05.04.2019
Wie die Wärmewende laufen lernt
Bivalente Heizungsanlagen mit Gasbrennwertkessel und Solarthermie seien nach wie vor die kostengünstigste Lösung, lautet eine These in der Debatte um die Wärmewende. Andere Positionen hingegen sehen in einer fossil-freien Kombination von PV und Solarthermie, zusammen mit einem großen thermischen Speicher der Bauart Jenni, die wirtschaftlichere Anwendung. Wie dem auch sei, im Folgenden soll nicht für die eine oder andere Kombination gesprochen werden. Vielmehr geht es um einige methodische Überlegungen und Thesen, die diese Debatte zu ersprießlichen Erkenntnissen führen könnte. Es sollen weder Gebäudeaspekte thematisiert werden und es soll auch nicht die Schädlichkeit von Erdgas besprochen werden. Das ist an anderer Stelle bereits ausführlich geschehen. Blicken wir als erstes zurück ins Jahr 2000 zum Start des EEG. Ein zentraler Aspekt des erfolgreichen Gesetzes bestand darin, die hohen Kosten einer in kleiner Stückzahl auf den Markt gebrachten Technologie auszugleichen. Diesen Zweck hat das EEG erfüllt, man sprach recht bald von einer beeindruckenden Lernkurve. Heute sind PV-Anlagen billig, der Effekt einer Economy of Scale ist längst erreicht.
Dieser Anschub hat im Wärmebereich nie existiert. Wir wollen hier nicht darüber spekulieren, wie es dazu kam, dass die Rot-Grüne Bundesregierung unter Kanzler Schröder ohne Not in Neuwahlen gesteuert wurde und nach deren Scheitern einen vergleichbaren Mechanismus für den Wärmebereich nicht bis zur gesetzten Reife bringen konnte. Bis heute leiden sämtliche fossil-freien Wärmeanlagen bzw. deren Komponenten unter dem Problem hoher Stückkosten. Während Gas-Brennwertkessel in hoher Auflage für den Weltmarkt von den Bändern laufen, bleiben z.B. Solarkollektoren (573.000 m2 in 2018) und Wärmepumpen (+ 84.000 in 2018) Nischenprodukte mit hohen spezifischen Herstellungskosten. Die gesamte Förderpolitik der nachfolgenden Merkel-Koalitionen hatte nie das Ziel verfolgt, diese Nachteile einer fehlenden Economy of Scale auszugleichen. Die Förderpolitik war nie mehr als Schmuck am Nachthemd. Viele in der Energiewendegemeinde hingegen zerfloss bei jeder kleinen Erhöhung von Bafa oder KfW in devoten Ergebenheitsbekundungen ohne zu realisieren, wie sehr sie von der Regierung an Nase herum geführt wurde.
Die Schlussfolgerung kann nur darin bestehen, bei Forderungen um rechtliche Rahmenbedingungen klar definierte, wirtschaftliche Ziele als Ausgangspunkt und Maßstab zugrunde zu legen. Es sollte Schluss sein mit den Glaubenskriegen um Strom und Solarthermie, um Wärmepumpe ja oder nein und um exergetisch wertvoller oder nicht. Das hat weder mit dem Geldbeutel der Hauseigner noch mit deren Kaufgründen zu tun. Oder hat schon jemand einen Hausbesitzer getroffen, der dem Installateur seines Vertrauens zugerufen hat "ich will aber die exergetisch wertvollste Anlagentechnik haben"? Wie sagte Bill Clinton so schön, it's the economy, stupid. In diesen vielfach fruchtlosen Diskussionen ist zum Glück die technologische Entwicklung nicht auf der Strecke geblieben. Fossil-freie Wärmetechnik hat inzwischen ihre eigene beachtliche Lernkurve zu verzeichnen. Dass sie noch immer nicht der Renner auf dem Markt der Heizungstechnik sind, muss also andere Gründe haben. Auch Imageprobleme und das permanente Schlechtreden der fossil-freien Wärmetechnik durch die Konkurrenz der Verbrenner bietet keine zufriedenstellende Erklärung.
Wir müssen uns also wohl oder übel nochmals ans eigene Portepee fassen. In den DGS-News der vergangenen Woche hatten wir geschrieben, dass die Befürworter solarer Wärmelösungen "den Markt wohl mehr oder weniger monolithisch wahrgenommen" hätten. Die einfache Frage, wer die Zielgruppen unterschiedlicher Lösungen sein sollten, welche Anlagen zu welchem Kunden und seinem Geldbeutel passen könnten, wurde in der Regel nicht gestellt. Dabei zeigt schon eine grobe Differenzierung, welch große Unterschiede es gibt. Einfamilienhaus und Mehrfamilienhäuser, Neubau oder Bestandsgebäude - sie alle stellen unterschiedliche Anforderungen und verdienen jeweils angepasste Lösungen. Bei den Mehrfamilienhäusern, ein Bereich in dem fossil-freie Wärmelösungen praktisch noch gar nicht Fuß gefasst haben, gibt es die ganze Bandbreite von den Amateur-Vermietern bis zu den großen Gesellschaften der kommerziellen Wohnungswirtschaft. Gerade hier kann doch nicht eine einzige Anlagen-Philosophie die Lösung aller Anforderungen sein.
