27.01.2023
Wenn Journalist:innen über Aktivist:innen berichten sind sie dann selber welche?
Ein persönlicher Eindruck von Heinz Wraneschitz
„Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt“ (Herbert Grönemeyer: Bochum) scheint es, als ob es wegen der wirtschaftlichen Verflechtungen der Kommunen mit dem Energiekonzern keine parlamentarische Opposition gegen RWE gibt. Und auch die Medien machen mit, gerade die aus jenem Westen.
So wurde bei der Räumung des als Braunkohle-Abraum vorgesehenen Dorfs Lützerath dieser Tage mehr über kleinere Scharmützel zwischen Polizei und Randalierern als über die tatsächlichen Probleme der künftigen Menschheit berichtet. Warum genau? Haben wir es etwa gerade beim Thema Klimakrise mit einer Maschinerie zu tun, die selbst Destruktion durch die Zerstörung unserer Lebensgrundlage betreibt, aber sich selbst als Bewahrer aufspielt? Bewahrer natürlich vor allem der fossilen Wirtschaft – aber das brauche ich ja wohl gar nicht auszuführen.
Sind nicht die Leute im Ahrtal tatsächlich mit einer Gewalt konfrontiert worden, die letztendlich ausgelöst wurde von jenen selbsternannten Bewahrern, welche aber tatsächlich die Destruktion betreiben? Und müssen wir nicht genau deshalb das Gewalt-Narrativ umdrehen, wenn den Menschen durch Umweltzerstörung Gewalt angetan wird? Nehmen wir beispielsweise solche umweltzerstörenden Vorhaben wie das geplante Abbaggern von Lützerath; wohlgemerkt einschließlich eines denkmalgeschützten Bauernhofs, dem vor Kurzem noch die Montage einer Photovoltaik-Anlage vom Denkmalschutzamt verwehrt worden war.
Es gibt übrigens einen Begriff für dieses offenbar notwendige Umdrehen des Gewalt-Narrativs: „Slow Violence“ heißt der, entwickelt vom Princeton-Professor Rob Nixon im Buch „Slow Violence and the Environmentalism of the Poor“. Geschrieben hat es Nixon bereits 2013. Und durchgesetzt hat sich der Begriff bis heute nicht wirklich.
Doch womöglich tut sich langsam aber sicher etwas. So scheint selbst die Rechtsprechung im Wandel. Auch wenn erst am Mittwoch eine Amtsrichterin in Nürnberg vier Klimaaktivist:innen – Alter: 25 bis 65 Jahre – zu Geldstrafen verurteilte, könnte man sagen: Nur zu Geldstrafen. Denn die Anklagebehörde hatte neunmonatige Freiheitsstrafen gefordert. Die vier Mitglieder der Gruppe „Letzte Generation“ hatten sich vor knapp einem Jahr an einer Ausfahrt der Nürnberger Stadtautobahn „Frankenschnellweg“ am Teer festgeklebt gehabt und so zwei Stunden lang den Verkehr zum Erliegen gebracht. Das Argument eines Verteidigers, „die Demonstranten haben natürlich nicht mitten in der Nacht einsam ohne Zeugen im Wald protestiert, sondern sie gingen dahin, wo es weh tut. Sie haben gestört. Doch hier wurden keine Unbeteiligten in Geiselhaft genommen, sondern wir alle als Autofahrer sorgen für CO2-Emissionen", ließ die Richterin nur begrenzt gelten. Zwar erkannte sie – anders als die Anklagebehörde – keine besonders schwere Nötigung, sondern „nur“ eine „verwerfliche Sitzblockade. Ich verkenne nicht, dass ihre Ziele gut sind und richtig, doch der Zweck heiligt nicht die Mittel“, so die Richterin. Trotzdem bestrafte sie die Vier jeweils mit 40 Tagessätzen Geldstrafe. Noch sind die Urteile nicht rechtskräftig.
Autos aufzuhalten wie in Nürnberg: Für Außenstehende mag ein solches Verhalten der Aktivist:innen destruktiv erscheinen - im Sinne der Klimabewegung ist es konstruktiv. Und wenn Journalist:innen darüber positiv berichten, sind sie nicht Aktivist, sondern Aktivierer, die ebenfalls zum Nachdenken anregen wollen.