30.06.2023
Wasserstoff auf allen Kanälen. Warum?
Ein kopfschüttelnder Rundumblick über Bayern hinaus von Heinz Wraneschitz
Wer erinnert sich noch? Hubert „Hubsi“ Aiwanger bestimmt nicht gerne. Bayerns Energieminister hatte nämlich vor nicht einmal drei Jahren „Russland als wichtigen Lieferanten für Grünen Wasserstoff“ gesehen. Die damals im Bau befindliche Pipeline NordStream 2 hatte nicht nur er als Transportweg vorgesehen.
Davon wollen Energiepolitiker wie er heute natürlich nichts mehr wissen. Dennoch erwartet Aiwanger weiterhin, dass „grüner Wasserstoff zu einer tragenden Säule für umfassenden Klimaschutz in den Bereichen Verkehr, Industrie und Energie“ wird. Nun halt importiert mit einer „Wasserstoff-Pipeline zwischen Norwegen und Bayern: Das H2-Startnetz in Europa hat höchste Priorität", so der Freiwähler und Landwirt im Januar 2023.
Anderswo träumt man bereits von einer „Wasserstoffpipeline vom Golf nach Europa. Unsere gemeinsame Studie deutet auf Machbarkeit und Attraktivität hin“, erklären AFRY und RINA – zwei Firmen, die sich selbst als „multinational“ und „führendes europäisches Unternehmen“ bezeichnen, von denen aber die wenigsten von uns bisher irgendetwas wussten.
Energieimport schafft Abhängigkeiten – auf beiden Seiten
Energiekolonialismus – also den Bezug von Energie aus ärmeren Ländern, wo dadurch meist nur Potentaten reich wurden: Den kennen wir ja schon lange in Europa. Öl und Gas kamen zunächst vom Golf oder aus Afrika, bis in Nordeuropas Meeren eigene Fossilien erschlossen wurden. Mit der Sonne und dem Wind, der auch in Mitteleuropa vor Ort Strom erzeugen können, wurde die Abhängigkeit von Importen über die Jahre geringer. Doch schon vor Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine stieg nicht nur in Deutschland das Bewusstsein, was die Abhängigkeit von Gas aus dem recht Nahen Osten bedeutet: Explodierende Energiepreise schon ab Mitte 2021, weil Putin langsam den Gashahn zugedreht hatte.
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30.06.2023
1,5 °C: Dieses Jahrzehnt ist entscheidend
Beobachtungen von Tatiana Abarzúa
Solange wir Treibhausgase ausstoßen, werden die Temperaturen weiter steigen. Das Thema ist bekannt, und wurde bereits in zahlreichen Artikeln in den DGS-News oder ach in der SONNENENERGIE angesprochen. Hier soll es um neue Zugänge zum Thema gehen, wie eine Klima-Uhr und ein Spielfilm über US-Klimaaktivisten.
Diese Woche wurde in London öffentlichkeitswirksam eine Klima-Uhr errichtet (siehe Foto). Diese soll darauf aufmerksam machen, dass es inzwischen weniger als sieben Jahre sind, die noch bleiben um die globalen Emissionen an Treibhausgasen wirksam zu reduzieren, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Aktivist:innen aus New York hatten die erste dieser Uhren im September 2020 am Union Square aufgebaut. Nach Angaben der Initiator:innen hat diese Uhr „weltweit einen Nerv getroffen und sich schnell als ikonischer Bezugspunkt für die dringende Notwendigkeit von Klimaschutzmaßnahmen etabliert“.
Hintergrund zum 1,5-Grad-Ziel
Die Erwärmung durch anthropogene Emissionen seit vorindustrieller Zeit bis heute wird weiterhin das Klimasystem verändern, und zu Erderwärmung, Gletscherschmelze, Meeresspiegelanstieg führen. Sollte die globale Erwärmung mit der bisherigen Geschwindigkeit weiter zunehmen, wird die globale oberflächennahe Temperatur den Schwellenwert von 1,5 °C wahrscheinlich zwischen 2030 und 2052 erreichen. Das ist seit mindestens 2018 wissenschaftlich unumstritten (die DGS-News berichteten). Vor einem Jahr teilte der britische Wetterdienst Met Office mit, dass dieses 1,5-Grad-Ziel von Paris mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % bereits bis zum Jahr 2026 gerissen wird (die DGS-News berichteten). Die ermittelte Menge an CO₂-Emissionen, die mit der im Pariser Klimaschutzabkommen vereinbarten Begrenzung der Erderwärmung vereinbar ist, beträgt für Deutschland 400 Gigatonnen (1,5 Grad, 67 % Wahrscheinlichkeit) bzw. 500 Gt (1,5 Grad, 50 %, Wahrscheinlichkeit), wie der SRU in einer Stellungnahme erläutert hat. Bei einer Begrenzung auf 1,75 Grad (67 % Wahrscheinlichkeit) sind es 775 Gt.
