28.04.2023
Auslauftechnologie: Über die unterschätzte Einflüstermacht der Gaslobby
Ein kommentierter Einblick von Tatiana Abarzúa
Seit Anfang des Jahres gilt, dass die EU Atomkraft und Erdgas als nachhaltig einstuft. Über diesen Polit-Krimi hatten die DGS News kontinuierlich berichtet (2021 und 2022 etwa über die EP-Abstimmung zum Taxonomie-Delegationsakt). Doch nicht nur auf dieser prominenten Ebene hat die Gasbranche einen grünen Anstrich erhalten wie ein Blick in die Studie „Pipelines in die Politik: Die Macht der Gaslobby in Deutschland“ des Vereins Lobbycontrol zeigt.
Die in den EU-Institutionen getroffene Entscheidung, „Gas in ihren Empfehlungen für Finanzinvestitionen jüngst für ,nachhaltig' “ zu erklären, erwähnt die Studie von Lobbycontrol (Seite 11). Das sei „eine Entscheidung, die Anlagekapital weiter in Richtung fossiler Energien lenken wird und die von Klimaexpert:innen vielfach als ,Greenwashing' kritisiert wurde“, schreiben die Autorinnen Christina Deckwirth und Nina Katzemich Doch es gibt darüber hinaus weitere Entscheidungen, die dafür sprechen wie wirkmächtig die Gaslobby ist und welchen Imagewandel sie für die Branche geschaffen hat, die 74 Unternehmen und 12 Lobbyverbände umfasst. Ihren Recherchen zufolge arbeiten in der Gaslobby in Deutschland 426 Menschen und das Budget der Unternehmen Eon, Uniper, EnBW, RWE und Wintershall DEA umfasst mehr als 12 Millionen Euro. Für Gazprom und Gazprom-Töchter liegen keine Angaben vor, „da sie sich nicht ins Lobbyregister des Bundestages eingetragen haben“, berichten die Studienautorinnen.
Rechercheerkenntnisse
Anders als bei der Planung von Stromnetzen, „muss der Gasnetzplan nicht vom Bundestag bestätigt werden“ (Seite 24). Für die Gasnetze gilt, dass der Netzentwicklungsplan der Bundesnetzagentur zur Prüfung und Konsultation vorgelegt wird, und diese Bundesbehörde „prüft die Angaben allerdings nur auf Plausibilität und weicht in der Regel nicht von den Vorschlägen der Netzbetreiber ab“. Auch interessant: Dass die Planung der Gasnetze die Klimaziele berücksichtigen muss wurde erst im Juli 2022 „im Energiewirtschaftsgesetz verankert“. Bis dahin war ausschlaggebend „welchen Bedarf die Gasindustrie prognostiziert, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten“. Nach Meinung der Studienautorinnen sei das Planungsverfahren „geschaffen worden, um sicherzustellen, dass die Gasnetzbetreiber Investitionen ins System nicht verschleppen“.
Mächtige Konzerne entlang der Lieferkette
Reichhaltige Informationen liefert die Studie über die großen Gaskonzerne und ihre Monopolmacht sowie über die Lobbyverbände der Gasindustrie (Kapitel 3). Laut der Studie haben auch die Energiekonzerne Eon und RWE „Monopolmacht in der Gaslieferkette erlangt, indem sie die Bereiche Stromproduktion (darunter Gaskraftwerke) und Versorgung unter sich aufgeteilt haben“. Das bringe vor allem Abhängigkeiten für die Stadtwerke mit sich, so die Autorinnen. Sie kritisieren, dass jeweiligen Bundesregierungen diese „großen Tauschgeschäfte“ unterstützt haben, „trotz Kritik von Behörden oder betroffenen kleineren Unternehmen“. Die Autorinnen erwähnen auch, dass nach der Strommarktliberalisierung Ende der '90 er Jahre die Stadtwerke teilweise oder vollständig von großen Energiekonzernen übernommen wurden. Sie seien durch Konzernbeteiligungen „stark vom Quasi-Monopolisten Eon und anderen großen Konzernen abhängig“ (Seite 7).