Betrachten wir dies auf der Ebene der Geschäftsmodelle, denen die jeweiligen Investitionen dienlich sein sollten. Natürlich ist eine Heizungsanlage im Einfamilienhaus erst einmal ein reines Konsumprodukt, ähnlich wie ein Auto, eine Küchenausstattung oder ein Computer. Mit dem Begriff Geschäftsmodell scheint dies erst einmal wenig zusammen zu passen. Ersetzt man den Begriff aber mit Lebens- oder Familienplanung, dann erschließt sich, wie unterschiedlich die Anforderungen beim Thema Heizung und Wärme ausfallen können. Die finanziellen Möglichkeiten im Spektrum der EFH-Besitzer sind breit gefächert und verlangen ein differenziertes Angebot. Welche Rolle spielt z.B. die Altersversorgung und wie bewertet man ein hypothekenfreies Gebäude samt regenerativer Heizung im Alter, das mit Null-Grenzkosten betrieben werden kann? Das hat etwas mit Marketing zu tun, ein Begriff, der in der Diskussion um eine Wärmewende recht selten vorkommt. Betrachten wir die wirklichen Geschäftsmodelle der Wohnungswirtschaft, müssen wir uns eingestehen, dass der Aspekt einer "billigen Heizung" nicht per se ein wirtschaftliches Kriterium darstellt. Natürlich ist es noch gang und gäbe, dass die Heizkosten als durchlaufende Posten angesehen werden, mit denen sich keine Hausverwaltung in der Vergangenheit befasst hatte. Aber die Zeiten ändern sich.
Gerade da, wo der Anlagedruck das Kapital in die Immobilienbranche drängt und sich dort hohe Renditen erwartet, gehen die Uhren längst anders. Ist eine fossil-freie Wärmelösung für Bestandsgebäude wie Neubauten ein Modell zum Geld verdienen und den fossil-basierten Anlagen überlegen? Die ersten Geschäftsmodelle mit Flat-Miete sind auf dem Markt und funktionieren. Auch darauf hatten wir vergangene Woche in dem Beitrag "Zukunftsoptionen regenerativer Wärme" hingewiesen. Aber auch hier werden Differenzierung und Innovationen von Nöten sein. Wir sollten also die einseitige Konzentration auf energetische Bilanzen unterschiedlicher Heizungssysteme bei Seite lassen und uns auf die Chancen konzentrieren, welche in der Ökonomie der Null-Grenzkosten liegen. Diese Betrachtungsweise mag neu sein und manchem Ingenieur schwerfallen. Man muss den Kapitalismus nicht mögen um zu verstehen, ohne ein Marketing, dass die aktuellen Bedürfnisse der Investoren - vom EFH bis zur Wohnmaschine - trifft, wird es keine Wärmewende geben. An der Technik, das sei noch einmal betont, liegt es inzwischen nicht, die ist mehrheitlich wirklich konkurrenzfähig. Auch dazu gab es vergangene Woche einige Anregungen und Bemerkungen.
Bliebe ein ernst letzter ernstzunehmender Aspekt, der es in sich hat. Wie soll man aus dem Keller heraus kommen in dem die fossil-freie Wärme steckt? In diesem Fall können wir keinen Bezug nehmen auf das EEG und keine staatliche Hilfestellung erwarten. Oder anders ausgedrückt, wie können die guten CO2 und methanfreien Anlagen einen kräftigen Anschub finden, der sie bekannt und populär macht? In Deutschland gibt es eine Vielzahl von Wohnungsgenossenschaften und über 800 Energiegenossenschaften. Diese wären prädestiniert für fossil-freie Lösungen und für Modelle mit Flat-Mieten. Man muss sie für diesen neuen Weg gewinnen. Das ist, um Missverständnissen vorzubeugen, keine Sektorenkopplung, sondern Bündnispolitik. Erneuerbare im Verbund brauchen Bündnispartner. Erst dann kann ihr Entwicklungsprozess laufen und einen disruptiven Charakter annehmen. Und auch die beklemmende Situation im Strombereich auflösen helfen.
Klaus Oberzig