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30.06.2023
München rüstet auf zur Solarstadt!
Ein kleiner Einblick von Thomas Horn
Diese Woche hat der Stadtrat der Landeshauptstadt in München (LHM) den „Masterplan solares München“ beschlossen. Der PV Koordinator des RKU (Referat für Klima und Umweltschutz) Dr. Andreas Horn, berichtet, dass dies einer der ehrgeizigsten und langfristigen Pläne für den Solarenergieausbau in einer deutschen bzw. europäischen Metropole ist. 25% des Strombedarfs der LHM soll zukünftig mittels innerstädtisch erzeugtem Photovoltaikstrom gedeckt werden. Grüner, dezentral produzierter Sonnenstrom, der sowohl dem Gewerbe als auch den Münchner Bürger:innen zur Verfügung steht. Bei diesem Ziel ist auch der steigende Strombedarf durch weiter beschleunigte Elektrifizierung des Verkehrs, Nutzung von Wärmepumpen, Umwandlung von Strom in Wärme, … berücksichtigt.
Was ist das konkrete Ziel?
Bis 2030 wird der PV-Zubau mit Wachstumsrate von 40% pro Jahr auf 100 MWp Neuinstallationen pro Jahr exponentiell gesteigert. Diese Zubau Leistung soll dann langfristig gehalten werden. Das Ziel ist es ca. 4 GWp PV-Anlagenleistung mit einem Jahresertrag von ca. 3 TWh zu erreichen.
Wie schafft dies die LHM?
Das geht nur in enger Kooperation mit dem RKU und den Stadtwerken München. Im Stadtgebiet Münchens ist geplant dafür Siedlungs-/Grundstücksflächen mit ca. 20% PV-Modulen zu belegen. Dieser Belegungsgrad ist konservativ betrachtet. Das erfolgt durch konsequente Nutzung von Dach- und Fassadenflächen auch auf und an MFH, sowie Parkplatzüberdachungen, Lärmschutzeinrichtungen, … Der Masterplan enthält sehr konkrete Kennzahlen und Zielgrößen, so dass ein leichtes und kontinuierliches Monitoring gewährleistet ist.
Ist das realistisch?
Ja! – München ist auf einen sehr guten Weg zum „klimaneutralen München“. Betrachtet man den PV-Zubau in 2022 und 2023 bis heute (siehe hier Seite 6), so hat die LHM einen deutlichen Zuwachs an solarerzeugtem Strom. Bereits heute sind die Ziele für 2023 nahezu erreicht und der Gesamtjahresertrag 2022 schon fast übertroffen. Besonders im privaten Bereich ist der Zubau mit Steckersolargeräten (Balkonsolar, kleiner 1 kWp)) ungebremst stark gewachsen. Die Bürger:innen sind Dank der Aufklärungsarbeit von zahlreichen Münchner Initiativen wie DGS Sektion München-Oberbayern, Solar2030,… für dieses Thema sensibilisiert und schreiten zur Tat.
Zusätzlich schlummert im Bereich der Mehrfamilienhäuser (MFH) mit Mieterstrom in München noch ein gewaltiges Potential an Dach- und Fassadenflächen für Sonnenstromerzeugung. Zahlreiche eingereichte Anträge beim Münchner „Förderprogramm Klimaneutrale Gebäude (FKG)“ von Hausverwaltungen, Mietergemeinschaften,.. bekunden das stark wachsende Interesse der Bürger:innen und des Gewerbes. Damit ist ein weiterer starker Zubau an PV-Anlagen auf und an Münchens MFH zu erwarten, sobald die anstehenden Verbesserungen der Mieterstrombedingungen im EEG gemäß der PV Strategie 2023 des BMWK gesetzlich umgesetzt sind.
Der Masterplan beinhaltet auch die Umstellung des Energieversorgungssystem von „verbrauchsorientierter Erzeugung“ auf ein „erzeugungsorientiertem Verbrauch“. Ebenso die Aspekte Verbrauchsmanagement, die Speicherung in Form von Strom und Wärme bis hin zu Wasserstoff.
