14.04.2023
Wärmewende zu Ende gedacht
Eine Analyse von Ulf Bossel
Um es vorweg zu sagen, mit grünem Wasserstoff lässt sich die Wärmewende nicht verwirklichen. Mit der grünen Energie, die „von der Wiege bis zur Bahre“ für die Beheizung eines Gebäudes mit einem für Wasserstoff umgerüsteten Gaskessel benötigt wird, könnten drei gleiche Gebäude direkt elektrisch, oder neun mit Wärmepumpe beheizt werden. Die Wärmewende vom Grünstrom zum wohltemperierten Wohnen führt also zur intelligenten Stromnutzung und Veränderungen im Endbereich der Energienutzung. Heizen mit grünem Wasserstoff erschwert die Energieversorgung erheblich. Alle an Wasserstoff geknüpften Hoffnungen sollten deshalb schleunigst begraben werden.
Die drohende Klimakatastrophe erfordert einschneidende Massnahmen bei der Gebäudebeheizung. Fossile Brennstoffe müssen vorwiegend durch Grünstrom ersetzt werden, der auch in Europa nachhaltig von Sonne, Wind & Co. geerntet werden kann. Die elektrische Wärmepumpe wird damit zum dominierenden Wärmelieferant im Wohnbereich. Auch Solarthermie und biogene Brennstoffe werden eine Rolle spielen. Solarwärme kann vor Ort geerntet oder bei zentraler Sammlung saisonal gespeichert und als Fernwärme verteilt werden. Müllverbrennungsanlagen liefern Heizwärme. Eine direkte Nutzung von Erdwärme ohne Wärmepumpe ist nur an wenigen Orten möglich.
Alle erkennbaren Optionen haben vier Dinge gemeinsam. Erstens ist das nachhaltige Energieangebot begrenzt. Der heutige Heizenergiebedarf lässt sich an kalten Tagen nicht nachhaltig mit Energie aus heimischen Quellen decken. Zweitens verlangen viele Bestandsgebäude Vorlauftemperaturen, die an kalten Tagen mit Wärmepumpen oder gespeicherter Solarwärme nicht zu erreichen sind. Drittens wird der leistungsgleiche Austausch von fossil befeuerten Kesseln durch elektrische Wärmepumpen an kalten Wintertagen unweigerlich zu Stromengpässen führen. Viertens scheitert bei vielen Altbauten der Wechsel von Heizkesseln zu Wärmepumpen mit Erdsonden an hohen Projektkosten. Mit technischen Veränderungen im Heizungskeller kann die Wende zur CO2-freien Gebäudeheizung kaum verwirklicht werden.
Für die Wärme- und Klimawende fehlt eine physikalisch begründete Strategie. Die diskutierten Sanierungen im Heizungskeller mit einem grünen Anteil von 65% verursacht bei Fachleuten nur Kopfschütteln. Soll etwa neben dem verkleinerten Gaskessel (35%) noch einen Pelletkessel oder eine Wärmepumpe (65%) aufgestellt werden? Es wäre verständlicher, die Lieferanten von Heizöl oder Erdgas zur Beimischung von 65% Biosprit oder Biogas zu verpflichten, was aber kaum möglich ist. Der Austausch von Heizkesseln verändert den Energiebedarf und den CO2-Ausstoss nur geringfügig. Auch mit der Forderung nach technologieoffenen Lösungen zeigt die Politik ihr mangelndes Verständnis für die Gesetze der Physik. Mit Vorgaben dieser Art werden wissenschaftlich erarbeitete und physikalisch begründete Erkenntnisse zur Seite geschoben. Detaillierte Analysen belegen Vorzüge und Nachteile aller möglichen Veränderungen im Heizungsbereich. Mit „Technologienoffenheit“ wird wissenschaftliche Objektivität durch populäre Denkmuster ersetzt. Die Glaubwürdigkeit politischer Instanzen leidet unter der von der Politik gestifteten Verwirrrung. Der Heizwärmebedarf und damit der CO2-Ausstoss kann nur mit einer besseren Gebäudehülle drastisch reduziert werden.
Zuerst sollte die Politik eine Strategie zur Wärmewende formulieren. Hierzu gehört die sofortige Abschaffung der Kaltmiete. Raummiete und Heizkosten sollten zu „Wohnkosten“ vereint werden. Damit wird die Zuständigkeit bei Mietwohnungen juristisch eindeutig geregelt. Der Hausbesitzer übernimmt die volle Verantwortung für die Wärmeverluste durch Wände, Fenster und Dach, also für den baulichen Zustand seiner Liegenschaft. Die Heizkosten werden Teil der betriebswirtschaftlichen Optimierung. Wohnungen mit hohen Heizkosten lassen sich schlechter vermieten. Für den Hausbesitzer wird die langfristige Optimierung seiner Einkünfte wichtiger als der pünktliche Eingang der monatlichen Zahlungen. Die Abschaffung der Kaltmiete ist eine wesentliche Voraussetzung für die Umsetzung der Wärmewende im Wohnbereich.