Bei den Industrieunternehmen habe BASF als großer industrieller Gasverbraucher ein „großes Drohpotenzial gegenüber Politik und Gesellschaft“, so die Studie. Das Unternehmen könne aufgrund der Größe mit Arbeitsplatzabbau drohen, der „tatsächlich zu gesellschaftlichen Verwerfungen führen könnte“ (Seite 8).
Sie erwähnen auch die Gaslobby Netzwerke im Umfeld der CDU und CSU (Seite 61) sowie den „Dialogprozess Gas 2030“ (2018 bis 2019) und die „LNG-Taskforce“ aus der Zeit der Großen Koalition, die der Gasindustrie „privilegierte Zugänge“ ins Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) verschafft haben. „Beide Initiativen wurden von der bundeseigenen Energieagentur DENA koordiniert“, die „als zentraler Zugang für die Gaslobby ins Wirtschaftsministerium“ fungierte (Seite 85), so die Autorinnen. Die Rahmenvereinbarung zwischen DENA und dem Ministerium bestehe auch unter der neuen Regierung fort.
Ausbleibende Rotation
Einen seltenen Einblick in die Politik liefert eine Recherche zur Abteilung „Wasserstoff und Gas, Energieeffizienz in Industrie und Gewerbe“. Diese sei auf Ebene der Unterabteilungsleitung und Referatsleitung mit Personen besetzt, die über Jahre enge Verbindungen mit der Gasindustrie gepflegt haben, schreiben die Autorinnen. Dabei sei es „in Ministerien oder anderen Behörden rechtlich möglich und durchaus üblich“, das Mitarbeiter in andere Abteilungen wechseln.
Der für das Thema Gas zuständige Unterabteilungsleiter Ulrich Benterbusch sei 2015 „direkt aus der Geschäftsführung der gasfreundlichen DENA“ in das BMWK gewechselt und habe den Posten „auch nach dem Regierungswechsel 2021 behalten“. Gleiches gelte für Stefan Rolle, den „Referatsleiter Gas“ (Seite 80).
Appelle an die Politik
Laut Studie könne sich der Ausstieg aus fossilen klimaschädliche Geschäftsmodelle verzögern. Problematisch sei, dass weiterhin kaum diskutiert werde wie schädlich Erdgas für das Klima ist (Seite 8). Außerdem würden Politik und Medien einseitig die Narrative von Lobbyist:innen und PR-Strategen übernehmen. Sie warnen auch davor, dass die Gasindustrie „den Fortbestand zumindest eines großen Teils ihrer Gasinfrastruktur sichern“ möchte (Seite 13).
Weitere in der Studie genannten Forderungen sind: eine Neuaufstellung der DENA, bei der die „einseitige Finanzierung durch Konzerne und Wirtschaftsverbände beendet“ werde (Seite 85), „strengere Regeln, um die Drehtür zwischen Politik und Gaslobby weiter zu schließen (Seite 49), eine Begrenzung von Parteispenden „bei 50.000 Euro“ pro Spender, mit einer „Offenlegung sofort ab 10.000 Euro und ab 2.000 Euro in den Rechenschaftsberichten“ (Seite 99).
Methanemissionen
Ein Erfolg, der der Gaslobby zugeschrieben werden kann, ist, dass die Klimawirkung von Methan kaum in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Diese Erkenntnis deckt sich mit einem kritischen Artikel in National Geographic von 2020 – „Erdgas: Nicht so umweltschonend wie gedacht“ – bei der die These aufgestellt wird, „dass wir den Einfluss der fossilen Brennstoffförderung um bis zu 40 Prozent unterschätzt haben“. Hintergrund dazu ist eine in Nature veröffentlichte Studie („Preindustrial 14CH4 indicates greater anthropogenic fossil CH4 emissions“).