30.06.2023
Rückblick: Guerilla-PV
Dieser Text erschien vor mehr als 10 Jahren, genau am 17.01.2013, hier bei den DGS-News. Der Zugriffe auf unsere Homepage waren dadurch so hoch wie nie zuvor oder danach. Harald Wersich, Solaraktivist der ersten Stunde, hat den Boom der Steckersolaranlagen leider nicht mehr erlebt, er verstarb im Juni 2019 (Nachruf).
"Mit einer PV-Kleinstanlage einen Teil der Tagesgrundlast im Haushalt decken: Ein PV-Modul von 245 Watt und ein Wechselrichter gleicher Größe, zusammengeschaltet und durch Kabel und Stecker mit dem privaten Hausnetz verbunden, können den (Bezugs)Zähler langsamer laufen lassen, wenn die Sonne scheint. Das Modul findet seinen Platz auf dem Balkon oder an die Wand gelehnt nach Süden ausgerichtet und befestigt, damit es nicht weggeweht wird oder umfällt. Ist damit wahr geworden, was Günther Cramer vor Jahren als Vision skizziert hatte: ein kleines PV-Kraftwerk für jedefrau und jedermann erschwinglich, bestehend aus einem schuhkartongroßen Kasten (mit Wechselrichter etc.) der mit einem Stecker als „negativer“ Verbraucher über jede Haushaltssteckdose mit dem Haushaltsnetz verbunden werden kann?"
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Matthias Brake hat auf den Internetseite von Telepolis einen kurzen Beitrag zu diesem Thema verfasst (Guerilla-Photovoltaik per Steckdosen-Plugin). Link: http://www.heise.de/tp/blogs/2/153517
30.06.2023
SONNENENERGIE 2|23: Mehrfachnutzen durch Freiflächensolarwärme
Ausgereifte Technologie mit überragender Flächeneffizienz und riesigem Klima- und Artenschutzpotential: Wann entfesseln wir die dringend benötigte Freiflächen-Solarthermie mit einem Booster-Programm? Angesichts kollabierender Wetter- und Ökosysteme hat sich die Notwendigkeit das Verbrennen fossiler Brennstoffe zu beenden dramatisch erhöht. Eine brennstofffreie Technologie, die seit Jahrzehnten eine zu wenig beachtete Rolle spielt, ist die Solarthermie. Im Einfamilienhaussegment ist sie die stille, fast schon langweilig zuverlässige Ergänzung zur Heizungsanlage. Beinahe unbemerkt hat sich in den letzten Jahren das Segment für solarthermische Großanlagen entwickelt. Zunächst in Dänemark, nun weltweit, werden Hochleistungssolarkollektoren in Megawatt Freiflächenanlagen installiert. Nach anfänglicher Zurückhaltung werden immer mehr und immer größere Anlagen auch in Deutschland geplant und gebaut. Solare Fern- und Prozesswärme hat ein gewaltiges Potential, das sofort naturverträglich genutzt werden kann, sobald geistige und regulatorische Handbremsen gelöst werden.
Warum die Vorteile nicht einfach kombinieren?
Ein offensichtlicher Vorteil von Freiflächen-Solarthermieanlagen liegt in der Möglichkeit, Skaleneffekte zu nutzen und sehr große Mengen Wärme zu einem sehr attraktiven Preis zu produzieren. Diese brennstofffrei erzeugte gesunde Wärme kann für kommunale Fernwärmenetze oder industrielle Prozesswärme genutzt werden. Von Frühjahr bis Herbst können große Solarthermieanlagen erheblich dazu beitragen, den Wärmebedarf in Wärmenetzen zu decken und somit die Abhängigkeit von fossilen und biogenen Brennstoffen zu verringern. Selbst im Winter ist dies möglich, wenn die Anlagen nur mutig groß genug geplant und gebaut werden. Kombinationen mit großen Heißwasserspeichern, die solare Überschüsse aus dem Sommer bis in die Heizperiode bereithalten, und Großwärmepumpen holen aus dem ausgeklügelten Zusammenspiel mehrerer Technologien mehr heraus, als wenn jede einzeln genützt würde. Der Nutzen der großen Anlagen für die lokale Fauna und Flora als artenreiches Trittsteinbiotop einer ganzen Region besteht davon unabhängig das ganze Jahr über. ...