Dieser erste Schritt verdeutlicht schnell, dass Werterhalt und Rentabilität von Liegenschaften vom Zustand der thermischen Verpackung und nicht von Technik im Heizungskeller bestimmt werden. Immobilienbesitzer müssen langfristig denken, denn Gebäude werden „für die Ewigkeit“ gebaut. Thermisch sanierte Liegenschaften lassen sich auch in Zukunft gut vermieten, denn eine verbesserte Gebäudehülle verringert den Heizwärmebedarf und damit die Wohnkosten dauerhaft. Heizanlagen altern jedoch und müssen gewartet und gelegentlich erneuert werden. Die notwendigen Massnahmen für den reduzierten Heizwärmebedarf bleiben auch in Zukunft für den Hausbesitzer finanzierbar. Für Neubauten sollte jedoch umgehend strengere Dämmvorschriften erlassen werden.
Der stark verminderte Heizwärmebedarf schafft neue Möglichkeiten für Sanierungen im Heizungskeller. Es geht nicht mehr um den Ersatz eines alten fossil befeuerten Heizkessels durch einen neuen oder durch eine Wärmepumpe gleicher Heizleistung. Es ist ein Wechsel von einem fossil befeuerten Vielfrass zu einem mit Grünstrom versorgten Suppenkasper. Energie- und Klimawende führen von fossilen Brennstoffen hin zu grünem Strom. Alte leistungsstarke Heizkessel werden durch wesentlich kleinere Wärmepumpen ersetzt. Wegen des verminderten Wärmebedarfs und der gut verpackten Gebäude können diese Wärmepumpen tagsüber dann betrieben werden, wenn genug Solarstrom in der Leitung ist oder vom Hausdach kommt. Die geringen Kältemengen werden direkt an die Aussenluft abgeführt. Teure Erdsonden werden nicht benötigt. Mit kleinen Klimageräten können einzelne Zimmer im Sommer gekühlt und im Winter geheizt werden. Auch ist eine Wärmeverteilung über Umluft möglich. Auf die Versorgung von Radiatoren oder Bodenheizungen mit Heizungswasser kann verzichtet werden. Die thermische Gebäudesanierung führt zu kostengünstigen Massnahmen im Heizungskeller. Mit Aktionismus im Heizungskeller wird der kostengünstige Weg zu brauchbaren Lösungen versperrt. Die Gebäudehülle sollte zuerst saniert werden.
Die vorgestellte Strategie für die Wärmewende beginnt also mit der Schaffung eindeutiger Verantwortlichkeiten durch die Umstellung von Kaltmieten zur Warmmieten. Als zweiter Schritt folgt die thermische Gebäudesanierung, womit ein neuer Heizwärmebedarf für die Auslegung auch der Wärmeerzeuger geschaffen wird, die später als Ersatz für alternde Anlagen installiert werden müssen. Für den wesentlich niedrigeren Heizwärmebedarf werden kleine Wärmepumpen zu erschwinglichen Preisen angeboten. Die politische Diskussion über gesetzliche Regelungen für Veränderungen im Heizungskeller mit „sozialverträglichen“ Sonderregelungen für „alte“ Heizkessel und „alte“ Hausbesitzer führt nicht zur schnellen Verwirklichung der klimapolitisch dringend notwendigen Abkehr von fossilen Brennstoffen.
Die Abschaffung der Kaltmiete verursacht lediglich administrative Kosten. Die Zukunft wird nicht durch individuelle Umrüstungen im Heizungskeller bestimmt, sondern durch die Senkung der CO2-Emissionen, also durch die Reduktion des fossilen Energieverbrauchs. Die thermische Sanierung von Gebäuden dient der Klimarettung, auch wenn ein alter Heizkessel noch einige Zeit der Wärmeerzeugung dient. Die Verbesserung der Wärmehülle von erhaltungswürdigen Gebäuden könnte deshalb als staatliche Aufgabe betrachtet und gefördert werden. Für heiztechnische Veränderungen ist jedoch der Hausbesitzer zuständig, denn nur er trägt die betriebswirtschaftliche Verantwortung für bauliche Massnahmen zum Erhalt seines Wohneigentums und nur er kann diese gebäudespezifisch und technologieoffen ausführen lassen. Dieser Logik folgend sollte sich die politische Diskussion vorrangig mit der thermischen Sanierung der Aussenhülle bewohnter Gebäude und weniger mit technischen Veränderungen im Heizungskeller befassen.