand hier statt. Dabei waren auch die vielen anderen Hausbesitzer und Landwirte aus Unterfarrnbach, die ebenfalls ihre Erzeugungsanlagen den Wissenschaftsteam zur Verfügung gestellt haben.
Energieeinbußen scheint es weder bei Rotter noch bei den anderen Anlagenbetreibern gegeben zu haben. Und so strahlten am Ende der Präsentation Unterfarrnbacher und Gäste gemeinsam um die Wette.