01.07.2022
Machbare Utopie: Regenerative Ganzjahrensversorgung ist möglich
Ein Bericht von Heinz Wraneschitz über Energiekonferenz in Roth bei Nürnberg
Fünf Studierende der Technischen Hochschule Nürnberg, auch „Ohm“ genannt, hatten detailliert ausgearbeitet: Die Kreisstadt Roth bei Nürnberg kann ganzjährig mit Regenerativer Energie versorgt werden.
Für sein Energietechnikseminar hatte Ohm-Professor Matthias Popp die Stadtwerke der 25.000-Einwohner-Kommune in Mittelfranken als Partner gewonnen. Und Werkleiter Gerhard Brunner zeigte sich von der Präsentation der Energieutopie sichtlich beeindruckt: „Grundsätzlich würde ich ein solches Konzept gerne umsetzen.“
Die fünf Maschinenbau-Sechstsemester hatten gemeinsam die Frage zu beantworten: Welcher Mix der Energieträger Wind und Sonne ermöglicht für Strom und Wärme eine regenerative Selbstversorgung der Stadt Roth zu niedrigsten Energiegestehungskosten?
Den Energieausgleich soll dabei ein so genannter Stülpmembranspeicher (*) bewerkstelligen. Der dient außerdem dazu, Überschussstrom zu vermarkten, um so die Energiebezugskosten für die Verbraucher zu vermindern. Doch zunächst stellten sich die Studierenden Fragen um die zu gewinnende Ökoenergie.
Die notwendige thermische Speicherkapazität um den halben Rother Wärmebedarf für Heizung und Warmwasser zu decken, hat Seminarist Markus Dörfler mit knapp zwei Gigawattstunden (GWh) errechnet. Damit könne der Speicher den auf Grund der langjährigen Wetterdaten ermittelten notwendigen Zeitraum von 6,1 Tagen überbrücken, „etwas mehr ist aber empfehlenswert“. Für die zur Erzeugung notwendigen 650.000 m² Sonnenkollektorfläche – das entspricht 13 Prozent der Gemeindefläche – reichen allerdings die Dächer der Kommune nicht aus; es seien zusätzliche Freiflächen notwendig, zum Beispiel auf der Oberfläche des Speichers, war zu erfahren. Selbst bei einer komplett neuen Nahwärmeversorgung für den Ort läge der Wärmegestehungspreis laut Dörfler bei gerade mal 6,97 Cent pro Kilowattstunde (ct/kWh).
Das liegt daran, dass die Kosten für den Speicher selbst komplett in die Stromerzeugung eingerechnet wurden. 80 Millionen Euro wurden „konservativ ermittelt“ für einen Stülpmembranspeicher von 422 Metern Zylinder-Höhe und einem Durchmesser von 103 Metern (siehe unten). Der reicht aus, um den Gesamtstrombedarf in der Stadt Roth zu decken. Dieser lag 2021 bei 84,5 GWh, das entspricht einem durchschnittlich durchschnittlichen Leistungswert von 9,2 MW. Die Daten stellten die Stadtwerke bereit.
Stromkosten und Börsenpreise
Alexander Nahlik und Patrick Pickelmann haben sich speziell mit den Stromkosten und der Speicherbewirtschaftung – also dem Stromhandel – beschäftigt. Und ihre Ergebnisse zeigten klipp und klar: „Das System würde sich lohnen. Speziell bei den steigenden Strompreisen seit Mitte 2022.“ Denn gerade mal 6,2 ct/kWh kostet der aus dem Speicher entnommene Strom. Und für Spitzenstrom wurden in den letzten Monaten im Börsenhandel bis zu 30 ct/kWh bezahlt.
Die Erzeugung des Ökostroms selbst sollte laut Timo Madre und Jonai Lubik aus einem Mix von Wind- (Leistung: 37 MW) und Photovoltaik-(PV-)Kraftwerken (Leistung: 10 MW) stammen, wozu die Windmühlen 92 Prozent, die PV-Anlagen lediglich 8 Prozent der Energie beisteuern. Der Anteil der Wasserkraft von 0,7 Prozent der Gesamtstrommenge aus fünf bestehenden Kleinwerken lasse sich aus örtlichen Gegebenheiten nicht ausbauen, so die Erkenntnis.
Aber es gibt ein Problem: Im Rother Stadtgebiet liegen keine Windkraftstandorte mit ausreichendem Potenzial. Und Stadtwerkeleiter Brunner sieht auch kaum Chancen, Kommunen im Landkreis dafür zu gewinnen, den Rothern die Aufstellung von Windmühlen zu ermöglichen. Doch ist ihm durch die Konferenz offenbar noch klarer geworden: „Unabhängig davon, wie das konkret umzusetzen ist: wenn man Energiewende und Klimaneutralität haben will, wird es zum Bau von neuen Anlagen kommen, auch mal in meiner Nachbarschaft. Ebenso braucht es Versorgungsstrukturen dazwischen. Das führt zu Konflikten.“ Er gab sich dennoch kämpferisch: „Wenn wir eine Versorgung haben wollen, die nicht von Despoten abhängig sind, müssen wir die Energie selbst machen. Das wird Veränderungen auch der Landschaft bedeuten.“
Auch, dass die eigene Versorgung umsonst zu haben sei, „das funktioniert so nicht“, sagte Gerhard Brunner - und weitere immense Preissteigerungen für Strom und Wärme bereits jetzt voraus.
Cornelia Kerausch, als Vertreterin eines Baumaschinenherstellers im Publikum, bestätigte auf jeden Fall, dass Stülpmembranspeicher grundsätzlich zu bauen seien. Weshalb Prof. Popp darauf setzt, möglichst bald „einen kleineren in einem Neubaugebiet realisieren zu können“. Und er hofft wohl auch darauf, dass die über 100 Gäste „etwas mitgenommen haben – und Sie machen etwas draus. Die Studierenden jedenfalls haben sich nach ihren Möglichkeiten ins Zeug gelegt. Und sie haben alles mit Kosten und Nutzen belegt.“
Einen Lohn gab`s für die Fünf übrigens auch: Nach der zweistündigen Energiekonferenz
bedankte sich Stadtwerkeleiter Gerhard Brunner bei ihnen mit je einer Eintrittskarte zum Rother Erlebnisbad.
Der Stülpmembranspeicher
(*) Stülpmembranspeicher: Dieser im Erdreich ausgebildete Speicher für Wärme und Strom macht es insbesondere möglich, Sommerüberschüsse aus Photovoltaik- und Solarthermieanlagen in den sonnenarmen Winter zu übertragen. Prof. Popp besitzt das Patent auf dieses System, das bisher nur im Modell existiert, aber nicht als Prototyp.
Die Funktion: Mit vorhandener Erdaushubtechnik wird ein Kolben im Durchmesser von über 100 Metern und einer Tiefe von einigen 100 Metern im Erdreich freigelegt, die Wände werden befestigt. Der Spalt zwischen Kolben und Umgebung wird mit einer Membran verschlossen und mit Wasser gefüllt. Per Überschussstrom wird mehr Wasser in den Spalt gepumpt, der Kolben hebt sich. Bei Strombedarf wird Wasser abgelassen, die Pumpe wird dabei zur Turbine.
Die Systemverluste liegen bei gut 25 Prozent; ein guter Wert, vor allem im Vergleich zum stark diskutierten Speichermedium Wasserstoff (weit über 50% Systemverlust). Das Wasser im Spalt dient außerdem im Sommer zur Aufnahme der Sonnenwärme, die – mit ebenfalls geringen Systemverlusten – im Winter wieder abgegeben werden kann.