05.11.2021
„Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit gehören zusammen“
Ein Bericht über eine Pressekonferenz mit Forderungen an die kommenden Ampelkoalitionäre von Heinz Wraneschitz
Was haben Inkota, das „Netzwerk für eine Welt ohne Hunger und Armut“, der Deutsche Kulturrat, der „Spitzenverband der Bundeskulturverbände“, VENROB, der „Verbund Entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisationen Brandenburgs e.V.“ und die NaturFreunde Deutschlands e.V., ein „sozial-ökologisch und gesellschaftspolitisch aktiver Verein“ gemeinsam? Sie sind alle Mitglieder in der Klima-Allianz Deutschland, dem „breiten gesellschaftliche Bündnis für den Klimaschutz“ - neben etwa 140 anderen Organisationen.
Dass die Verbände aus den Bereichen Umwelt, Kirche, Entwicklung, Bildung, Kultur, Gesundheit, Verbraucherschutz, Jugend, Soziales und Gewerkschaften insgesamt etwa 27 Millionen Menschen und damit jede*n Dritte*n in Deutschland vertreten, verschafft diesem Bündnis nicht nur auf den ersten Blick viel Deutungsmacht. Als die Klima-Allianz am Mittwoch ihre „13 Forderungen für die Koalitionsverhandlungen: Aufbruch in eine klimaneutrale und gerechte Zukunft“ vorstellten, war die Medienpräsenz jedenfalls recht beachtlich.
Doch tatsächlich lesen sich viele der Forderungen und die dazugehörige Presseinfo fast so wie das Geschreibsel von SPD, Grüne und FDP in ihrem „Ergebnis der Sondierungen“: politisch-allerweltlich, schlagwortlich, unverbindlich. Beispiel gefällig? „Wir erwarten insbesondere die Verknüpfung von Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit. Da muss mehr passieren!” erklärte Christiane Averbeck, die Geschäftsführerin der Klima-Allianz.
Gottseidank wird Averbeck in der Pressekonferenz wesentlich klarer in ihren Aussagen: „Wir sind besonders enttäuscht, dass die Parteien keine Strategie haben, wie Deutschland auf das 1,5-Grad-Ziel kommen kann.“ Lutz Weischer von der Mitgliedsorganisation Germanwatch ergänzt: „Wegen Klimaschutz und Gerechtigkeit wurden gerade SPD und Grüne gewählt. Wir vermissen den Plan für eine echte Verkehrswende. Denn bislang stehen Klimaziele im Verkehrswegeplan nicht drin.“ Wie genau das „attraktive ÖPNV-System auch am Land und auch für ärmere Menschen“ und „der Ausbau auch des europäischen Bahnverkehrs“ aussehen soll, sagt er zwar nicht, nur dass „massive Investitionen sichergestellt werden müssen“. Aber Weischer macht eine klare Ansage, wie das alles bezahlt werden soll: „Gegenfinanzierung könnte durch das Geld passieren, das bislang für neue Autobahnen und Bundesstraßen gedacht ist.“
Der Paritätische Gesamtverband, ebenfalls Allianz-Mitglied, schließt den Bogen zwischen Klimaschutz und dem Aus- und Einkommen. „Soziale Aspekte müssen mit der Energiewende einhergehen. Wir sind der festen Überzeugung, es gibt kein Alternative zu konsequentem Klimaschutz“, stellt Ulrich Schneider fest und: „Soziales und das Klima werden zu häufig gegeneinander ausgespielt.“ Mit einem Ökobonus müssten die Einnahmen aus der „CO2-Bepreisung, ein wichtiges Instrument wieder an die Haushalte ausgeschüttet werden, mit einer Pauschale.“ Denn dann bekämen Menschen mit niedrigerem Einkommen verhältnismäßig mehr. „Eine gerechte Umverteilung“ ist das für Schneider.