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30.06.2023
Kleiner Medienspiegel
Der Nacktmull, das Klimaschutzgesetz und die Wahrheit: Ein bisschen Wahrheit steckt ja in jeder Satire. Aber die TOLLe aus dem ZDF-Magazin Frontal vom Dienstag dieser Woche stellt die ganze Wahrheit des achnochtolleren, nachverschlimmbesserten Klimaschutzgesetzes der Ampelregierung dar. Es sei nicht nur – wie einst im historischen Jahre 2019 von der damaligen SPD-Umweltministerin Svenja Schulze vehement bestritten, ein „zahnloser Tiger“, sondern sogar „ein zahnloser Nacktmull“. Satire kann so trefflich sein: www.zdf.de/politik/frontal/satire-toll-ampel-koalition-klimaschutzgesetz-100.html
Senator gegen H2-ready-Schwindel: Unruhe in Politikbetrieb der wasserstoffverliebten Hansestadt: Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) hat sich sehr deutlich gegen den Einbau neuer Gasheizungen ausgesprochen, die mit – dem realistischer Weise nie hierfür zur Verfügung stehenden – betrieben werden könnten. Dabei hatten auch an der Elbe so viele am Technologieoffenheitsmärchen und am Wasserstoff-Hype mitgestrickt: www.merkur.de/deutschland/hamburg/gasheizungen-kerstan-warnt-vor-kauf-von-wasserstoffbereiten-zr-92350405.html
Entschädigung bei Schummel-Dieseln: Besitzer eines Schummel-Diesels, die gegen die Autohersteller wegen des „Thermofensters“ (Schönsprech für Abschalteinrichtungen) geklagt haben, können nun auf bessere Durchsetzung ihrer Ansprüche vertrauen: der Bundesgerichtshof hat seine Rechtsprechung der des Europäischen Gerichtshofes angepasst. 5 bis 15 Prozent des Kaufpreises seien möglich; ein extra Sachverständigengutachten sei dafür nicht mehr nötig, so die Vorsitzende Richterin: www.n-tv.de/wirtschaft/BGH-ebnet-Diesel-Klaegern-Weg-fuer-Entschaedigungen-article24218543.html
Tiefenentspannter Urlaub auf dem E-Hausboot: Ein Zeit-Redakteur hat es ausprobiert: Mit dem E-Hausboot auf der 334 km langen Havel ist ein wirklich entspannter Urlaub möglich – fast abenteuerlich und leise durchs dünn besiedelte Brandenburg. Selbst die Funklöcher müssen da nicht stören: www.zeit.de/entdecken/reisen/2023-05/e-hausboot-bunbo-brandenburg-urlaub
Aus für Byton und Lordstown: Mit einer kühnen Fahrzeugidee und deutschem Management ist vor einigen Jahren der chinesische E-Autohersteller Byton gestartet. Jetzt wurde der Stecker gezogen, bevor eine Serienfertigung gestartet werden konnte. Ebenso in Insolvenz ging das US-amerikanische Startup Lordstown, das in Vorbereitung eines echten Elektro-Pickup-Trucks war: www.elektroauto-news.net/news/bytons-elektroauto-traum-insolvenz und www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/elektromobilitaet-us-elektroautohersteller-lordstown-motors-meldet-insolvenz-an
Das Redaktionsteam der DGS-News
30.06.2023
Übrigens ...
... hat das Finanzministerium seine FAQ (häufige Fragen) zur Umsatzsteuer bei Photovoltaik aktualisiert. Hier gibt es die Fragen und Antworten zur Neuregelung, die seit 1.1.2023 für PV-Analgen und Steckersolargeräte gilt.
... verweist die Internationalen Gesellschaft für Sonnenenergie ISES (die DGS ist ihre deutsche Sektion) anlässlich der im Herbst kommenden, internationalen Solarkonferenz in Delhi auf ihr Online-Solar-Museum und die Möglichkeit, dafür Artefakte zu spenden. Sollten Sie also noch z.B. ein Ende der 1980er bei "Beate Uhse" gekauftes Solarradio haben, das wegen des Digitalrundfunks eh nicht mehr funktioniert, und das Sie diskret, aber enkeltauglich entsorgen möchten …
... hat der Hamburger Hafenlogistikkonzern HHLA vier mit Ökostrom betriebene Lagerkräne in Betrieb genommen, die jährlich knapp fünfeinhalb Millionen Liter Diesel, rund 11.000 Tonnen CO2, erhebliche Mengen Ruß, Feinstaub und Stickoxide vermieden. E-Mobilität ist eben mehr als E-Autos und Pedelecs.
... regiert Geld offensichtlich wirklich die Welt. Das hat das Forschungszentrum ZEW anhand einer gar nicht großen "Subvention" nachgewiesen. Wird der Kauf eines wassersparenden Duschkopf finanziell gefördert, werden mehr davon gekauft. Vorschlag: Vorher alles teurer machen, was der Umwelt und dem Klima hilft und dann sagen/schreiben/behaupten "Durch Subvention kostet es jetzt weniger".
Das Redaktionsteam der DGS-News