Auch der BDKJ, der Bund der katholischen Jugend engagiert sich in der Klima-Allianz. Denn „beim Klimaschutz geht um nichts Geringeres als um die Lebensgrundlagen der Menschen“, wie das Gregor Podschun ausdrückt und den Blick weitet: „Das 1,5 Grad-Ziel bedeutet internationale Gerechtigkeit.“ Deutschland müsse gemeinsam mit den anderen reichen Ländern „die Klimafolgen finanzieren. Denn der menschgemachte Klimawandel ist der wichtigste Treiber für den Hunger in der Welt.“
Carolin Schenuit, für das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V. FÖS dabei, geht besonders mit der Finanzpolitik vergangener Regierungen ins Gericht: „Die muss die Ampel komplett in Richtung Klimaschutz ändern!“ Dafür bräuchten nur klimaschädliche Subventionen gestrichen werden – 65 Mrd. Euro hat ja das Umweltbundesamt letzte Woche benannt, 40 Mrd. sieht Schenuit für den Klimaschutz als „nötig und möglich“ an. Das Geld werde vor allem für die Infrastruktur gebraucht, „beim Netzausbau vor Ort ist viel zu tun. Auch in Gebäude im Bereich der Bildung herrscht Investitionsstau.“ Doch müsse den Menschen die Angst genommen werden, sie könnten sich den Flug in den Urlaub nicht mehr leisten, wenn für Kerosin Mehrwert- und Energiesteuer erhoben würden: „Das fällt kaum ins Gewicht.“
Aber ob Ulrich Schneider wirklich selbst daran glaubt, wenn er erklärt: „Die Subventionen müssen abgebaut werden. Und den Verhandlern muss klar werden, dass in der Zivilgesellschaft eine breite Gruppe damit nicht einverstanden ist“? Bislang jedenfalls bringt jene Zivilgesellschaft den Hintern nicht hoch, um diese Forderung auch auf die Straße zu tragen.
Der Forderungen gibt es viele
Ohnehin sind die Klima-Allianz-Mitglieder nicht die einzigen, die Forderungen an die Ampelmacher in Berlin haben. Der Bundesverband energieeffiziente Gebäudehülle fordert ein eigenes Bauministerium – hatten wir das nicht schon immer? Von diesem Verband aber hören viele sicherlich das erste Mal. Dabei ist dies der finanzstarke Lobbyverband vor allem der Kunststoff-Dämmstoffhersteller.
„Intelligente Energiepreise“ fordert die Deneff, die deutsche Unternehmerinitiative Energieeffizienz und hat dafür sogar eine eigene Studie erstellen lassen.
Der BUND Naturschutz Bayern fordert, der „Umbau der Landwirtschaft und Tierwohl muss bei Koalitionsverhandlungen berücksichtigt werden“.
Und dass der Bundesverband Erneuerbare Energie e.V. (BEE), dem auch die DGS als Fördermitglied angehört, für die „Koalitionsverhandlungen die Konkretisierung bei Flächenbereitstellung und Anpassung regulatorischer Vorgaben für Erneuerbare Energien“ nachschiebt, war zu erwarten. Das „100-Tage-Sofortprogramm“ stand ja bereits länger fest.
Die Aktion Arbeitsunrecht fordert, die Minijobs dürften nicht ausgeweitet werden. Oh sorry, das hat nichts mit Klimaschutz, sondern nur mit sozialer Gerechtigkeit zu tun. Aber passend dazu hat Noch-Bundesenergieminister Peter Altmaier mit den Vereinigten Arabischen Emiraten eine Absichtserklärung für eine „Energiepartnerschaft mit neuer Wasserstoff-Tarkforce“ unterschrieben.
Und da gibt es noch den allgegenwärtigen Wasserstoff…
Achja, Wasserstoff, da war doch auch noch was bei der Klimaallianz-Pressekonferenz. Angesprochen, ob sie wirklich wolle, dass Wasserstoff aus Mittelalterstaaten nach Deutschland importiert und damit die Energieabhängigkeit von Öl und Gas durch eine solche mit H2 ersetzt wird, erklärte Christiane Averbeck klipp und klar: „Ja, wir benötigen natürlich Grünen Wasserstoffimport. Aber wir haben uns im Nationalen Wasserstoffrat auf Nachhaltigkeitskriterien geeinigt. Das Thema Menschenrechte steht da drin. Mit Saudi-Arabien ist es eine Herausforderung.“ Zur Klarstellung: Averbeck ist Mitglied in diesem Rat. Carolin Schenuit (FÖS) antwortete ausweichend: „Die Bestandslieferanten müssen eine Transformationsperspektive bekommen. Das schließt aber eine weitere Diversifizierung nicht aus.“ Und selbst Lutz Weischer (Germanwatch) lehnt die immer weiter gehenden Forderungen insbesondere der Chemie- und Stahlindustrie nach Wasserstoffimporten nicht grundsätzlich ab, sondern will diese „Energiehandelsbeziehungen sozial und ökologisch formulieren“. Ob das alles den Forderungen nach „Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit“ entspricht? Das dürften wohl die Menschen vor allem in den betroffenen Ländern nicht unbedingt so empfinden.